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Kolumnenseite – Besser wissen

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„Besser wissen“: Probleme, die eigentlich keine sind

„Spaltung der Gesellschaft“? „Infodemie“? Lasst uns aufhören, Probleme herbeizureden. Wir haben nämlich genug echte auf dem Zettel. Zwei Vorschläge.

Eine beliebte Zeitdiagnose lautet: Unsere Gesellschaft ist gespalten, wir gehen in Missinformation unter, und Schuld daran sind die sozialen Medien. Alle drei sind oberflächlich und ungenau – und sie führen überhaupt nicht weiter, wenn man den Herausforderungen der heutigen Gesellschaft wirkungsvoll begegnen will.

Beispiel Spaltung: Stefan Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser haben in ihrem Buch „Triggerpunkte“ gezeigt, dass eine solche Spaltung in zwei Lager, die angeblich nicht mehr miteinander sprechen könnten, empirisch in Deutschland nicht zu zeigen ist. Wohl aber gibt es Konflikte, die durch extreme Standpunkte von den Rändern des Meinungsspektrums aufgeheizt werden. Dadurch gerät die sonst eher wohltemperierte Mitte in Wallung. Sie fühlt sich polarisiert, auch wenn sie es nicht ist; sie redet über Polarisierung – und redet sie dadurch in gewisser Weise herbei. Das Problem sollte man laut der Autoren viel ernster nehmen, denn das nagt an der Resilienz der Gesellschaft.

Ein bisschen ähnlich herbeigeredet ist die „Infodemie“, also der Annahme, dass Massen an Misinformationen unser diskursives Ökosystem vollmüllten, so dass Fakt nicht mehr von Fiktion zu unterscheiden sei. Was bringt es, zu behaupten, dass es noch nie in der Geschichte der Menschheit eine solche Infodemie gab, und dass sie noch nie so schädlich war? Nichts, sagen die Wissenschaftler Nicole M. Krause, Isabelle Freiling und Dietram A. Scheufele, denn diese Annahmen sind empirisch nicht nachweisbar und führen daher nur zu einem: einer Infodemie über die angebliche „Infodemie“.

Viel besser wäre es, Missinformationen wie etwa die über Masken („bringt nichts“) oder die Erde („ist flach“) genau auf kommunikative Nuancen hin zu analysieren: In welche Richtung pushen die Algorithmen der sozialen Medien die Debatte? Wie sicher und unsicher ist die damit verbundene Forschung? Gibt es unterschiedliche Auffassungen in Politik und Wissenschaft, was wie die Situation wirklich ist? Und wie viele Menschen können durch Falschinformation zu Schaden kommen?

Wer diesen Kriterienkatalog anwendet, kann wirksamer gegen Missinformationen vorgehen – und wird auch weniger Opfer einer der größten Infodemien: Dass man einfach nur „Fakten“ in die Welt pusten muss, und dann wird alles gut.

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