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Freunde. Patricia blieb, um das Kind ihrer toten Bettnachbarin zu pflegen.

© Caitlin Ryan/MSF

Ebola-Überlebende als Helfer: „Für mich sind das Helden“

Trauer, Not, Schmerzen, Ablehnung – wer Ebola übersteht, hat neue Probleme. Viele wollen trotzdem anderen Patienten helfen.

Als Ebola ihren Körper fast zugrunde richtete, klammerte sich Fatimata Gaima ans Leben. Sie musste gesund werden. Für ihr dreijähriges Kind, das bereits den Vater und ein Geschwisterchen verloren hatte. Doch während sie sich allmählich erholte, brach bei ihrem Kind die Seuche aus. Es starb. „Ich lerne, ein neues Leben zu leben“, erzählte sie auf einem Treffen der Ebola-Überlebenden in Kenema, Sierra Leone. „Das Haus ist so leer.“

Bisher haben sich mehr als 18 600 Menschen in Guinea, Liberia und Sierra Leone mit Ebola infiziert, etwa 40 Prozent von ihnen überstehen die Seuche. Jede Entlassung aus einem Behandlungszentrum ist ein Hoffnungsschimmer, der gefeiert wird. Doch zu Hause ist für viele nichts wie zuvor. Ihr Hab und Gut wurde verbrannt. Ein großer Teil der Familie ist tot. Die Nachbarn meiden sie. Händler lehnen ab, ihnen etwas zu verkaufen. Nur ein Viertel der Bevölkerung würde diese Menschen nicht diskriminieren, ergab eine Umfrage des Gesundheitsministeriums von Sierra Leone, von Unicef und der amerikanischen Seuchenbehörde CDC im August.

Nach der Krankheit stigmatisiert

In Sierra Leone hörten die Verantwortlichen den ehemaligen Patienten zu. Im Herbst begann ein Programm zur Reintegration, schreibt ein Team um Tina Davies vom Wohlfahrtsministerium in Sierra Leone im CDC-Wochenbericht „MMWR“. Ähnliche Initiativen gibt es in Liberia. Vorbild ist dort eine Gummifabrik, die sich nicht nur um das Schicksal der eigenen Angestellten kümmert. Auch Hilfsorganisationen versuchen, die Überlebenden so gut es geht zu begleiten – soweit die Behandlungszentren nicht ohnehin an der Belastungsgrenze sind. „Leider gibt es das nicht flächendeckend“, sagt der Infektiologe Christian Kleine, der im September und Oktober für „Ärzte ohne Grenzen“ in Monrovia war.

In Kenema sei das Stigma weitgehend überwunden, sagt Joachim Gardemann, Kinderarzt und Leiter des Kompetenzzentrums Humanitäre Hilfe der Fachhochschule Münster. Fünf Wochen war er der Direktor des DRK-Ebola-Behandlungszentrums in Kenema. „Drei Tage vor der Entlassung eines Patienten wird das Wohlfahrtsministerium benachrichtigt“, berichtet er. Geschulte Sozialarbeiter aus der Region bereiten dann die Nachbarschaft auf die Rückkehr vor, werben gemeinsam mit traditionellen oder religiösen Anführern um Akzeptanz und beantworten ängstliche Fragen. Für Ebola-Waisen suchen sie nach Verwandten, die sie aufnehmen würden. „Das ist nicht selbstverständlich“, sagt Gardemann. Anders als bei Kriegswaisen, die ohne Weiteres in die Großfamilien integriert werden.

Paket für den Neustart

Wenn der Bluttest zwei Mal negativ war, wird den Überlebenden ein Paket für den Neustart geschnürt: Matratze und Bettzeug, Küchengeschirr, Reis und Öl, Hygieneartikel und Handtücher, Kleidung und Sandalen, eine Kerosinlampe, Vitamine, Bargeld. Die Kinder bekommen ein Spielzeug, die Männer einen Kondom-Vorrat. Sie werden aufgeklärt, dass das Ebola-Virus bis zu drei Monate im Sperma nachweisbar sein kann. Ein offizielles Dokument bescheinigt ihnen, dass sie frei von Ebola sind. Ein Foto beweist, dass ihnen die Ärzte oder Schwestern im Behandlungszentrum nun ungeschützt die Hand reichen. So ausgerüstet werden sie bis zu ihrer Haustür gefahren.

Körper und Psyche brauchen länger Hilfe. „Wer Ebola überlebt, ist ein Immunvulkan“, sagt Gardemann. „Diese Gegenwehr schützt den Körper nicht nur, sie kann ihn schädigen.“ Wenn sich zum Beispiel die Regenbogenhaut im Auge entzündet (Uveitis), kann das unbehandelt bis zur Erblindung führen. Die genauen Ursachen des Post-Ebola-Syndroms sind unbekannt. Etwa die Hälfte der Überlebenden hat bei einer Befragung der Weltgesundheitsorganisation berichtet, dass sie verschwommen oder fast nichts sieht. Viele können nicht schlafen, haben Kopf-, Glieder- oder Nervenschmerzen. Einige leiden unter extremer Müdigkeit. Ob die Probleme bleiben, sich verschlimmern oder vorübergehen, weiß niemand. Möglicherweise sind einige auch Symptome einer Depression, sagt Gardemann. „Außerdem verläuft die Krankheit bei jedem Patienten mit unterschiedlichem Schweregrad“, ergänzt Kleine.

Überlebende sind wichtige Helfer im Kampf gegen die Seuche

Trotz oder gerade wegen ihres eigenen Schicksals wollen viele Überlebende anderen Patienten helfen. Das Einkommen könne dazu beitragen, ihre Würde wiederherzustellen, schreibt das Team um Davies im CDC-Wochenbericht. HIV-Experten der Columbia-Universität in New York weisen im „International Journal of Epidemiology“ darauf hin, dass Überlebende entscheidend dazu beitragen können, die Epidemie zu stoppen. Nicht nur, weil ihr Blut und die darin enthaltenen Antikörper gegen Ebola eine wirksame Medizin gegen das Virus sein könnte (siehe Link). Je nach Ausbildung können sie auch öffentlich ihre Geschichte erzählen und über Ebola aufklären, Familien unterstützen oder Kontakte nachverfolgen oder sogar Patienten pflegen und ihnen Mut machen, schreiben Joshua Epstein und Lauren Sauer von der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore im Fachblatt „Nature“. Später könne man einige zu Pflegekräften weiterbilden und somit die lokalen Gesundheitssysteme stärken. Die Mobilisierung solle zentral organisiert werden, fordern sie.

Kleine ist skeptisch und dankbar zugleich. „Jede Hilfe ist willkommen. Wenn die Überlebenden sie von sich aus anbieten. Sie haben genug hinter sich“, sagt er. Unterstützung müsse man allen anbieten. Und vor allem die Pflege sei anstrengend, für Körper und Seele. Ständig sehe man Leid und Tod. Ob und wie lange man das ertragen kann, müsse jeder selbst entscheiden. Auch ohne Aufforderung bleiben einige länger oder kommen zurück. Die Frau, die die kleine Tochter ihrer verstorbenen Bettnachbarin versorgt, bis auch sie entlassen werden kann. Der Mann, der einen kranken Neffen bringt und sich wochenlang nicht nur um ihn, sondern um viele andere Patienten im Zelt rührend kümmert. „Mein Eindruck ist, dass in der Zeit mehr Patienten überlebt haben“, sagt Kleine. Der Mann wusste, worauf es ankommt. Er hat die Kranken ermutigt, zu essen und zu trinken, hat Trost gespendet und angepackt, wenn jemand erbrochen hatte. Weil er nur leichte Schutzkleidung gegen andere Infektionen brauchte, konnte er länger bei den Kranken bleiben. Andere haben Ebola-Waisen betreut, die zeitweise im Behandlungszentrum gestrandet waren.

Unter Beobachtung im Kindergarten

In Kenema arbeiten zehn bis zwölf Krankenschwestern, die Ebola überlebt haben, sagt Gardemann. Sie betreuen kleine Kinder bis fünf Jahre, die von ihren Ebola-kranken Eltern getrennt werden mussten. „Das Risiko, dass sie sich angesteckt haben, ist groß“, sagt Gardemann. In der Vergangenheit haben sich immer wieder Krankenschwestern und Ärzte infiziert, die ungeschützt mit Kindern Kontakt hatten, die zunächst negativ getestet wurden. Außerdem entwickeln sie oft nicht gleich die typischen Symptome, sondern werden nur still und lustlos. „Statt sie zu entlassen, beobachten wir sie deshalb in unserem Kindergarten drei Wochen lang sehr genau.“ Es sei meist ein fröhlicher Ort, auch für die Überlebenden, die dort arbeiten. „Für mich sind das Helden. Ich habe ihnen immer gesagt, dass sie meine Spezialkräfte sind.“

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