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Zartes Pflänzchen: Der Anbau von Medizinalcannabis, wie hier in einem israelischen Gewächshaus, läuft auch in Deutschland an.

© Foto: Jim Hollander/dpa

Cannabis als Medizin: Corona verzögert erste legale Hanf-Ernte

Noch ist der Anbau von Medizinalcannabis in Deutschland ein Experiment – dessen erste Ergebnisse wegen Corona wohl auf sich warten lassen.

Die Cannabisagentur muss länger als erwartet auf die ersten Lieferungen von in Deutschland angebautem Medizinalcannabis warten: In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Kirsten Kappert-Gonther und anderen Fraktionsmitgliedern teilt die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Sabine Weiss (CDU), mit, dass es pandemiebedingt zu Lieferverzögerungen kommen wird.

Nun zeige sich, dass die „Betriebsbauvorhaben der vergaberechtlichen Vertragspartner in Teilschritten beeinträchtigt“ würden. Ursprünglich waren die ersten Lieferungen an die Cannabisagentur für Ende 2020 geplant gewesen. Die Cannabisagentur ist ein Organ des Bundesinstituts für Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), das für den Ankauf von in Deutschland angebautem Medizinalcannabis und die Überprüfung von Anbau, Transport und Vertrieb verantwortlich ist.

Deutsche Produktion deckt nur geringen Teil des Bedarfs

Auch wenn Ernte und Vertrieb von deutschem Cannabis begonnen haben werden, wird Deutschland von Importen abhängig bleiben: Aus den Antworten des BMG geht hervor, dass in den kommenden vier Jahren pro Quartal 650 Kilo Cannabis mit unterschiedlichen Anteilen an Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) produziert werden sollen.

Das ist eine geringe Menge im Verhältnis zur stetig wachsenden Nachfrage nach Medizinalcannabis: Im zweiten Quartal 2020 wurden alleine 2.619 Kilo Cannabis für den Vertrieb als Blüten (insgesamt 2.349,3 Kilo) und zur weiteren Verarbeitung (269,6 Kilo) importiert.

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Selbst wenn der Konsum stagnieren würde, könnte die deutsche Eigenproduktion vier Jahre lang also nur 24,8 Prozent des Quartalsverbrauchs decken. Dabei wächst der Bedarf aber kontinuierlich: Bei den Blüten steigerte sich die importierte Menge zwischen dem ersten Quartal 2017 und dem zweiten Quartal 2020 um das 18-fache, bei zu verabeitendem Medizinalcannabis um den Faktor 3,9.

Das BMG sieht darin allerdings kein Problem: Medizinisch verordnetes Cannabis unterliege, ebenso wie andere Medikamente, dem freien Markt, heißt es in der Antwort. Importe seien deshalb weiterhin möglich. Derzeit importieren deutsche Medizinalcannabisdistributoren insgesamt 47 Sorten aus Kanada, Portugal, den Niederlanden und Dänemark.

Die Antwort liefert auch neue Zahlen zu den Ablehnungsraten bei Anträgen auf Kostenerstattung von Medizinalcannabis durch die gesetzlichen Krankenversicherungen. Laut GKV-Spitzenverband werden etwa 40 Prozent der Anträge abgelehnt – dabei soll dies nur „in begründeten Einzelfällen“ möglich sein.

Kirsten Kappert-Gonther sagt dazu: „Patientinnen und Patienten, die Cannabis als Medizin benötigen, müssen endlich ernst genommen werden. Eine Ablehnungsquote von 40 Prozent der Anträge ist nicht plausibel zu rechtfertigen.“

Grüne fordern Lockerung bei CBD

Die Bundestagsabgeordnete kritisierte die zögerliche Haltung der Bundesregierung beim Thema CBD: Sie wirft der Regierung vor, den Neubewertungsprozess von Cannabis und seinen Bestandteilen zu verschleppen. Besonders das nicht psychoaktiv wirkende CBD werde zu streng bewertet.

Eigentlich hätte die UN-Kommission für Betäubungsmittel (CND) auf ihrer 63. Sitzung im März Vorschläge zur Neubewertung vorlegen sollen. Die Entscheidung wurde auf die nächste Zusammenkunft verschoben. Die Bundesregierung hätte zu dem CBD betreffenden Beschluss allerdings noch Fragen eingereicht und nicht allen Vorschlägen bedingungslos zugestimmt, wie es in der Antwort heißt.

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Kappert-Gonther hält das für unnötig. „Die Bundesregierung verschleppt den Prozess der WHO zur Neubewertung von Cannabis, statt mit der EU voranzugehen. Die Bundesregierung ist aufgefordert, bei der nächsten Sitzung im Dezember die Herausnahme von dem nicht psychoaktiv wirkenden CBD aus der internationalen Drogenkontrolle zu forcieren“, teilt sie mit.

In Deutschland befindet sich CBD in einer Grauzone: Da die Substanz und sie enthaltende Produkte als Novel Food gelten, müssten Hersteller und Verkäufer einzeln Anträge bei der EU stellen. Derzeit sind 55 Anträge anhängig. Somit machen sich alle aktiven Verkäufer mindestens einer Ordnungswidrigkeit strafbar.

Die EU-Kommission hatte im Februar beschlossen, dass CBD weiterhin als neuartiges Lebensmittel einzustufen ist, da medizinische Wirkungen nicht nachgewiesen sind.

Das sollte sich ändern, meint Kappert-Gonther: „CBD für die medizinische Nutzung wird von der Bundesregierung schändlich vernachlässigt, da nur THC-haltige Sorten zum Anbau vorgesehen sind.“ Tatsächlich sollen auch 100 Kilo Cannabis mit jeweils vier bis neun Prozent THC- und CBD-Gehalt angebaut werden.

Grüne wollen Legalisierung, Bundesregierung ist dagegen

Kappert-Gonther und ihre Fraktionskollegen fordern neben verstärktem Anbau und Forschungsförderung eine kontrollierte Legalisierung von Cannabis: „Vor zwei Jahren hat Kanada die kontrollierte Abgabe von Cannabis beschlossen und umgesetzt. Die Bundesregierung weigert sich, anzuerkennen, dass die gesundheitsfördernden Folgen auf Deutschland übertragbar sind“, teilt Kappert-Gonther mit.

Diese Forderung wiederholte sie angesichts des Europäischen Drogenberichts, der gestern veröffentlicht wurde. Dort wird Cannabis weiterhin als wichtigste illegale Droge aufgeführt, mit einer fünf Mal so hohen Prävalenz im Verhältnis zu allen anderen Drogen zusammengenommen. „Die Antwort auf den Europäischen Drogenbericht darf nicht noch mehr nutzlose Repression sein“, so Kappert-Gonther.

Die Bundesregierung hält dagegen in ihrer Antwort an einer strikten Trennung zwischen medizinisch verordneter Abgabe und Freizeitgebrauch fest: Auch lokale Modellprojekte, wie sie etwa Bremen und Berlin vorgeschlagen hatten, seien nicht zulässig, da sie nicht mit dem Betäubungsmittelgesetz vereinbar seien.

In einer früheren Version dieses Artikels stand die Angabe, dass insgesamt in vier Jahren 650 Kilo Cannabis produziert werden sollten und dies nur 1,6 Prozent des Bedarfs bei stagnierender Menge decken könnte. Das ist nicht korrekt: Es sollen 650 Kilogramm pro Quartal produziert werden, somit würden 24,8 Prozent des Bedarfs gedeckt, sollte er auf dem Stand des zweiten Quartals 2020 bleiben. Der Fehler wurde korrigiert und wir bitten ihn zu entschuldigen.

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