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Im Labor gewachsen, aber vom menschlichen Original kaum zu unterscheiden: das „synthetische Embryomodell“ des Stammzellforschers Jacob Hanna.

© Weizmann Institute of Science

Homunkulus, Mensch – oder was?: Was aussieht wie ein Embryo, ist ein Embryo

Es ist ein kleiner Haufen Zellen. Aber ist es nur ein täuschend echtes Embryomodell, an dem geforscht werden kann, oder ein „echter“ menschlicher Embryo, der zu schützen wäre?

Ein Kommentar von Sascha Karberg

Goethe war gut: „Nun lässt sich wirklich hoffen, dass, wir aus viel hundert Stoffen (...) den Menschenstoff gemächlich komponieren.“ Der Dichter ahnte schon vor zweihundert Jahren, dass Forscher es irgendwann schaffen würden, einen Homunkulus, ein künstliches Menschlein, zu „verlutieren“ und zu „kohobieren“, wie es im Faust II heißt.

Aber ist das, was jetzt im Labor des Stammzellforschers Jacob Hanna am Weizmann-Institut in Israel geschaffen wurde, tatsächlich ein vollumfänglicher menschlicher Embryo? Oder ist es nur ein sehr ähnliches „synthetisches Embryomodell“, wie der Forscher sagt? Und ist das akademische Haarspalterei oder von entscheidender Bedeutung für die ethische und damit auch regulatorische Einordnung dieses Fortschritts und des ganzen, sich eröffnenden Forschungsraums mit all seinen vielversprechenden Erkenntnis- und Therapieoptionen?

Ein menschlicher Embryo, der nie Mensch wird

Für den Embryo-Status von Hannas Homunkulus spricht, dass der Forscher selbst argumentiert, dass es sich um ein „komplettes“, dem Original „frappierend ähnliches“, weil alle erforderlichen Zelltypen und Gewebe besitzendes Gebilde handelt. Es wäre wohl, so die Einschätzung unabhängiger Experten, auch noch weiter herangewachsen, über die 14-Tage-Grenze hinaus, die Hanna einhielt, wie die Internationale Stammzellgesellschaft ISSCR empfiehlt.

Andererseits ist der winzige, kaum einen halben Millimeter große Haufen, nicht in der Lage, sich zu einem Menschen zu entwickeln. Weder könnte er in einer Gebärmutter einnisten, noch „im Reagenzglas“ heranwachsen. Im Millimeter-Stadium können Nährstoffe noch aus der Kulturflüssigkeit in den künstlichen Keim diffundieren, um größer zu werden, bräuchte er aber Nabelschnur und Plazenta, die Organe, über die Säugetierembryonen versorgt werden.

Ist das ein 14-Tage-Embryo – oder nur ein „Modell“?
Ist das ein 14-Tage-Embryo – oder nur ein „Modell“?

© Weizmann Institute of Science

Also was nun? Modell oder Embryo? Nicht einmal die Forschenden selbst sind sich darüber einig. Im Fachblatt „Cell“ etwa riefen Nicolas Rivron vom Wiener Institut für Molekulare Biotechnologie und Kolleg:innen kürzlich auf, den Begriff „Embryo“ neu zu definieren. Sie schlagen vor, er solle auch solche Embryomodelle einschließen, die das „Potenzial haben, sich zu einem Fötus zu entwickeln“ – beim Menschen definiert als ein neunwöchiger Organismus mit allen Organanlagen, auch Herz und Hirn.

Alle Strukturen für die Entwicklung zum Fötus

Aber hat Hannas Homunkulus, der ihm zufolge einem 14-Tage-Embryo mit „allen nötigen Strukturen für die Transformation in einen Fötus“ entspricht, dieses Potenzial? Niemand, auch nicht Hanna, kann das derzeit – ohne sein Geschöpf weiterwachsen zu lassen – wissen. Soll er? Darf er?

In einer Demokratie wird sich letztlich die Gesellschaft einigen müssen, wie sie definiert und reguliert, was Hanna und seine Forscherkolleg:innen in ihren Labors kreieren. Ob nun Embryo oder Modell.

Doch dazu muss dem Souverän klar sein, dass ein plumpes Verbot der Embryonenzucht, die bei vielen zunächst ein gewisses Unbehagen, wenn nicht Grusel auslöst, der Sache nicht gerecht würde. Denn es steht viel auf dem Spiel: Experten sind sich einig, dass die Embryomodelle nicht nur wichtige Erkenntnisse über die kaum erforschte Embryonalentwicklung des Menschen ermöglichen. Aus den umstrittenen Zellhaufen könnten auch neue Therapien erwachsen, etwa transplantierbares Gewebe für unzählige Patienten.

Aber sind Erkenntnisgewinn und medizinischer Fortschritt (und Forschungsfreiheit) Argumente genug, um das Erschaffen menschlicher Embryonen (oder eben sehr ähnlicher Embryomodelle) im Labor zu erlauben? Ist es ethisch vertretbar, sie für Experimente zu benutzen, ihnen Zellen für Therapien zu entnehmen und sie am Ende zu entsorgen? Oder muss auch für die Homunkuli die Unantastbarkeit der Menschenwürde gelten?

Das über dreißig Jahre alte deutsche Embryonenschutzgesetz beantwortet keine dieser Fragen, schon lange kann es mit den galoppierenden Fortschritten der Stammzellforschung nicht mehr mithalten. Um es renovieren zu können, müssen wir uns mit dem Kern unserer Existenz beschäftigen: Was ist menschlich? „Die Einsicht über das Höchste, wozu der Mensch gelangen kann“, meinte Goethe, ist „das Erkennen seiner selbst“.

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