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Der deutschen Wirtschaft droht eine heftige Rezession.

© AFP/TOBIAS SCHWARZ

Rekord-Inflation und Konjunkturcrash: Der deutschen Wirtschaft droht ein heftiger Absturz

Prognosen und Zahlen für die deutsche Wirtschaft sind ernüchternd. Die Hilfsmaßnahmen ändern daran nichts - oder könnten die Inflation sogar befeuern.

Einen „Doppel-Wumms“ nannte Scholz die Energiepreisbremse, auf die sich die Koalitionäre der Ampel am Donnerstag geeinigt haben. Mit einem 200 Milliarden Euro schweren Paket will sie die Bürger vor den schlimmsten Folgen der Krise schützen. Doch gleich zwei Hiobsbotschaften noch am selben Tag zeigten, dass die neue Preisbremse bei weitem nicht alle Probleme lösen kann. Zu groß ist die Krise, in der die Weltwirtschaft derzeit steckt.

Die ersten ernüchternden Zahlen kamen am Vormittag von den führenden Wirtschaftsforschungsinstituten der Bundesrepublik. Im Fall einer Gasmangellage könnte Deutschland nach ihrer Ansicht 2023 in eine beispiellose Rezession rutschen. Dann dürfte die Wirtschaft um 7,9 Prozent schrumpfen, erklärten die Ökonominnen und Ökonomen in ihrem Herbstgutachten für die Bundesregierung.

Der zweite Schrecken folgte am Mittag: Auf zehn Prozent stieg die Inflation im September laut der ersten Schätzung des Statistischen Bundesamtes. Es ist der höchste Wert seit 1951.

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Die Wirtschaft schrumpft stärker als gedacht

Doch zunächst zum Negativ-Szenario der Ökonomen: Zu dieser Konstellation komme es bei einem kalten Winter und fehlenden Einsparungen beim Energieverbrauch, heißt es in der Studie. Die Fachleute gehen in ihrer Basisrechnung aber davon aus, dass eine Notlage trotz angespannter Energieversorgung wohl verhindert werden kann.

Dieses Jahr erwarten sie 1,4 Prozent Wirtschaftswachstum und 2023 einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 0,4 Prozent. 2024 dürfte die Wirtschaft wieder 1,9 Prozent zulegen, im Risikomodell allerdings noch um 4,2 Prozent schrumpfen.

„Der russische Angriff auf die Ukraine und die daraus resultierende Krise auf den Energiemärkten führen zu einem spürbaren Einbruch der deutschen Wirtschaft“, sagte Konjunkturchef Torsten Schmidt vom Essener RWI-Institut.

Die hohen Energie- und Lebensmittelpreise dürften auch im kommenden Jahr steigen und für deutliche Kaufkraftverluste sorgen. Dies führe zu weniger Konsum und bremse damit auch die Dienstleister. „Dieser Schock wirkt durch die Wirtschaft durch.“ Sowohl einkommensschwache Haushalte als auch Firmen seien auf weitere staatliche Hilfen angewiesen.

Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute stellten am Donnerstag ihr Herbstgutachten vor.
Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute stellten am Donnerstag ihr Herbstgutachten vor.

© Foto: dpa/Britta Pedersen

Die Forscherinnen und Forscher appellierten jedoch in Richtung der Politik, bei den Unternehmen dürfe es nicht zu dauerhaften Subventionen kommen. Die Koalition dürfe die Fiskalpolitik „nicht als Gießkanne“ einsetzen, warnte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser.

Energiepreisbremse könnte kontraproduktiv sein

Somit sehen die Ökonomen auch die Gaspreisbremse kritisch. Stefan Kooths vom Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) sagte, sie erfordere „massive Investitionen“ und wirke nicht so „fokussiert“, dass sie nur diejenigen entlaste, die darauf angewiesen seien.

8,8 %
beträgt die Inflation laut dem Herbstgutachten im Jahr 2023

So fördere die Gaspreisbremse den Preisauftrieb, was wiederum die ärmeren Haushalte besonders belaste. Damit würde die Politik dieser Gruppe einen „Bärendienst“ erweisen. Wichtig seien hingegen gezielte Maßnahmen für ärmere Haushalte, die sich ihren Lebensunterhalt nicht mehr leisten könnten. Dann würde es Firmen auch leichter fallen, höhere Energiepreise weiterzureichen. Dies sei ein harter Weg für die Betroffenen, aber ökonomisch am besten.

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Die Inflation werde von 8,4 Prozent im Jahresschnitt 2022 dann nächstes Jahr auf 8,8 Prozent klettern und sich erst wieder 2024 auf 2,2 Prozent beruhigen, heißt es im Gutachten. Die hohen Gaspreise kehren den Instituten zufolge vorerst nicht auf ihr altes Niveau zurück.

„Das bedeutet einen Wohlstandsverlust der deutschen Bevölkerung, den die Wirtschaftspolitik nicht ausgleichen kann“, sagte Schmidt. So falle die Wirtschaftskraft 2022 und 2023 insgesamt um 160 Milliarden Euro niedriger aus, als noch im Frühjahr erwartet.

Inflation dürfte noch weiter steigen

Tatsächlich fiel auch die Teuerung im September stärker aus als von Experten erwartet. Die zehn Prozent sind deutlich mehr als von vielen Ökonomen geschätzt, die nur mit einem Anstieg auf 9,4 Prozent gerechnet hatten. Im August hatte der Wert bei 7,9 Prozent gelegen. „Mit diesem neuen 70-Jahres-Hoch ist allerdings der Höhepunkt der Inflation leider noch nicht erreicht“, kommentiert aber etwa Sebastian Dullien vom gewerkschaftsnahen IMK-Institut. „In den kommenden Monaten wird es noch weiter aufwärts gehen.“

„Die Inflationsrate durchbricht die Schallmauer", meint auch Chefökonom Thomas Gitzel von der VP Bank. Mit einer raschen Beruhigung sei nicht zu rechnen, die Teuerung werde vorerst im zweistelligen Bereich bleiben. „Der Preishammer kommt derzeit von Strom und Gas“, sagte KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib. „Denn nach und nach sickern die exorbitanten Großhandelspreise zu den Haushalten durch.“ Einen Vorgeschmack böten die extrem höheren Neuvertragspreise.

Die Preise im Supermarkt sind merklich angestiegen.
Die Preise im Supermarkt sind merklich angestiegen.

© imago images/Martin Wagner

Regional gibt es leichte Unterschiede bei der Inflation. In Nordrhein-Westfalen etwa stieg die Jahresteuerung auf 10,1 und in Bayern sogar auf 10,8 Prozent. Bergauf ging es auch in Brandenburg mit 9,9 Prozent, in Baden-Württemberg mit 9,5 Prozent und in Hessen mit 9,4 Prozent.

Was tun gegen die Inflation?

In der Gemeinschaftsdiagnose kritisieren die Ökonomen zudem die Europäische Zentralbank (EZB) dafür, dass sie zu spät eine Zinswende eingeleitet habe. Die nächste Zinssitzung findet im Oktober statt. Inzwischen mehren sich die Stimmen auch in der EZB, die einen weiteren XXL-Zinsschritt in den Raum stellen. Auch Litauens Zentralbankchef Gediminas Simkus sprach sich für eine weitere Zinsanhebung um 0,75 Prozentpunkte aus. „Meine Wahl wäre 75“, sagte er am Donnerstag zu Bloomberg TV. Der unerwartet kräftige Inflationsanstieg sei ein Argument dafür.

Meine Wahl wäre 75

Gediminas Simkus, Litauens Zentralbankchefin spricht sich für eine starke Zinserhöhung aus

Die Bürger merken die Folgen schon lange. Die höhere Teuerungsraten schmälern die Kaufkraft von Verbraucherinnen und Verbrauchern, diese können sich für einen Euro weniger leisten. Nach einer Umfrage des Handelsverbandes Deutschland (HDE) schränken sich bereits 60 Prozent der Verbraucher beim Einkaufen ein. Für die kommenden Monate richten sich demnach sogar 76 Prozent der Befragten darauf ein, sparsamer einzukaufen.

Geschäfte wie die Modekette H&M merken das. Die weltweite Nummer zwei hinter der spanischen Zara-Mutter Inditex musste im dritten Quartal einen Gewinneinbruch verkraften. Sowohl die Energiekosten als auch die Kaufzurückhaltung erschweren das Geschäft, wie das Unternehmen am Donnerstag mitteilte.

Weitere Hilfen gefordert

Anders als den Einzelhandel wähnen die Ökonomen die deutsche Industrie verhältnismäßig stabil, weil die Auftragsbücher noch gut gefüllt sind. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) beklagte aber, hohe und schwankende Energiepreise machten die Industrieproduktion immer unkalkulierbarer.

Wegen der anstehenden Rezession und explodierender Energiepreise forderte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) entschlossenes Handeln der Regierung. „Alle Kraftwerke, die Energie liefern können, müssen ans Netz und bis zum Ende der Energiekrise am Markt bleiben“, sagte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund appellierte an Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), die Schuldenbremse auch 2023 auszusetzen und den „Kürzungskurs“ zu verlassen. „Er darf Deutschland nicht in die Krise sparen", sagte DGB-Vorstand Stefan Körzell und mahnte weiter gezielte Entlastungen für die Bevölkerung an. Bleibt die Frage, wie viele 200-Milliarden-Pakete sich Deutschland noch leisten kann. (mit dpa/rtr)

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