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Der Weiße Hai mit Roy Scheider (Chief Brody’).

© imago/United Archives

Heute vor 48 Jahren: Wie eine simple Melodie das Image von Haien ruinierte

Viele Menschen haben eine irrationale Angst vor Haien. Ist die düstere Musik von „Jaws“, der am 20. Juni 1975 in die Kinos kam, schuld daran? Was die Forschung verrät.

Eine Kolumne von Miray Caliskan

Es sind vermutlich die zwei gruseligsten Noten in der Geschichte der Filmmusik, E und F. Abwechselnd gespielt, kündigen die beiden Töne Unheilvolles an, Todesgefahr: den Weißen Hai.

Steven Spielbergs Blockbuster „Jaws“, der am 20. Juni 1975, heute vor 48 Jahren, in die Kinos kam, ist einer der erfolgreichsten Thriller seiner Zeit. Die Titelmusik wurde zum Sinnbild des Leitmotivs, einer wiederkehrenden musikalischen Phrase. Diese kündet vom nahenden Angriff eines übergroßen Weißen Hais Carcharodon carcharias.

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Die düstere, bassbetonte Melodie wird immer lauter, immer schneller, lässt den Atem stocken. „Wo ist es?“, fragt sich der Zuschauer ganz unweigerlich, das Raubtier, das sich langsam und unaufhaltsam an den Menschen heranpirscht, um ihn in Stücke zu zerreißen.

Das Leitmotiv ist so wirkmächtig, dass nicht nur das Auftreten des Hais damit assoziiert wird, sondern auch andere Bilder, wie Forschende herausgefunden haben: von Rückenflossen, strampelnden Beinen unter der Meeresoberfläche oder einer Mischung aus Blut und Luftblasen. Manche Musikwissenschaftler meinen, dass die zwei Töne den Herzschlag des Hais nachahmen, andere interpretieren ihn als menschliche Atmung.

Obwohl zigfach mehr Haie durch Menschen getötet werden als Menschen durch Haie, gelten die Raubfische vielen als sehr gefährlich. Zum Vergleich: Im Jahr 2022 zählten Forschende der University of Florida weltweit insgesamt 57 Haiangriffe auf Menschen. Gleichzeitig schätzen Meeresbiologen, dass jedes Jahr etwa 30 bis 100 Millionen Haie für ihr Fleisch gefangen werden.

Für den Film wurden überlebensgroße Modelle des Weißen Hais gebaut.

© imago images/Everett Collection

Trotz dieses statistischen Wissens haben viele Leute Angst vor ihnen – und ein Forschungsteam der „Scripps Institution of Oceanography“ in San Diego hat eine mögliche Erklärung dafür gefunden. In ihrer Studie, die in „PlosOne“ veröffentlicht wurde, spielten die Wissenschaftler:innen rund 2000 Teilnehmenden ein kurzes Video von Haien vor.

Filmplakat des Grauens – in Wirklichkeit werden Weiße Haie nur bis zu etwa sieben Meter lang.

© imago images/Everett Collection

Für die eine Gruppe wurden die Aufnahmen, die aus einem Dokumentarfilm stammten, mit bedrohlicher Musik unterlegt, für andere mit heiterer oder ganz ohne Musik. Das Team plädierte dafür, dass Haie einen neuen Soundtrack bräuchten, damit ihr Image – und Schutzmaßnahmen – nicht weiter darunter litten.

Und tatsächlich: Die mit der düsteren Musik beschallten Proband:innen bewerteten die Haie deutlich negativer als alle anderen. Sie nahmen sie als gruseliger, gefährlicher und bösartiger wahr. Musik, selbst wenn sie so simpel ist, beeinflusst also nicht nur die Stimmung, sondern kann auch die Wahrnehmung verändern.

Als der „Jaws“-Komponist John Williams den Halbtonschritt zum ersten Mal Spielberg vorspielte, soll er laut gelacht und ihn gefragt haben, ob es ein Scherz sei. Umgesetzt wurde die Musik, die dem Film einen Oscar einbrachte, trotzdem. Beide hatten keine Ahnung, wie viele andere Filme die Idee des Leitmotivs nachahmen sollten und welchen gigantischen Einfluss sie auf die Menschen haben würde. Sogar Jahrzehnte nach dem Filmstart.

Lesen Sie alle bisher erschienenen Folgen der „Tagesrückspiegel“-Kolumne hier.

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