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Lebensraum Lausitz. Der Tagebau und das Braunkohlekraftwerk Jänschwalde in Brandenburg. Betreiber Vattenfall ist der wichtigste Arbeitgeber der Region.

© imago/Christian Mang

Pläne der Bundesregierung: Die Lausitz fürchtet um ihre Kohle

Wenn der Bund seine Energiewendepläne umsetzt, könnten in Vattenfalls Tagebauen und Kraftwerken schon 2017 die Lichter ausgehen.

In den deutschen Kohlerevieren und der Hauptstadt formiert sich der Widerstand gegen die jüngsten Energiewendepläne der Bundesregierung. Die Gewerkschaft Verdi hat Tausende Beschäftigte für heute Morgen zu dreistündigen Protestaktionen an vier Kraftwerken des Versorgers RWE in Nordrhein-Westfalen gerufen. Eine ähnliche Aktion gegen eine Klimaschutz-Abgabe planen die Gewerkschaften IG BCE und der Gesamtbetriebsrat von Vattenfall direkt am Braunkohletagebau im südbrandenburgischen Jänschwalde, wo der schwedische Konzern die Braunkohle, die er in der Lausitz fördert, in mehreren Kraftwerken verstromt.

Anlass ist ein vergangene Woche publik gewordenes Eckpunktepapier des Bundeswirtschaftsministeriums zur Neuordnung des Strommarktes. Ein Team um den für Energie zuständigen Staatssekretär Rainer Baake (Grüne) hatte die 47 Seiten als Basis für eine Klausur der Regierungsfraktionen von Union und SPD am vergangenen Samstag verfasst. Die Sitzung wurde kurzfristig abgesagt, auch ein neuer Termin in dieser Woche platzte, weil Koalitionspolitiker diese Eckpunkte nicht einmal als Diskussionsgrundlage akzeptieren wollen. „Eines kann keiner wollen: Dass ganze Regionen und Branchen zu Energiewende-Verlierern werden“, sagte Unionsfraktionsvize Michael Fuchs.

Damit legen sich die Abgeordneten mit der Regierung an. Denn das Papier hat Kernpunkte der Koalitionsspitzen aufgegriffen und ausformuliert. Energieminister Sigmar Gabriel und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatten sich Ende 2014 darauf verständigt, konkrete Klimaschutzmaßnahmen auf den Weg zu bringen. Der besonders klimaschädliche Energieträger Kohle müsse einen Beitrag leisten. Nun liegen konkrete Vorschläge auf dem Tisch: Kohlekraftwerke, die mehr als 20 Jahre laufen, sollen ab 2017 zusätzliche CO2-Emmissionszertifikate kaufen müssen.

Träte der Plan in Kraft, wäre die Stromproduktion der meisten Kraftwerke in der Lausitz auf einen Schlag nicht mehr kostendeckend, rechnete Ulrich Freese (SPD), Bundestagsabgeordneter für Cottbus-Spree-Neiße am Dienstag vor. Allein in Jänschwalde stehen sechs alte 500-Megawatt-Kraftwerksblöcke aus DDR-Zeiten, im sächsischen Boxberg zwei weitere. So müsste Vattenfall 4000 Megawatt, also einen großen Teil der Leistung, vom Netz nehmen und würde auch entsprechend weniger Braunkohle fördern. In NRW dürften sogar Kraftwerke mit 8000 Megawatt Leistung sofort unrentabel werden. „Unsere Region braucht jetzt Kontinuität und nicht noch einen Strukturbruch“, so Freese. Man sei noch dabei, den Bruch nach 1989 zu verarbeiten. „Ich erwarte von Gabriel und Merkel, dass sie zu ihren eigenen Worten aus den Wahlkämpfen stehen“, sagte Freese. Merkel habe bei ihren Auftritten in Cottbus die Kohle als Brückentechnologie bezeichnet. „Ich erwarte, dass die Regierung das Papier mit den Realitäten abgleicht und alles unterlässt, was das Ende der Kohle vor dem Jahr 2050 besiegeln würde.“

Auch Brandenburgs Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (SPD) wird am Mittwoch bei der Betriebsversammlung am Tagebau Jänschwalde sein, die symbolisch um „fünf vor zwölf“ startet. Die Landesregierung ist alarmiert und befürchtet einen Kahlschlag in der Lausitz, wo ohnehin wegen der Verkaufspläne des schwedischen Mutterkonzerns Verunsicherung herrscht. Jetzt wächst die Sorge, dass Vattenfalls Kohlesparte noch unattraktiver wird und am Ende ganz dicht gemacht wird.

Für das 1989 ans Netz gegangene Kraftwerk Jänschwalde, so hat das Wirtschaftsministerium errechnet, müsste der Betreiber ab 2017 bis zu 160 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich für CO2-Zertifikate zahlen. Für die Anlage in Schwarze Pumpe, seit 1997 in Betrieb, würden die Zusatzkosten bis 2030 auf bis zu 100 Millionen Euro jährlich steigen. Am Strommarkt sei dies nicht zu erwirtschaften, hieß es. Auch die genehmigten Pläne für zwei neue Tagebaue in Brandenburg und Sachsen wären hinfällig. Die Landesregierungen befürchten, dass die gesamte Wirtschaftsarchitektur in der Lausitz aus dem Lot geraten würde.

Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) bezeichnete die Vorschläge des Wirtschaftsministeriums als „ideologisch motivierten Schlag gegen wichtigsten einheimischen Energieträger“. Gerber nannte die Vorschläge „industriepolitisch gefährlich, energiepolitisch unverantwortlich und klimapolitisch wirkungslos“ und „regionalwirtschaftlich verheerend“. Am Freitag trifft sich Gabriel nun mit den Wirtschaftsministern der Länder.

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