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Neu-Ukrainer. Wirtschaftsminister Aivaras Abromavicius ist erst seit November Staatsbürger des osteuropäischen Staates – und seit gut 100 Tagen als Minister im Amt.

© Mike Wolff

Alexis Tsipras zu Besuch in Russland: Ukrainischer Wirtschaftsminister: "Ich bin enttäuscht"

Der ukrainische Wirtschaftsminister Aivaras Abromavicius spricht über den griechischen Flirt mit Wladimir Putin, die Zukunft seines Landes und sein monatliches Gehalt.

Herr Minister, sind Sie mit der Bibel vertraut?

Ich bin Katholik – von daher ja, auszugsweise.

Der Kampf zwischen David und Goliath, ist das ein Bild, das Sie an Ihre eigene Lage erinnert?

Wir sind tatsächlich in einer sehr schwierigen Situation. Im Osten des Landes wütet ein Krieg, gleichzeitig haben wir mit einem massiven Rückgang der Wirtschaftsleistung zu kämpfen. Die Aufgabe eines Ministers ist es aber, nach vorne zu blicken.

Und das gelingt Ihnen?

Ich bin jetzt seit 100 Tagen im Amt, und es gibt tatsächlich erste vorzeigbare Ergebnisse. Die Ukraine hat ein Regulierungsproblem, weltweit haben wir da die schlechtesten Rahmenbedingungen. Wir haben mittlerweile zwei Gesetze verabschiedet und 171 andere Gesetzesinitiativen auf den Weg gebracht, um das zu ändern.

Zum Beispiel?

Es gab bei uns Kerosin-Zertifikate, die den Binnenhandel geschwächt haben: Wer Weizen in einen anderen Landesteil bringen wollte, musste sich für jede Tonne von den Behörden ein Zertifikat ausstellen lassen. Jedes Zertifikat hat die Unternehmen etwa einen Dollar gekostet. Wir haben diese Barriere abgeschafft – und viele andere auch.

Das wird nicht reichen: 2014 ist das ukrainische Bruttoinlandsprodukt laut IWF um 6,8 Prozent geschrumpft. Für dieses Jahr prognostiziert der Währungsfonds sogar einen Rückgang um sieben Prozent.

Es ist aber zumindest ein Anfang. Wenn es uns gelingt, diese Gesetze innerhalb der kommenden zwölf Monate zu implementieren, bin ich optimistisch, dass wir 25 Plätze auf dem „Doing-Business“-Index der Weltbank gewinnen. Jeder Platzgewinn auf der Liste bedeutet einen Anstieg der Auslandsinvestitionen um 600 Millionen Dollar.

Ihr Land strebt die EU-Mitgliedschaft an, was kann Ihre Wirtschaft der EU bieten?

Die Ukraine war und ist Europas Brotkorb: Bis vor Kurzem waren wir weltweit der siebtgrößte Weizenexporteur. Weil ein großer Teil unser Agrarindustrie aber in den vorübergehend besetzten Gebieten angesiedelt ist, sind wir auf Platz zehn abgerutscht. Im vergangenen Jahr haben wir dennoch eine Rekordernte von 63 Millionen Tonnen eingefahren – in absehbarer Zeit hoffen wir, die Marke von 100 Millionen Tonnen zu knacken.

Die Agrarindustrie als Zukunftsbranche? Das klingt nicht nach einer nachhaltigen Wachstumsstrategie …

Wir hoffen natürlich auch in anderen Branchen Fuß zu fassen, aber das braucht Zeit. Die Chancen stehen gut, in der Ukraine etwa ein IT-Cluster zu etablieren, das ausgelagerte Aufträge aus dem Ausland anlocken könnte. Angesichts der vergleichsweise geringen Arbeitskosten und unserer Infrastruktur haben wir einen echten Wettbewerbsvorteil.

Neben dem Krieg und der Überregulierung lastet auch die Korruption auf Ihrem Land. Wie wollen Sie das Problem angehen?

Je geringer die Rolle des Staates in der Wirtschaft ausfällt, desto geringer ist auch die Korruption. Denn wo staats- und privatwirtschaftliche Interessen kollidieren, droht Korruption. Ich habe die Zahl der Angestellten in meinem Ministerium drastisch gekürzt – 30 Prozent im ersten Monat und 50 Prozent im Gesamtjahr. Ich habe alle Vizeminister und die meisten Abteilungsleiter gefeuert und gleichzeitig neue Leute in das Ministerium gebracht, die bisher nicht in der öffentlichen Verwaltung gearbeitet haben. Darunter auch viele Mitarbeiter, die es sich leisten können, sechs Monate bis zwei Jahre auch ohne Vergütung für uns zu arbeiten. Ich hoffe, dass wir bis dahin eine Verwaltungsreform in Gang gesetzt haben, die uns erlaubt, die Bürokratie deutlich zu senken. Wenn uns das gelingt, wird auch wieder die Vergütung unserer Mitarbeiter steigen.

Dann sei die Frage erlaubt, wie viel der ukrainische Wirtschaftsminister verdient?

Umgerechnet etwa 200 Dollar.

Sie waren ein erfolgreicher Investmentbanker und haben sich entschieden, für 200 Dollar im Monat einen Staat zu sanieren, dessen Wirtschaft vor dem Kollaps steht. Was bewegt jemanden zu einem solchen Schritt?

Ich wohne in Kiew an der Straße, an der die Demonstrationen stattfanden, ich habe sie von meinem Fenster aus gesehen und ich habe sie – wie jeder andere in der Stadt auch – unterstützt. Ich lebe seit sechs Jahren in Kiew, ich bin mit meiner Frau, einer Ukrainerin, seit zehn Jahren verheiratet. Ich bin also nicht komplett fremd im Land. Als ich gefragt wurde, ob ich nach den Protesten helfen wolle, das Land aufzubauen, fühlte ich mich geehrt.

Sie haben von den „vorübergehend besetzten Gebieten“ gesprochen, die Krim geben Sie also noch nicht verloren?

Selbstverständlich nicht. Diese Region war Teil unseres Landes und wird es auch bleiben. Ich bin optimistisch, dass wir zu gegebener Zeit mit diplomatischen Mitteln eine Lösung finden werden.

Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk hat angesichts der russischen Politik vor einer „Bedrohung für die globale Ordnung“ gewarnt. Teilen Sie seine Einschätzung?

Definitiv. Russland hat uns einen Konflikt aufgezwungen, in dessen Verlauf mittlerweile 6000 Menschen auf beiden Seiten ihr Leben verloren haben und weitere 15 000 Menschen verletzt wurden. Mehr noch, die europäischen Grenzen wurden neu gezogen und damit die Stabilität in der gesamten Region gefährdet. Mir ist klar, dass auch noch andere Dinge in der Welt passieren. Aber die Ukraine kämpft nicht allein für ihr eigenes Überleben, für ihre eigene territoriale Integrität, sondern für die Stabilität auf dem gesamten europäischen Kontinent.

Der griechische Ministerpräsident Tsipras reist an diesem Mittwoch nach Russland. Gerüchten zufolge sollen dort auch Gespräche über russische Finanzhilfen für Griechenland geführt werden. Gerät das europäische Sanktionsregime ins Wanken?

Die zunehmende Uneinigkeit und fehlende Geschlossenheit der europäischen Staaten in ihrem Verhältnis zu Russland beobachte ich tatsächlich mit großer Sorge. In unserem Land wurden Menschen verschleppt, verprügelt, gefoltert und haben ihr Leben verloren, weil sie für die Werte Europas aufgestanden sind. Es ist enttäuschend zu sehen, dass einige Nationen in Europa kurzzeitige ökonomische Vorteile über das Leben von Menschen heben.

Zurück zu David und Goliath: Haben Sie manchmal Angst, Sie könnten scheitern?

Nein, wer sich bemüht und sein Herzblut in die Arbeit steckt, wird auch positive Resultate ernten.

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