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Das denkmalgeschützte Stahlgerüst des Gasometers in Schöneberg wurde mit Sandstrahltechnik vom Rost befreit. Die Arbeiten sind fast beendet.

© Christian Marquardt

Industriedenkmal mit neuem Innenleben: Der Gasometer bleibt

Ein besonderes Bauprojekt: Vor welche Herausforderungen das Wahrzeichen Schönebergs die Sanierungsarbeiten stellt – und wie es in Zukunft genutzt wird.

Von Sabine Hölper

Berlin hat etliche Industriedenkmäler. Der Gasometer in Schöneberg ist eines der bekanntesten. Er ist das Wahrzeichen des Bezirks. Künftig enthält er zudem Büroräume für bis zu 2000 neue Mitarbeiter der Deutschen Bahn, außerdem, ganz oben in der 15. Etage, eine Sky-Lounge. Eine 1000 Quadratmeter große Terrasse rundherum bietet Besuchern ab nächsten Sommer aus 66 Metern Höhe einen 360-Grad-Blick über die Stadt. Den Innenbereich kann man für Feiern mit bis zu 200 Teilnehmern mieten. Euref-Chef Reinhard Müller freut sich auf die neue Bestimmung. „Nichts ist schlimmer als ein ungenutztes Baudenkmal“, sagt er. „Der Gasometer wird die nächsten Hunderte Jahre genutzt.“

Bei einem Baustellenbesuch auf dem Euref-Campus sieht man bereits, wie das Gebäude in Zukunft von außen wirkt. Denn die Arbeiten an der Fassade sind so gut wie abgeschlossen. Die größte Veränderung im Vergleich zur Zeit vor Baubeginn ist das viele Glas. Es verkleidet den Neubau, der mit einem Respektabstand von einem Meter zum Stahlgerüst ins Innere hineingesetzt wurde. Laut Carsten Hofmann, Oberbauleiter beim Unternehmen Wolff & Müller, welches den Gasometer instand setzt und ausbaut, umfasst die Fassade 12.600 Quadratmeter Verglasung mit einem Gesamtgewicht von sage und schreibe 790 Tonnen. „Die schwerste Scheibe wiegt 633 Kilogramm“, sagt Hofmann.

Wahrzeichen Schönebergs: Der Gasometer steht seit 1994 unter Denkmalschutz.

© Christian Marquardt

Ebenfalls von außen ist erkennbar, dass das denkmalgeschützte Stahlgerüst restauriert wird. Unter Einsatz von Sandstrahltechnik wurde es vom Rost befreit. Die Arbeiten sind fast fertig, die Streben glänzen schon wie neu. Nur noch ein paar Meter sind zu bewältigen. Peu à peu hat man dafür ein riesiges Gerüst um das kreisförmige Gebäude herum verschoben. Müller erzählt, dass das Denkmalamt, das bei diesem Vorhaben natürlich viel mitzureden hatte – schließlich steht der Gasometer seit 1994 unter Denkmalschutz –, moniert hatte, dass die mehr als 110 Jahre alte Stahlkonstruktion stark verrostet gewesen sei. Das stimmt zwar. Aber: Durch die fachmännischen Sandstrahlungen konnte der Rost vollständig beseitigt werden. „Alle Teile waren in Ordnung. Wir mussten nicht ein Gramm Stahl auswechseln“, sagt Müller.

Wir wollen den Charakter des Industriedenkmals bewahren.

Carsten Hofmann, Oberbauleiter beim Unternehmen Wolff & Müller

Weiter geht es, ins Innere. Natürlich nicht ohne weiße Helme mit der Aufschrift „Bauleitung“ aufzusetzen. Es wird laut. Überall wird gehämmert und gebohrt. Kabel und Bauteile liegen herum, Arbeiter auf hohen Leitern werkeln emsig an der Fertigstellung der Büroräume und dem Konferenzraum im untersten Bereich. „In den untersten Etagen beginnen die Maler schon mit dem Anstrich“, sagt Müller. Sie streichen die blanken, unverputzten Betonwände. „Wir wollen den Charakter des Industriedenkmals bewahren“, betont Müller. Deshalb wird auf den Böden teilweise auch Industrieparkett verlegt, ferner bleiben die Lüftungsrohre und Elektrokabel unter den Decken sichtbar.

Die Koordination vieler Gewerke ist eine Herausforderung

Man liegt mit den Bauarbeiten zeitlich im Soll. Das ist heutzutage, angesichts massenhafter Bauverzögerungen, eine gute Nachricht. Aber sie ist es noch mehr, wenn man die Herausforderungen dieses besonderen Bauprojektes bedenkt. Alleine die parallelen Arbeiten, sprich die Sanierung des historischen Stahlgerüsts plus die Errichtung des Neubaus im Inneren, bedurfte der Koordination vieler Gewerke. Besonders schwierig ist, dass der Neubau – anders als bei anderen Bauprojekten – nicht frei zugänglich, sondern von dem fast 80 Meter hohen Stahlgerüst umschlossen ist.

Daher muss das gesamte Baumaterial, bis hin zur einzelnen Schalungstafel, von innen an die Stelle, an der es gebraucht wird, transportiert werden. Hofmann erklärt, dass dafür eine logistische Meisterleistung erforderlich ist: „Um diesen vertikalen Material- und Personentransport für eine durchschnittliche Bauleistung von einer Million Euro je Woche sicherzustellen, braucht es eine komplexe Logistik. Im Inneren des Gebäudes gibt es zwei Bauaufzüge. Mithilfe eines Online-Buchungssystems können die beteiligten Firmen Termine für diese Aufzüge buchen.“ Ein Logistik-Polier und ein Aufzugführer koordinierten das Ganze.

Eine weitere Herausforderung ist laut Hofmann der „Fassadeneinbau auf engstem Raum“. Schließlich ist zwischen dem historischen Stahlgerüst und dem Rohbau des entstehenden Bürogebäudes nur gut ein Meter Platz. In diesem engen Spalt mussten alle vorgefertigten Elemente der Glasfassade transportiert werden. Der Fassadenbauer, die FKN Gruppe, hat dies aber gut gelöst: Sie haben jedes Element von unten auf ein Schienensystem mit elektrischem Fahrwagen gehoben. Der Wagen fuhr die Elemente rund um das Gebäude bis zum gewünschten Montageort. Von dort aus wurden sie von einem Minikran in die Höhe gezogen.

Auch das Tragwerk im großen Saal, schon früher als Veranstaltungsort genutzt, wird runderneuert und war eine Herausforderung für die Arbeiter: Damit der gut zwölf Meter hohe Saal, der sich über das Erdgeschoss und erste Geschoss erstreckt, stützenfrei bleiben kann, hat das Team am Bau ein sogenanntes Sprengwerk gebaut: Schräge Streben aus Stahlbeton unterstützen die Träger über dem Saal bei der Übernahme der Lasten, die sonst von Stützen getragen werden müssten.

2024 zieht die Deutsche-Bahn-Tochter DB Digital Ventures ein

Müller führt durch die Etagen und erklärt viel und ausführlich. Als Architekt hat er Ahnung von der Materie. Und als Bauherr ist er sichtlich stolz auf die moderne Architektur, die offen gestalteten Büros, die teilweise Loggien haben. Ende Januar 2024 werden die 28.000 Quadratmeter Büroflächen an die Deutsche-Bahn-Tochter DB Digital Ventures übergeben, im Juni soll dann offizielle Eröffnung sein. Dann beginnt eine neue Ära im Gasometer, der früher Teile von Schöneberg mit Energie versorgte.

Nicht jedem gefällt das. Es gab Proteste von Anwohnern. Sie finden, dass der Charakter des Denkmals durch die Glasfassade zerstört wird. Müller bleibt gelassen. „Es gibt immer Proteste“, sagt er. Aber warum so viel Glas verwendet wurde, in Zeiten von Klimawandel und immer heißeren Sommern, möchte man schon gerne wissen. Und verändert es nicht tatsächlich die Anmutung des Gebäudes? „Nein“, sagt Müller entschieden. Erstens habe man sich für Glas rundherum entschieden, weil die Mitarbeiter „rausschauen wollen“. Zweitens: Abends sowie bei zu viel Sonneneinstrahlung fahren Sonnenschutzlamellen herunter und verdunkeln die sowieso getönten, nicht spiegelnden Scheiben. „Somit ändert sich am Erscheinungsbild des Gasometers so gut wie nichts.“

Zudem wirke sich das Glas nicht negativ auf die Energiebilanz aus. Im Gegenteil. „Das Gebäude ist nach KfW-Standard 55 gebaut, es verbraucht extrem wenig Energie“, sagt Müller. Dafür sorgen intelligente Systeme wie eine Betonkernaktivierung sowie Heizschlangen in den Decken, die mit einer geringen Vorlauftemperatur das Gebäude sowohl heizen als auch kühlen.

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