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In Heidelberg füllen Tegula Villen eine Straßenecke aus, in einem Wohngebiet, das durch gründerzeitlichen Baustil geprägt ist.

© Johannes Vogt

Gestalten statt kopieren: Wie Neubauten in historischen Vierteln gelingen

Wie sieht das denn aus? Bisweilen rufen neue Häuser in gewachsenen Kiezen großes Geheule hervor. Muss aber nicht sein – wenn Architekten Einfühlungsvermögen beweisen.

Von Dirk Engelhardt

Im brandenburgischen Eberswalde gibt es ein Gründerzeitviertel, das mit Häusern der Zeit um 1900 bestückt ist, sie sind verziert mit Türmchen, Fachwerk, Vorsprüngen, geschnitzten Holzbalkonen, und sind allesamt gut erhalten. Jedes Haus ist für sich ein kleines Meisterwerk der Architektur. Solche historischen Wohnviertel gibt es überall in Deutschland. Sie mit Neubauten zu ergänzen, ohne die gewachsene Harmonie zu zerstören, ist nicht ganz einfach.

In Eberswalde gab es eine Baulandreserve zwischen zwei historischen Häusern, die vor 27 Jahren nachverdichtet, also geschlossen, wurde. Dafür wurden die Architekten von Gerkan, Marg und Partner aus Hamburg gewonnen. Das entstandene Haus nimmt Bauflucht und Traufhöhe der Nachbarbebauung auf, öffnet sich großzügig zum Naturraum und nutzt die Geländemodellierung für den Gartenzugang. Dominierendes gestalterisches Element ist die Außentreppe, die sich über mehrere Stockwerke schlängelt.

Der Neubau wurde konsequent in einer modernen Architektursprache errichtet und fügt sich einigermaßen gut in die Umgebung ein. So zeichnete die Stadt Eberswalde das Haus 2006 im Bauherrenwettbewerb mit einem Preis aus. „Im Gegensatz zu den Villen der Nachbarschaft, die meist symmetrisch gegliedert sind, wählten wir eine asymmetrische Variante“, erklärt Volkwin Marg. Er gestaltete das Haus zudem in einer offenen Bauweise, mit einem Dachgeschoss, das unter einem gerundeten Dach ein riesiges, hohes Dachzimmer mit Ausblick bereithält.

Sieht nicht aus wie Baujahr 2009

Auch in Hamburg füllte das Büro zwei prominente Baulücken mit Eckhäusern. An der Grindelallee und am Fischmarkt wurden Eckgebäude errichtet, die gestalterische Elemente der Nachbarhäuser aufnehmen. Sie stehen heute unter Denkmalschutz. „Wir haben hier die Eckbetonung auf moderne Weise gelöst, und als Fassadenmaterial den Backstein gewählt, der typisch für Hamburg ist“, so Marg. Der rund drei Meter große Butt, der den angedeuteten Turm des Hauses krönt, ist in ganz Hamburg bekannt.

Am Hamburger Fischmarkt steht ein Eckgebäude, das die gestalterischen Elemente der Nachbarhäuser aufgreift.
Am Hamburger Fischmarkt steht ein Eckgebäude, das die gestalterischen Elemente der Nachbarhäuser aufgreift.

© Heiner Leiska/gmp

Baulücken in Vierteln mit historischer Bebauung sensibel zu füllen, darin hat das Berliner Architekturbüro Patzschke und Partner Erfahrung. Patzschke machte in Berlin unter anderem die Pläne für den Neubau des Hotel Adlon am Brandenburger Tor. Im Portfolio des Büros befindet sich zum Beispiel die Villa Goethe nahe des Berliner Schlachtensees. Die symmetrisch gegliederte, weiß getünchte Villa mit grünen Fensterläden und Dachaufbau fügt sich derart reibungslos in das Villenviertel, dass kaum auffällt, dass sie erst im Jahr 2009 errichtet wurde.

Auch ein Neubau wie die Villa Riemeister in Berlin-Zehlendorf fügt sich perfekt in das umgebende Villenviertel. Das dreistöckige Haus ist weiß-blassorange gestrichen, das Dachgeschoss durch vielfältige Gauben gegliedert. In Wohngebieten mit historischer Bebauung muss der Architekt auf einige Besonderheiten achten, sagt Robert Patzschke: „Grundsätzlich sollte bei allen Entwurfsaufgaben auf ausgewogene Gliederung, Proportionen und Körnigkeit Wert gelegt werden. Gerade in Wohngebieten mit historischer Bebauung sollte auf die Gesamtmaßstäblichkeit des Baukörpers geachtet werden“.

Neubauten in Lagen mit historischer Bebauung können aber auch Akzente setzen. In einer Stadt wie Heidelberg, die noch über viel historische Architektur und gediegene Wohnlagen verfügt, fallen sie auf: die Tegula Villen, die eine Straßenecke ausfüllen, in einem Wohngebiet, das durch gründerzeitlichen Baustil geprägt ist. Die Baufluchten und Proportionen der Nachbarschaft wurden aufgenommen.

Das äußere Fassadenmaterial sind Tegula, lateinisch für handgefertigte Ziegel, die vom Sockel bis zum Dach verbaut sind. Weil sie in Handarbeit gebrannt sind, entstehen unterschiedliche Nuancen in der Farbe, was der Fassade Lebendigkeit verleiht.

Ziel war es, ein zeitlos wertiges Gebäude von hoher Beständigkeit zu schaffen. Architekt war Christian Taufenbach vom Büro Element A. Taufenbach hat sich grundlegende Gedanken darum gemacht, wie ein Neubau in eine als homogen empfundene Stadtumgebung, wie sie Heidelberg bietet, integriert werden kann. Taufenbach: „In Städten wie Heidelberg werden häufig Bauwerke aus mehreren Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten vermischt. Frühere Generationen empfanden ihre Häuser oft als radikale Neuerung, man denke nur an Stadtumbauten früherer Epochen.“

Man sollte sich etwas zurücknehmen und den Mut haben, auf einen über lange Zeit entwickelten Formenkanon zuzugreifen.

Robert Patzschke, Architekt

Eine neue Kultur des Bauens etablieren

Mit seinem Neubau ging es ihm aber nicht darum, möglichst wenig zu „stören“. „Sondern eher um das Aufgreifen von Maßstäblichkeit, Proportionsregeln, Materialität und so weiter. Genau diese Entwurfsthemen wurden durch die Baumeister früher geachtet und beherrscht – und bisweilen auch als Einengung empfunden“, so Taufenbach. Er nennt in diesem Zusammenhang die Vorarlberger Bauschule, die es geschafft hat, in den vergangenen 30 Jahren eine neue Kultur des Bauens zu pflanzen, die dort inzwischen als üblich und zeitgemäß empfunden wird, während sie anderswo als Avantgarde empfunden wird. Die Vorarlberger Bauschule respektiert essentielle Prinzipien der Baukörper, ihrer Dächer, Ausrichtungen und Materialien und ist deswegen höchst erfolgreich.

Taufenbach: „Wenn wir in eine Gründerzeitbebauung hinein entwerfen, achten wir umgebende Prinzipien. Diese dürfen sich nicht verselbständigen und auch nicht in ihrer Bedeutung missbraucht werden. Das Grundstück, das mit den Tegula Villen bebaut wurde, liegt an der Grenze der Blockrandbebauung und freistehenden Villen. Somit lag für Taufenbach eine gewisse Überleitung der Baumassen nahe.

Wenn wir in eine Gründerzeitbebauung hinein entwerfen, achten wir umgebende Prinzipien.

Christian Taufenbach, Architekt

Mit der Verwendung der Ziegelplatten auf Dach und Wänden konnte der Architekt ein klares und modernes Bild erzeugen. Auch die in der Gründerzeit übliche Sockelbildung wurde beachtet: Bis zu den Stürzen der Erdgeschoss-Fenster wurde mit einer schmaleren Platte gearbeitet. Und ein weiterer Zoll an die Gründerzeit: Die Balkongeländer sind überwiegend schmiedeeisern, wenn auch nicht so rund und verspielt wie damals.

Townhouses: fantasielos statt Bauhaus

Ein solches Projekt durchzusetzen, war im Rückblick nicht einfach. Taufenbach: „Die Sensibilität des Entwurfs ist im Vorfeld oft schwer zu vermitteln. Zu sehr haben sich rücksichtslosere Konzepte in das Bewusstsein der Gesellschaft eingeprägt“, deutet Taufenbach im Blick auf die überall wie Pilze aus dem Boden schießenden „Townhouses“ mit ihren bodentiefen Fenstern und quadratischen Formen an.

Taufenbach kennt die Vorbehalte gegenüber diesen Bauten, und auch das Argument der Bauherren, die sich auf die Entwürfe des „Bauhaus“ berufen. „Die vielzitierte Modernität dieser Bauten oder gar Verweise auf das Bauhaus sind aus meiner Sicht nur hohles Gerede, um Fantasielosigkeit und unsensible Details zu verbrämen“, so Taufenbach. Diese Häuser seien austauschbar und in diesem Sinne kurzlebig.

Großes Geheule in der Nachbarschaft

Nach der Fertigstellung der Tegula Villen war das Feedback der Heidelberger absolut positiv. „Bei den meisten scheint die Freude darüber durch, dass endlich eine Lösung jenseits des üblichen Einheitsbreis gelungen ist“, fasst es Taufenbach zusammen. Natürlich gab es vereinzelte Stimmen dagegen, doch immerhin konnte der Bauträger die neun Wohnungen binnen kürzester Zeit verkaufen. Taufenbach merkt aber an, dass das Haus als Kapitalanlage weniger taugt. Und eine Nominierung gab es auch: die Tegula Villen wurden für den German Design Award 2019 nominiert.

Dass Neubauten in historischen Vierteln auch bisweilen ein großes Geheule der Nachbarschaft auslösen können, zeigte sich bei einem Neubau an der Lennéstrasse in Potsdam, unweit des Schloßparks Sanssouci.

Hier wohnen meist Hauseigentümer, die schon jahrzehntelang im Viertel ansässig sind, und dementsprechend Veränderungen genau wahrnehmen. So genehmigte die Bauverwaltung Potsdam in dieser gediegenen Villen-Nachbarschaft einen Neubau, dessen fünfstöckige Fassade nach Meinung der Nachbarn fast gegen alle relevanten Punkte der Gestaltungssatzung und der Denkmalpflegesatzung verstieß. Zumal in der Nachbarschaft mit Sanssouci auch noch das Weltkulturerbe sitzt, ein Brennpunkt der öffentlichen Wahrnehmung.

Bemängelt wurde auch, dass der Neubau mit fünf Stockwerken die ganze Nachbarschaft überragt – vermutet wird nicht ganz zu Unrecht, dass der Bauherr die Mieteinnahmen an solch exponierte Stelle maximieren wollte. Und nebenbei genießen die Bewohner der oberen Stockwerke so einen ungehinderten Ausblick auf den Schlosspark.

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