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Installation view, HEUTE LEIDER NICHT, staged by Simon Mullan at DITTRICH & SCHLECHTRIEM 

© Hans-Georg Gaul

Wer reinkommt, ist drin: „Heute leider nicht“ in der Berliner Dittrich & Schlechtriem Gallerie

Die von Simon Mullan inszenierte Gruppenausstellung beschäftigt sich mit Ablehnung und Zugehörigkeit im Kontext der Clubkultur.

Der Titel der Ausstellung „Heute leider nicht“ kann schmerzliche Erinnerungen bei denen hervorrufen, die schon einmal an der heiligen Eingangspforte des Berghain abgelehnt wurden. Und das nach akribischem Durchdenken jeder Facette der eigenen Existenz und dem Versuch in der Clubschlange so lässig auszusehen wie irgend möglich. Da kann ein Korb von Sven Marquardt und Co. nicht nur ein Stimmungskiller sein, sondern auch an dem ein oder anderen Ego kratzen. 

Gemeinschaft der Individualist:innen

Dort setzt die von Simon Mullan inszenierte Gruppenausstellung an: Ablehnung und Zugehörigkeit – zwei gegensätzliche Kräfte im Spannungsfeld des Wunsches dazuzugehören und dennoch außergewöhnlich zu sein. Und wo lässt sich die Gemeinschaft tausender Individualist:innen besser zelebrieren als zwischen dröhnenden Bässen und hypnotischen Melodien?

Einem Ort, an dem die Grenzen von Zeit, Raum und gesellschaftlichen Normen überwunden werden können. Zumindest so lange, bis man das Paralleluniversum „Club“, den Mikrokosmos einer gesellschaftlichen Utopie am Morgen danach mit schmerzenden Füßen verlässt. 

Hedonismus und Ekstase

Mit dem Wunsch, der Realität zu entfliehen geht oft das Verlangen nach Ekstase und somit auch die Versuchung einher, die sinnliche Erfahrung eines Clubbesuchs bis ins Unermessliche zu steigern. Wäre es nicht magisch, wenn sich die Musik noch rhythmischer anhören, die Lichtinstallationen in noch bunteren Farben leuchten würden und man nicht nur den eigenen Körper bei jeder Bewegung, sondern auch die Verbindung zu allen Menschen auf der Tanzfläche noch intensiver fühlen könnte? Die enthemmende und belebende synthetische Droge MDMA scheint in vielen Techno-Clubs die federleichte Lösung für den Wunsch nach diesem hedonistischen Hochgefühl zu sein.

Zuzanna Czebatuls Werk „Macromolecule Exploiting some Biological Target“ thematisiert den Umgang mit synthetischen Drogen in der Techno-Szene.
Zuzanna Czebatuls Werk „Macromolecule Exploiting some Biological Target“ thematisiert den Umgang mit synthetischen Drogen in der Techno-Szene.

© Jens Ziehe/Photographie

Eine Praxis, die Zuzanna Czebatul, eine bekannte Figur in der Berliner Techno-Szene, in ihrem Kunstwerk thematisiert: Die hyperrealistische, luftgefüllte Skulptur einer Ecstasy-Pille hebt die Risiken hervor, die von der allgegenwärtigen und oft unreflektiert konsumierten Partydroge ausgeht. Mit ihrem Werk appelliert die Berlinerin sowohl an die Verantwortung der Clubbetreiber:innen einen sicheren Raum zu schaffen, als auch an die komplexe politische Landschaft der Ausbeutung rund um Droge als Ware. In ihrer Größe und Imposanz erinnert die von der Decke hängende Pille an den Stil totalitärer Propagandakunst aus den ehemaligen Ostblockstaaten oder dem heutigen China. 

Wer darf rein?

Kommt man an den Türsteher:innen vorbei, hat man es geschafft: Heute ist man Teil der sorgfältig ausgelesenen Gruppe, man „darf“ mit den anderen Auserkorenen feiern, man gehört dazu. Durch die kritische Selektion an der Eingangstür eines Clubs entsteht unweigerlich eine Exklusivität: Wer ins Berghain kommt, muss cool sein. Wer abgewiesen wird, ist uncool. Eine einfache Rechnung und gleichzeitig eine Spaltung, die zu einer „Wir-gegen-die“-Mentalität führt, die Außenstehende abstößt.

Ekaterina Proninas Kunst „+1 (selection)“ erinnert an die Eintrittsbänder von Clubs. Auch auf dem nach Hause Weg am nächsten Tag zeigt man damit: „Ich war drin.“
Ekaterina Proninas Kunst „+1 (selection)“ erinnert an die Eintrittsbänder von Clubs. Auch auf dem nach Hause Weg am nächsten Tag zeigt man damit: „Ich war drin.“

© gaul.hansgeorg@berlin.de

Diesen Zwiespalt fängt Ekaterina Pronina mit ihren von Techno-Partys inspirierten Armbändchen ein. Sie sind ein Symbol für den Reiz des Dazugehörens in angesehenen Clubs wie dem Berghain und zeigen gleichzeitig Barrieren auf, die andere auf Abstand halten. Die typisch für die Club- und Rave-Kultur in auffälligen (Neon-) Farben gehalten Armbänder werden als Mini-Kollektion betrachtet, die das gesamte Galeriepersonal miteinander verbindet und auf ein „Eintrittsband“ verweist, das man beim Betreten eines Clubs erhält. 

Gegenseitiges Verstehen

Der Versuch, Zutritt zu einer Gemeinschaft gewährt zu bekommen, verkörpert sich auch in Alona Rodehs Kunst: In Leuchtkästen flackern hinter einem Rastergitter die inszenierten Porträts zweier Jugendlicher, die einen kryptischen Dialog in Morsesignalen führen, rhythmisch auf. Der rätselhafte Hin und Her ihrer Kommunikation bringt die nie endende Suche nach Verbindung und echtem gegenseitigem Verstehen zum Ausdruck. 

Die beiden Jugendlichen in Alona Rodehs Installation „The Chase (in Morse)“ hegen den tiefen Wunsch, sich in eine Gemeinschaft einzufügen.
Die beiden Jugendlichen in Alona Rodehs Installation „The Chase (in Morse)“ hegen den tiefen Wunsch, sich in eine Gemeinschaft einzufügen.

© Hans-Georg Gaul

Eine Ausstellung, die das Zusammengehörigkeitsgefühl der Berliner Club-Szene künstlerisch zum Ausdruck bringt und außerdem zum kritischen Nachdenken anregt: Die Clubkultur steht dafür, einen Safe-Space zu generieren, gesellschaftliche und oft diskriminierende Normen aufzuheben. Doch wie offen ist die Techno-Szene wirklich, wenn einem vor einem „Heute leider nicht“ die Knie schlottern, ausgelöst von der Angst nicht dazuzugehören und aufzuschauen zu denen, die „drin“ sind.

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