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Das erste Schaf mit einem menschlichen Gen, „Polly“, wurde 1997 geboren.

© picture-alliance/dpa/epa pa

Heute vor 26 Jahren: Ein Schaf als Arzneifabrik

Schafen, Kühen oder Ziegen menschliche Gene einsetzen, um wichtige Medikamente für den Menschen aus ihrer Milch zu ernten? Dieses „Pharming“ begann in Schottland und ist inzwischen Realität, aber selten.

Eine Kolumne von Sascha Karberg

Diese Ziegen haben’s gut. Per Taxi, einem eigens dafür vorgesehenen Transporter, werden die Tiere von einem ins nächste Gehege der 180 Hektar großen Farm bei Charlton, im Hinterland von Massachusetts, transportiert. Denn für einen gewöhnlichen Viehtrieb sind sie zu wertvoll, es sind wandelnde Medikamenten-Fabriken. In ihrer Milch ist ein menschliches Protein enthalten, ein blutverdünnendes Antihrombin, ein Stoff, der jedem 3000. bis 5000. Menschen aufgrund eines Gendefektes fehlt.

Der Weg zu diesen Gentech-Ziegen begann mit einem Schaf: „Polly“. Es war, wie Vorgängerin „Dolly“, in Schottland geklont worden, aber enthielt zusätzlich das menschliche Gen für den Blutgerinnungsfaktor IX. Damit war zum ersten Mal gezeigt, dass menschliche Proteine nicht nur von Bakterien oder Hefezellen, sondern auch von Säugetieren produziert werden können. Am 24. Juli 1997, heute vor 26 Jahren (und 15 Tage nach der Geburt Dollys), trat das Forschungsteam, dem das gelungen war, Angelika Schnieke, Keith Campbell und Ian Wilmut vom Roslin Institute in Edinburgh und der assoziierten Firma PPL Therapeutics, vor die internationale Presse.

Das Prinzip ist einfach: Man nehme Bindegewebszellen eines Schafes, halte sie in Zellkultur und schleuse das gewünschte menschliche Gen in ihr Erbgut. Dann vermehre man nur die Zellen, bei denen der Gentransfer funktioniert hat. Schließlich stopft man den Zellkern einer dieser veränderten Bindegewebszellen in die entkernte Eizelle eines Schafes und setzt den daraus entstandenen Embryo einem Leihmutterschaf ein: Nach etwa 150 Tagen wird ein geklontes, mit einem menschlichen Gen ausgestattetes Schaf geboren: Polly. Und viele mehr.

Polly löste Goldgräber-Stimmung aus, ein ganzer Strauß von „Pharming“-Experimenten begann: Die Firma Hematech in Iowa nutzte die Technik, um Kühe mit Genen des menschlichen Immunsystems auszustatten, um aus ihrem Blut menschliche Antikörper gewinnen zu können. Origen Therapeutics und Avigenics versuchten es mit Hühnereiern, die niederländische Firma Pharming setzt bis heute auf Kaninchen. Doch das Rennen um die erste Zulassung eines Medikaments, das in einem Säugetier produziert wurde, gewann GTC Therapeutics (inzwischen rEVO Biologics): mit ihren Ziegen in Charlton.

Das aus der Milch der Geißen gewonnene „ATryn“ wurde 2006 von der US-amerikanischen und europäischen Arzneimittelbehörde zur Behandlung von Patientinnen und Patienten zugelassen, die selbst kein Antithrombin bilden können.

Doch zur Standard-Methode wurde „Pharming“ in der Arzneimittelproduktion nicht. Denn der Teufel steckt, trotz des bestechend einfachen Prinzips, im Detail. Ist das menschliche Gen in der fremden, tierischen Umgebung aktiv genug, landet genug von dem gewünschten, heilsamen Protein in der Milch von Schaf, Kaninchen oder Ziege? Und: Wie sauber lässt sich das menschliche Protein von den übrigen tierischen in der Milch trennen? Kleinste Verunreinigungen könnten bei den Patienten Immunreaktionen auslösen. Die schöne neue Welt des „Pharming“ ist zwar da, aber beschaulich klein.

Lesen Sie alle bisher erschienenen Folgen der „Tagesrückspiegel“-Kolumne hier.

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