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Gute Kumpels. Kanye West und Donald Trump trafen sich Dienstag in New York. Wir sind Freunde, sagte der künftige US-Präsident danach.

© Timothy A. Clary/AFP

Nach dem Zusammenbruch von Kanye West: Die Show ist der Wahnsinn

Prominente wie der US-Rapper Kanye West fallen häufig mit bizarren Auftritten auf. Können Depressionen oder Burn-out ein Grund sein – oder geht es schlicht um Aufmerksamkeit?

Fahrig läuft Kanye West über die riesige Bühne. „Ich habe Visionen, Bruder. Damit bin ich gesegnet worden“, philosophiert der US-amerikanische Musiker ins Mikro. Der Rapper steht auf einer kreisrunden Bühne; es sieht aus, als schwebe er über seinem Publikum. Rings um ihn herum: Massen von Menschen, sie himmeln ihn an, applaudieren, kreischen. West ist in seinem Element. „Ah, ihr alle liebt meine Show. Ihr alle jubelt jetzt besser für mich!“

Es folgt: Ein fünfzehnminütiger Monolog. Der Rapper spricht wirr, von Musikerkollegen wie Beyoncé, Taylor Swift, dann von Politik. Bei der Wahl sei er zwar nicht gewesen, doch wenn, ja, dann hätte er Donald Trump seine Stimme gegeben, um „America great again“ zu machen, denn „es ist eine neue Welt, Barack“. „Macht euch bereit für euren großen Tag, liebe Presse. Macht euch bereit. Die Show ist vorbei.“ Mit diesem Satz schließt er. Und verlässt nach nur drei Liedern die Bühne.

Denkwürder Auftritt

Die Presse nutzt im Anschluss ihren „großen Tag“, es wird berichtet über Wests Einlieferung in eine psychiatrische Klinik. Schnell herrscht Einigkeit unter den zahlreichen Beobachtern, der Rapper muss psychisch krank sein, Diagnose: pathologischer Narzissmus. Wests Einlieferung in eine psychiatrische Klinik wird ein großes öffentliches Thema. Mittlerweile ist der Musiker wieder entlassen. Eine Frage aber bleibt: Kann ein so bizarr anmutender Auftritt wie der von Kanye West schlicht mit einer psychischen Störung begründet werden? Oder macht man es sich mit dieser Erklärung dann doch zu einfach?

„Mich hat eine derartige Berichterstattung schon immer sehr aufgeregt“, sagt Antonia Peters, die Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft Zwangserkrankungen. „Der Öffentlichkeit wird so vermittelt, dass alle, die unter psychischen Krankheiten leiden, gemeingefährlich sind, nicht zurechnungsfähig, dass man vor ihnen Angst haben muss.“ In prominenten Fällen wie dem von Kanye West werde oftmals einseitig berichtet.

Besonders auffällig, meint Peters, sei das auch bei Straftaten. Als Beispiele nennt sie Amokläufe in Schulen und den Absturz der Germanwings-Maschine im März 2015, mutwillig herbeigeführt durch den depressiven Piloten Andreas Lubitz. „Solche Berichte werfen gleich alle psychisch Kranken in einen Topf. Ich empfinde das als sehr unfair“, sagt Peters.

Einseitige Darstellung

Mit dem „Aktionsbündnis Seelische Gesundheit“, dem auch ihr Verband angehört, möchte Antonia Peters gegen dieses einseitige Bild und eine Stigmatisierung psychisch erkrankter Menschen ankämpfen. Eine ungewöhnliche Maßnahme im Zeichen dieser Mission: Das Bündnis bietet Seminare für Drehbuchautoren an, um ihnen zu helfen, psychisch Erkrankte in Filmen oder Serien realitätsnäher abzubilden. Oft würden die völlig übertrieben dargestellt, wie zum Beispiel in der Krimiserie „Monk“, in der die gleichnamige Hauptfigur unter einer Vielzahl von stark ausgeprägten Zwängen leidet – eine starke Überzeichnung.

Ein weiteres Beispiel für die falsche Darstellung von psychischen Erkrankungen ist die Tick-Störung Tourette. In Filmen und Dokumentationen kommen fast ausschließlich Betroffene vor, die am laufenden Band unkontrolliert Obszönes von sich geben. Das ärgert Betroffene wie Hermann Krämer, ebenfalls Mitglied im Aktionsbündnis. „Diese Symptomatik findet man nur bei etwa 20 bis 40 Prozent der Betroffenen“, erklärt er. „Aber ich verstehe das auch – Schimpfwörter bringen einfach mehr Quote“. Das sei an sich in Ordnung, werde aber spätestens dann zum Problem, wenn die Öffentlichkeit Erkrankte ohne diese Symptome als „nicht krank“ einstufe.

Öffentliche Wahrnehmung ändert sich

Trotz aller noch vorhandenen Stigmatisierung von psychisch Kranken stellen Krämer und seine Kollegen einen Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung fest. „Ich finde, die Gesellschaft geht schon viel offener und liberaler mit dem Thema um. So kann es weitergehen“, sagt er. Sein größter Wunsch: „Irgendwann auf völlige Akzeptanz zu stoßen und nicht mehr komisch angeguckt zu werden.“

Kanye West scheint sich nach seinem Klinikaufenthalt wieder einigermaßen gefangen zu haben. Am Dienstag reichte seine Energie schon aus, um sich in New York mit dem designierten US-Präsidenten Donald Trump zu treffen. Nach der Zusammenkunft twitterte der Skandal-Rapper, dass er mit Trump über „multikulturelle Themen“ diskutiert habe, außerdem, wenig subtil, die Zahl „#2024“. Dieses Jahr würde das Ende von Trumps zweiter Amtszeit markieren. Der Tweet mutet an wie ein Ausdruck freundschaftlichen Optimismus. Auch Trump bekräftigte, er und West seien „Freunde“.

Julia Beil

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