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Unter dem Laser-Mikroskop offenbart sich die dichte der Netzwerkarchitektur im Mäuseknochen.

© Abb: MPIKG / Alexander van Tol

Forschende lösen Rätsel: Wie Knochen kommunizieren

Ein Max-Planck-Team aus Potsdam kam der bislang geheimnisvollen Sprache auf die Spur, die unsere Knochen sprechen.

Knochen sind gar nicht so statisch, wie man denken mag. Sie sind lebendige Teile des Körpers, die auf mechanische Belastung reagieren und wenn nötig wachsen oder schrumpfen können. Um das zu ermöglichen, verfügen sie über Sinnesorgane, die Druck empfinden und die miteinander kommunizieren können.

Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam (MPIKG) sind dem Rätsel, wo sich solche Mechanosensoren im Knochen befinden nun einen entscheidenden Schritt nähergekommen. Demnach kann ein im Inneren des Knochens in einem Kanalsystem verborgenes Zellnetzwerk äußere Belastung „spüren“. Das berichten die Forscher in einem Anfang Dezember in der Fachzeitschrift „PNAS“ veröffentlichten Artikel.

Endlose Kanäle in den Knochen

„Die Mechanosensoren ermöglichen, dass Knochen dort angebaut wird, wo er mechanisch nötig ist und anderswo abgebaut wird“, erklärt Richard Weinkamer von der Abteilung Biomaterialien des Instituts, der die Studie geleitet hat.

Das nun ausfindig gemachte Zellnetzwerk könne den Druck von außen spüren, indem die Belastung auf den Knochen in einen Flüssigkeitsfluss durch dieses Netzwerk von feinen Kanälen übersetzt wird. 

„Aufgrund unserer Ergebnisse, sind wir überzeugt, dass die Knochenzellen innerhalb der Netzwerke den Flüssigkeitsfluss wahrnehmen können, miteinander kommunizieren und so Informationen wie Knochenwachstum an andere Zellen weitergeben“, sagt Alexander van Tol, der die Studie im Labor durchgeführt hat. Die Netzwerkarchitektur habe Ähnlichkeiten mit den neuronalen Netzwerken im Gehirn. Das Netzwerk ist so dicht, dass in einem Kubikzentimeter - die Größe eines Spielwürfels - von Mäuseknochen 270 Kilometer von Kanälen zu finden sind.

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Die Forschung ist inspiriert durch die Beobachtung, dass sich die Knochen wie ein Muskel trainieren lassen, etwa durch die mechanische Belastung beim Sport. Diese adaptive Sichtweise auf den Knochen nahm ihren Ursprung in Berlin mit der Forschung von Julius Wolff, heute Namensgeber eines Charité-Instituts. Die Knochen merken über das Netzwerksystem, wo es nötig ist etwas auf- oder abzubauen. 

So wie bei einem Dreispringer im Sport, der seine Knochen sehr einseitig belastet, kann der Knochen sich über das System an die einseitige Belastung anpassen. Die Belastung drücke die Flüssigkeit durch das Netzwerk, erklärt Weinkamer. Sie werde hin- und her gedrückt, wodurch die Zellen gereizt werden und Veränderungen wahrnehmen können.

Die Forschenden hatten Knochen von Mäusen untersucht, die ein kontrolliertes Knochentraining durchlaufen hatten. Mit Hilfe der Laser-Scanning-Mikroskopie konnten die Zellnetzwerke der Knochen in 3D abgebildet werden. Diese Bilddaten wurden benutzt, um den Flüssigkeitsfluss zu berechnen. 

Mit Computersimulationen konnten der Flüssigkeitsfluss durch das Netzwerk mit Millionen von Kanälen simuliert werden. Bislang wurde über den Mechanismus eines Flüssigkeitssystems nur spekuliert. Die Potsdamer Forscher konnten dies nun erstmals an einem Beispiel durchrechnen und den Mechanismus damit erklären.

Therapieansätze für Osteoporose oder Arthrose

Die Ergebnisse würden auch neue Therapieansätze für Krankheiten wie Osteoporose oder Arthrose denkbar machen. Wie Richard Weinkamer dem Tagesspiegel sagte, sei es eventuell eine Möglichkeit, um den altersbedingten Knochenverlust und speziell auch die Osteoporose besser aufzuhalten. 

„Durch das Wissen über die Netzwerke in den Knochen, wie und wo die Sensoren sitzen, lässt sich verstehen, wo man ansetzen kann“, sagte Weinkamer.

Beispielsweise könnte durch Medikamente die Wechselwirkung zwischen der Flüssigkeit und den Knochenzellen beeinflusst werden, um so Blockaden im System aufzuheben. Auch könnte ein angepasstes Training hier weiterhelfen.

Die Knochen lassen sich durch Sport gut kräftigen

Die untersuchten Mäuse reagierten unterschiedlich stark auf das Knochentraining. So stellte sich heraus, dass Versuchstiere, die besonders wenig neuen Knochen produzierten, über einen langsamen Flüssigkeitsfluss verfügten.

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„Daher glauben wir, dass auch für den Menschen gilt: Knochen lässt sich durch sportliche Betätigung besonders gut kräftigen, wenn die Netzwerkstruktur innerhalb des Knochens mitspielt“, sagte van Tol.

In Zukunft wollen die Forscher herausfinden, wie sich verschiedene Knochen im menschlichen Skelett verhalten. Beispielsweise sei die Schädeldecke nicht besonders belastet, werde aber trotzdem kaum abgebaut. Warum das so ist, müsse noch geklärt werden. 

Bei den Mäusen zeigte sich auch, dass bestimmte Tiere ein schlechteres Netzwerk hatten als andere. Hier würden sich Ansätze für eine individuelle Verbesserung ergeben, etwa über ein spezielles Ausgleichstraining so Weinkamer. Auf lange Sicht könne eine patientenbasierte Medizin über die Güte der jeweiligen persönlichen Netzwerke spezielle Therapieansätze entwickeln. 

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