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Jörg Hofmann und Christiane Benner beim letzten Gewerkschaftstag 2019.

© picture alliance/dpa/Daniel Karmann

Zurück an die Basis: Die IG Metall wird demokratischer

Nach acht Jahren an der Spitze tritt Jörg Hofmann ab. Die Grundlagen für die kommenden Jahre sind gelegt, die Mitgliederzahl ist stabil. Christiane Benner wird neue Vorsitzende.

Wechsel an der Spitze der IG Metall sind in der Regel wenig aufregend: Ein Mann aus Baden-Württemberg löst einen Mann aus Baden-Württemberg ab. In diesem Jahr ist das anders. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte, die bis 1891 zurückreicht, bekommt die größte Industriegewerkschaft der freien Welt eine Vorsitzende.

Und sie stammt nicht aus Baden-Württemberg, dem Kernland der Gewerkschaft, wo die härtesten Arbeitskämpfe durchgestanden wurden. Christiane Benner ist 1968 Aachen geboren.

2,1 Millionen Mitglieder und 2600 Angestellte

„Ein Silberrücken an der Spitze – das hat sich überlebt“, sagt Jörg Hofmann, der letzte Silberrücken der IG Metall. Acht Jahre hat der Schwabe die Gewerkschaft geführt und geprägt. Mit seinem Renteneintritt beginnt eine neue Zeit: Die hierarchisch geführte Großorganisation mit 2600 Angestellten und 2,1 Millionen Mitgliedern, die im Jahr 600 Millionen Euro Beiträge zahlen, verschreibt sich der Teamarbeit und der Basisdemokratie.

„Die IG Metall vom Betrieb aus denken“, war das Lieblingsprojekt Hofmanns in den vergangenen vier Jahren. Zu den Projektergebnissen gehört die Verkleinerung des geschäftsführenden Vorstands von sieben auf fünf Köpfe und dadurch die Verschiebung von Ressourcen aus der Frankfurter Zentrale in die Fläche. Basis der IG Metall sind 150 Verwaltungsstellen, aber vor allem die Betriebe, in denen sich 110.000 gewerkschaftliche Vertrauensleute und fast 60.000 Betriebsräte um die Belange der Metaller kümmern.

20
Prozent der Beschäftigten in Deutschland gehören einer Gewerkschaft an.

„Der gewerkschaftliche Organisationsgrad im Ganzen ist mittlerweile unter 20 Prozent gesunken“, heißt es in einem Papier des Vorstands für den Gewerkschaftstag. Nach tristen Coronajahren hat sich die IG Metall 2023 immerhin stabilisiert und verliert trotz Rezession kaum Mitglieder. Doch es wird schwieriger, insbesondere junge Leute für ein gewerkschaftliches Engagement im Betrieb zu gewinnen. „Wir sind eine Mitgliederorganisation, die sich einen großen hauptamtlichen Apparat leistet“, sagt Klaus Abel, der das Projekt „Vom Betrieb aus denken“ organisiert hat. „Die Leute mitnehmen – diese Aussage ist Quatsch“, sagt Abel. „Man muss die Leute beteiligen.“ Die IG Metall demokratisieren.

Keine andere Gewerkschaft bekommt so viele Beschäftigte auf die Straße wie die IG Metall.

© dpa/Paul Glaser

Der Umgang mit der Größe des Vorstands ist beispielhaft für den Wandel. 2011 scheiterte ein Versuch der damaligen Führung, das Gremium auf fünf Mitglieder zu verkleinern, auf dem Gewerkschaftstag. Über Nacht mussten damals die fehlenden zwei Vorstandsmitglieder aufgetrieben werden – die Wahl fiel auf Christiane Benner und Jürgen Kerner. „Wir waren 2011 der Betriebsunfall“, sagt Benner. Ein Unfall mit Folgen. Am kommenden Montag wird das Duo Benner/Kerner an die Spitze der Gewerkschaft gewählt.

Von oben verfügte Reform scheiterte 2011

Die Reform der Führung misslang damals, weil sie von oben verfügt worden war. In diesem Herbst, zwölf Jahre später, steht die Verschlankung der Spitze sowie die Verlagerung von Ressourcen von oben nach unten am Ende eines längeren Prozesses, der von der Basis geprägt wurde.

„Aufbruch“ haben die Autoren das Buch genannt, mit dem Jörg Hofmann aus dem Amt verabschiedet wird. Aufbruch kommt dem Betrachter beim ersten Blick auf den behäbigen Schwaben nicht in den Sinn. Dabei hat Hofmann, der im Dezember 68 Jahre alt wird und seit einigen Jahren in Berlin-Pankow lebt, der IG Metall einen zeitgemäßen Kurs verpasst. Er ist stolz darauf, dass die Metaller seiner ökologischen Themenstellung gefolgt sind.

Erfolgreich als Lobbyist in Berlin unterwegs: Jörg Hofmann

© Thilo Rückeis TSP

Im Juni 2019 etwa, als 50.000 in Berlin auf einer „FairWandel“-Kundgebung für die Zukunft der Industrie, für Mitbestimmung und Arbeitsplatzsicherheit demonstrierten. Und für eine zügige Mobilitäts- und Energiewende. Hofmann, stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender von VW, warb für bezahlbarer E-Autos und Batteriezellenfabriken, als die Konzerne davon nichts wissen wollten.

Hofmanns Mikromanagement ging eigenen Leuten auf die Nerven

In seinem Ministerium hätten die Fachleute gestaunt über Hofmanns tiefe Kenntnis der Materie, als zu Beginn der Coronazeit gemeinsam mit den Sozialpartnern Krisenmaßnahmen entworfen wurden, erzählte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kürzlich beim Hausfest der Gewerkschaft in Kreuzberg. Die Detailversessenheit ist Stärke und Schwäche zugleich, Hofmanns Mikromanagement ging den eigenen Leuten auf die Nerven. Der Chef machte gerne alles selber.

In der Berliner Regierungsszene war Hofmann präsent wie kein IG-Metall-Vorsitzender vor ihm, was unter anderem zu einer 200-Millionen-Euro-Förderung der Transformation in den Autoregionen führte. Tarifpolitisch konnten ihm die Klassenfeinde an der Spitze des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall nicht das Wasser reichen. Hofmann vereinbarte erstmals ein Wahlrecht: Schichtarbeiter oder Beschäftigte, die Kinder oder zu pflegende Angehörige haben, können sich entscheiden zwischen freien Tagen und Geld.

Eine Wahloption für (zumeist männliche) Schichtarbeiter – das verstanden die Metaller. Aber auch für (zumeist weibliche) Beschäftigte mit zu pflegenden Angehörigen? Hofmann setzte das durch, der Tarifvertrag mit Wahlmöglichkeit ist ein Erfolg. Ein paar Jahre später brachte der oberste Metaller während der Coronazeit eine Arbeitszeitverkürzung (Vier-Tage-Woche) ins Spiel, um Arbeitsplätze zu sichern. Die Zeit war damals noch nicht reif, doch das Thema war gesetzt und ploppte in diesem Jahr mit medialer Wucht auf.

Weil nichts bleibt, wie es war. Christiane Benner und Jürgen Kerner dürfen die Geschichte der IG Metall weiterschreiben. Mit Beteiligung der Mitglieder.

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