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Kam nicht zur Urteilsverkündung, weil er in einem Verkehrsstau steckte: Julian Assange.

© dpa

Auslieferung nach Schweden: Assange bleibt noch eine Chance – eine ganz kleine

Das Oberste Gericht in London hat entschieden, den Wikileaks-Gründer auszuliefern, aber seine Anwältinnen kämpfen weiter.

Wikileaks-Gründer Julian Assange hat zum dritten Mal einen Einspruch gegen ein schwedisches Auslieferungsbegehren wegen angeblicher Sexualverbrechen verloren, diesmal vor dem Obersten Gerichtshof – aber der Rechtsweg ist für den australischen Internetfreibeuter trotzdem noch nicht erschöpft. Fast unmittelbar, nachdem Gerichtspräsident Lord Phillips mit den Worten „Einspruch abgelehnt“ die Urteilsverkündung beendete und den Weg für Assanges Auslieferung an die schwedische Staatsanwalt frei machte, wurde die Auslieferung in einer außergewöhnlichen Wende für zunächst 14 Tage wieder gestoppt.

Der Ex-Hacker, Internetaktivist und Journalist, der mit der Veröffentlichung geheimer Dokumente die USA gegen sich aufbrachte, hat in England mehr als 500 Tage mit einer elektronischen „Fußfessel“ eine Art Hausarrest verbracht und kämpft gegen seine Auslieferung.

Als gestern das Urteil verkündet wurde, war er „im Verkehr stecken geblieben“ und nicht anwesend, als seine Rechtsanwältin Dinah Rose aufstand und 14 Tage Zeit erbat, um das Urteil zu studieren. Sie müsse möglicherweise eine Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen, weil die Entscheidung des Gerichts sich auf einen Punkt bezog, zu dem Assanges Verteidigung gar keine Stellung genommen habe, argumentierte sie. „Eine vernünftige Bitte“, entschied Lord Phillips, auch weil das Urteil über 100 Seiten in 265 Abschnitten hat. Zum letzten Mal gab es einen solchen Einwand gegen ein letztinstanzliches Urteil 1998 in der Auslieferungssache des chilenischen Diktators General Augusto Pinochet.

Wer ist Julian Assange?

„Wir sind noch nicht am Ende. Wir haben noch technische Möglichkeiten und die Hauptsache ist das Europäische Menschenrechtsgericht, das ist die letzte Instanz in Europa“, erklärte der Menschenrechtsspezialist Geoffrey Robertson einem australischen TV-Sender. Dass ausgerechnet diese europäische Instanz sich gegen den europäischen Haftbefehl wenden könnte, der die umstrittene Rechtsgrundlage für das schwedische Auslieferungsbegehren ist, scheint aber sogar Robertson nicht zu glauben. „Assange hat dort angemessene Aussichten, aber es ist unwahrscheinlich, dass sie die Auslieferung stoppen“.

Die ganze Vorgeschichte.

Assanges Marsch durch englische Gerichte begann am 7. Dezember 2010, als er sich in London der Polizei stellte. Im August hatte die schwedische Staatsanwaltschaft wegen zweier Sexdelikte einen Haftbefehl erlassen. Zwei Frauen hatten ihn angezeigt, in einem Fall wegen Vergewaltigung, im anderen wegen sexueller Belästigung. In den Wochen, in denen sich Assange in einem Londoner Presseklub versteckt hielt, erregte seine Wikileaks-Organisation mit der Veröffentlichung der ersten von 251 000 Geheimdepeschen amerikanischer Diplomaten weltweites Aufsehen. Wikileaks hatte zuvor 400 000 Geheimdokumente zum Irakkrieg veröffentlicht, darunter ein Cockpit-Video eines Kampfflugzeuges, das Zivilisten angriff. Die USA begannen Ermittlungen, müssen sich bisher aber mit der Anklage des Soldaten Bradley Manning begnügen, der Wikileaks die Daten zuspielte. Bis heute halten Assanges Anhänger die Sex-Vorwürfe und den schwedischen Haftbefehl für einen Vorwand, eine Auslieferung in die USA vorzubereiten. Bestärkt werden sie dadurch, dass nicht ein unabhängiger Richter, sondern nur die schwedische Staatsanwaltschaft den europäischen Haftbefehl gegen Assange ausstellte. Aus diesem Grund argumentierten Assanges Anwälte auch, das Auslieferungsbegehren sei „ungültig und undurchsetzbar“, es erfülle nicht die Anforderungen des britischen Rechts. Aber die sieben Lordrichter befassten sich nicht mit der juristischen Rechtmäßigkeit aus britischer Perspektive, sondern den Gepflogenheiten im Bereich internationaler Verträge und griffen dabei sogar auf das „Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge“ von 1969 zurück. Auf dieser Grundlage hielten fünf von ihnen den Haftbefehl für rechtmäßig. Assanges Anwältin Rose argumentierte, „diesen Punkt haben wir in unserer Berufung nicht behandelt“.

Der jüngste Gerichtstermin zeigt auch, dass Assanges Schicksal immer weniger Aufmerksamkeit erhält, die Rechtshintergründe des europäischen Haftbefehls dafür immer mehr. Fernsehteams aus aller Welt waren zur Stelle, aber die Schar demonstrierender Assange-Fans schwindet und einstige Promi-Anhänger wie Jemimah Khan und Bianca Jagger waren nirgends zu sehen. Dafür wird die Debatte um den Haftbefehl lauter: Für viele britische Kritiker verstößt er gegen die britische Rechtsauffassung, weil Auslieferungsbegehren vor einer Auslieferung gar nicht auf ihre Stichhaltigkeit geprüft werden – auch nicht, wenn es um Vergehen geht, die in Großbritannien gar nicht strafbar sind – wie Assanges mutmaßliche Sexualdelikte, die nur in Schweden, nicht aber in Großbritannien als Vergewaltigung eingestuft werden. Furore machte der frühere Fall eines jungen Engländers, der ohne Beweisaufnahme nach Griechenland ausgeliefert wurde und jahrelang unschuldig in erbärmlichen Umständen in einem griechischen Gefängnis schmachten musste.

Auch deshalb befassten sich gleich sieben der höchsten Richter mit dem Fall. Es geht auch um die Zukunft des europäischen Haftbefehls. Sein Ziel war, Auslieferungsverfahren zu beschleunigen und vor allem die Terrorismusbekämpfung zu verbessern. Nun ziehen sich die Verfahren lang und länger hin. Auch deshalb will die britische Europaabgeordnete Sarah Ludford das Thema jetzt wieder vor das Europaparlament und den Europarat bringen.

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