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Kolumnenseite – Besser wissen

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„Besser wissen“: Von der Aids-Hilfe lernen

Würden wir heute besser und schneller über Aids aufklären können als vor 40 Jahren? Nein. Und ja.

Wo denn mein Lieblingsfriseur sei, fragte ich in einem Friseursalon im Berliner Nollendorf-Kiez Anfang der 1990er Jahre. Der sei ausgewandert, sagte ein Kollege nach einer bedeutungsschweren Pausen.

Das war Code für „an Aids gestorben“, und es verschlug uns beiden dann erstmal für eine ganze Weile die Sprache. Dass Menschen plötzlich von der Bildfläche verschwanden, von einer Krankheit dahingerafft, für die es keine Therapie gab, war immer wieder ein Schock – bis 1996 die Kombinationstherapie eingeführt wurde. Sie machte die Krankheit quasi zu einer chronischen: Die Patienten erlebten ihre Diagnose zwar immer noch als furchtbar, aber nicht mehr als Todesurteil.

Auch zurückgegangen ist seitdem die Stigmatisierung von Homosexuellen, die mit ihrem „Lebensstil“ verantwortlich gemacht wurden für die „Seuche“. Wesentlichen Anteil daran, eine im Grunde verklemmte Gesellschaft zu einem aufgeklärten Umgang mit Aids zu bewegen, war die Deutsche Aids-Hilfe, die vor 40 Jahren gegründet wurde. „Gib Aids keine Chance“ und Plakate mit bunten Kondomen trugen womöglich zu einer Normalisierung bei – Sex ist normal, homosexueller Sex ist normal, nehmt halt ein Kondom, Leute.

Wie würde mit einer solchen Krankheit heute umgegangen, in Zeiten von Sozialen Medien und der Ab- oder Aufwertung von Menschen oder ganzen Gruppen auf einen Klick? Heute ist man weniger verklemmt und Wissen über Krankheiten ist leichter verfügbar, aber den Impuls, jemanden an den Pranger zu stellen, gibt es medial nach wie vor – denken wir an den Hass auf Chinesen, nachdem bekannt wurde, dass das Corona-Virus aus Wuhan stammte.

Auch den Exotismus gibt es immer noch: Aids kam aus Afrika, das immer noch gerne zu einem Herz der finsteren Todeskeime stilisiert wird. Auch das nicht hilfreich für einen aufgeklärten Dialog mit der sehr guten medizinischen Forschung in afrikanischen Ländern, die zur Kenntnis moderner Infektionskrankheiten wesentlich beitragen.

Fazit: Es ist heute zwar viel leichter, Menschen zu erreichen und Betroffene anzusprechen, aber die Aufklärung an sich ist nicht leichter, sondern vielleicht sogar viel herausfordernder geworden. Ein guter Moment, daran zu erinnern, dass vor 40 Jahren mithilfe einer Krankheit, die scheinbar nur eine Subkultur betraf, eine ganze Gesellschaft aufgeklärt wurde – und die nun heute deutlich moderner denkt als in den 1990er Jahren.

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