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Mehr Erwerbstätige können ihre Rechnungen nicht bezahlen.

© obs/getty

Wegen Corona und Inflation: „Verschuldung ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen“

Die stark gestiegenen Preise führen dazu, dass deutlich mehr Menschen in finanzielle Schieflage geraten. Schuldnerberatungen haben lange Wartelisten.

Corona-Pandemie, gestiegene Preise und höhere Energiekosten durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine – zahlreiche Krisen führen dazu, dass mehr Menschen in finanzielle Schieflage geraten. Im Vergleich zum Jahresbeginn 2022 haben 65 Prozent der Schuldnerberatungen eine höhere Nachfrage nach Beratung und Unterstützung registriert. Das ergab eine Umfrage durch die Dachorganisation Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV) unter 1400 Beratungsstellen im November und Dezember des abgelaufenen Jahres. In der Arbeitsgemeinschaft sind die Anbieter der sozialen Schuldnerberatung organisiert.

Durch die sprunghaft gestiegenen Preise, insbesondere die Energiekosten, veränderte sich auch die Themenschwerpunkte der Beratung. Rund die Hälfte der Beratungsstellen berichtet über einen höheren Bedarf bei Fragen zu Energie- und Mietschulden und zur möglichen Pfändung von Staatshilfen.

Zunehmend Erwerbstätige betroffen

Zudem zeigt die Umfrage auch eine Verschiebung der Gruppen, die Hilfe in Anspruch nehmen. Demnach suchen mehr Erwerbstätige, junge Menschen und Rentnerinnen und Rentner die Beratung auf. „Geldnöte bis hin zu Schulden sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, berichtet Maike Cohrs, Schuldnerberaterin der Diakonie in Köln. Zu den üblichen Verschuldungsursachen wie Arbeitslosigkeit oder Scheidung sei die Inflation neu hinzugekommen. „Die Gehälter steigen nicht, die Pfändungstabellen wurden nicht angepasst, das belastet besonders Familien“, kritisiert Cohrs. Während der Corona-Pandemie hätten viele Haushalte ihre Ersparnisse aufgebraucht, sodass jetzt finanzielle Reserven fehlen.

Beratungsstellen sind am Limit

Bereits 2021 und Anfang 2022 hatten die Schuldnerberatungen einen höheren Bedarf durch die Corona-Pandemie festgestellt. Jetzt stieg die Zahl der Anfragen noch einmal an. „Die wirtschaftliche Not vieler Menschen und damit der Bedarf nach Unterstützung und Beratung wachsen kontinuierlich“, sagt Roman Schlag, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft. „Die explodierende Nachfrage bringt unsere Beratungsstellen ans Limit. Die Wartelisten für Termine werden immer länger und warten ist bei Geldproblemen nie eine gute Sache.“ Zwar würden die Beratungsstellen niemanden in Not wegschicken, müssten sich aber vielfach mit Online-Ratgebern oder Video- oder Telefonsprechstunden behelfen, um die Flut an Anfragen zu bearbeiten.

Bündnis fordert Rechtsanspruch auf Beratung

Hinzu kommt, dass der Zugang zur Schuldnerberatung bundesweit nicht überall ohne Hürden zu nehmen ist. Anspruch auf Beratung hat nur, wer Sozialhilfe erhält. Die Kommunen entscheiden, ob darüber hinaus auch weitere Personengruppen, zum Beispiel Erwerbstätige oder Studierende, die kostenlose Beratung in Anspruch nehmen können.

Zusammen mit der Bürgerbewegung Finanzwende und dem Institut für Finanzdienstleistungen (IFF) fordert die AG SBV daher einen allgemeinen Rechtsanspruch auf kostenlose Schuldnerberatung. „Dieses Recht kann nur eingelöst werden, wenn es genug Beratungsstellen und Beratungskräfte gibt und alles auskömmlich finanziert ist“, sagt Ines Moers, Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft: „Gute und kostenfreie Beratung ist ein entscheidendes Element, wenn es darum geht, Teufelskreise aus nicht beglichenen Forderungen, Scham und Überforderung zu brechen.“

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