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Der Flugbegleiter Gaetan Dugas galt lange als erster HIV-Patient der USA.

© picture alliance/ASSOCIATED PRESS/Anonymous

Heute vor 42 Jahren: Der falsche „Patient 0“ der vergessenen Pandemie

Den Corona-Ausbruch bemerkten Ärzte in China binnen weniger Wochen. Dass gehäufte, sonst seltene Krebsfälle mit einer neuen Viruserkrankung, Aids, zusammenhängen, brauchte länger.

Eine Kolumne von Sascha Karberg

Das Leben von Gaëtan Dugas war kurz. Der frankokanadische Flugbegleiter wurde nur 31 Jahre alt, bevor er 1984 an der Immunschwächekrankheit Aids starb. Und als wäre das nicht schon tragisch genug, wurde er in der hysterischen Frühphase der Aids-Pandemie zum Sündenbock, zum „Patient 0“, gemacht.

Dugas habe sich auswärts beim Sex mit dem Aids-Erreger infiziert und HIV in den USA verbreitet, hieß es in zahllosen Medienberichten.

Tatsächlich hatten Forscher der US-Seuchenbehörde CDC 1984 festgestellt, dass Dugas mit mindestens vier der ersten 19 Aids-Patienten in Südkalifornien und weiteren vier Patienten in New York sexuellen Kontakt gehabt hatte.

Insgesamt etwa 40 der ersten 248 Aids-Patienten konnten in den USA direkt oder indirekt mit Dugas in Verbindung gebracht werden. Doch später stellte sich heraus: HIV grassierte in den USA schon viel früher, wenn auch unbemerkt.

„Zusammenhang mit Aspekten des homosexuellen Lebensstils“

Erstmals stutzig wurden Ärzte, als innerhalb weniger Monate, Oktober 1980 bis Mai 1981, fünf homosexuelle Patienten mit einer sonst sehr seltenen, von Pneumocystis carinii-Bakterien ausgelösten Form von Lungenentzündung in drei Kliniken in Los Angeles eingeliefert wurden.

Das gehäufte Auftreten dieser sonst nur bei extrem immungeschwächten Patienten beobachteten Krankheit bei zuvor gesunden Männern sei „ungewöhnlich“, schrieb Michael Gottlieb, der später auch den Aids-erkrankten Schauspieler Rock Hudson betreute, im „Wöchentlichen Bericht über Morbidität und Mortalität“ der CDC vom 5. Juni 1981, heute vor 42 Jahren.

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Das deute auf „einen Zusammenhang mit Aspekten des homosexuellen Lebensstils oder eine durch sexuellen Kontakt erworbene Krankheit“ hin.

Inzwischen belegen genetische Analysen, dass HIV bereits zwischen 1884 und 1924 in Afrika von Schimpansen auf Menschen übergesprungen sein muss.

HIV-Infektion wurde bereits 1959 nachgewiesen

Der früheste, anhand aufbewahrter Blutproben nachgewiesene Fall einer HIV-Infektion datiert auf 1959 in der heutigen Demokratischen Republik Kongo. In Haiti kam das Virus in den 1960ern an, die USA erreichte es spätestens in den Jahren 1969 bis 1972, viele Jahre vor Dugas’ Erkrankung.

Gaëtan Dugas war lediglich eines von mittlerweile über 32 Millionen Aids-Opfern weltweit. Wie viele andere verbreitete er unwissentlich ein Virus, dem er schließlich selbst erlag.

Warum ausgerechnet er als „Patient 0“ bezeichnet wurde – vielleicht lag das nur an einem Missverständnis: Ärzte hatten den Air-Canada-Steward als „Patient O“ für „Outside Southern California“ markiert. Sascha Karberg

Lesen Sie alle bisher erschienenen Folgen der „Tagesrückspiegel“-Kolumne hier.

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