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Am Strand schlafen Seeelefanten etwa zehn Stunden täglich, auf See sind es nur noch zwei.

© Jessica Kendall-Bar/Jessica Kendall-Bar, NMFS 23188

Künstler des Schlafs: Tief, erholsam und sicher schlummern

See-Elefanten verbringen Monate im offenen Meer, verfolgt von Haien und Killerwalen, und schaffen es dennoch zu schlafen. Jetzt haben Forscher entdeckt, wie sie das schaffen.

See-Elefanten schwimmen sieben Monate lang mehr als zehntausend Kilometer durch die Weiten des nördlichen Pazifiks. Und obwohl sie ständig wachsam vor Weißen Haien und Orcas sein müssen, bekommen sie ihren überlebenswichtigen Schlaf. Wie sie das schaffen, hat jetzt eine Forschungsgruppe um Jessica Kendall-Bar von der University of California (UC) in San Diego mit trickreichen Beobachtungsmethoden herausgefunden und im Fachblatt „Science“ beschrieben.

Um ihren Fressfeinden auszuweichen, jagen See-Elefanten Fische und Tintenfische in einer Tiefe, in die Killerwale und Haie kaum abtauchen und halten sich nur wenige Minuten an der Oberfläche auf, um Luft zu holen. Aber irgendwann müssen sie auch schlafen. In der Tiefe wären sie dabei sicher, dafür fehlt dort der Sauerstoff, der an der Oberfläche zwar vorhanden ist, wo sie aber leichte Beute wären.

Überwachung bis in die Tiefen des Pazifik

Um herauszufinden, wie die Tiere das Problem lösen, nutzte Jessica Kendall-Bar ein Gerät, dass die Forscherin zuvor an der UC San Diego entwickelt hatte. Es zeichnet sowohl die Hirnströme als auch den Herzschlag, die Tauchtiefe und die Bewegungen der See-Elefanten auf. Das lässt sowohl Rückschlüsse auf Tief- und REM-Schlafphasen zu, die für die Erholung des Gehirns wichtig sind, als auch auf die Schwimmleistung und die Tauchbewegungen im dreidimensionalen Raum. 

Die Forschenden statteten acht weibliche Jungtiere mit dem Gerät aus und konnten so über mehrere Tage über 100 Tauchvorgänge und ein noch nie zuvor beobachtetes Verhaltensmuster dokumentieren.

Im Tiefschlaf im Wasser drehen sich die Tiere auf den Rücken und sinken auf einer spiralförmigen Bahn bis sie wieder aufwachen und -tauchen. 

© Jessica Kendall-Bar/Jessica Kendall-Bar

Offenbar tauchen die Tiere zunächst zügig in die Tiefe, schlafen dort ein und sinken dabei – minutenlang senkrecht im Wasser stehend – in nach unten zunehmend enger werdenden Spiralen langsam ab, in Tiefen von bis zu 377 Meter. Zwar tauchen sie nach nur 20 Minuten wieder auf zum Luftholen, durchlaufen aber den Hirnstromdaten zufolge in dieser kurzen Spanne sowohl erholsame Tiefschlaf- als auch REM-Phasen.

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Stunden pro Tag und in Tiefen von über 250 Meter schlafen See-Elefanten auf ihren monatelangen Touren durch den Pazifik.

Ein Abgleich mit Bewegungsdaten von 334 weiblichen See-Elefanten und ihren etwa drei Millionen Tauchgängen im Verlauf von über 53.000 Tagen ergab, dass dieses Verhalten den Tieren auf ihren monatelangen Reisen durch den nördlichen Pazifik hilft, zu etwa zwei Stunden Schlaf pro Tag kommen – eine extrem kurze Ruhephase für ein Säugetier. Bisher hielt der Afrikanische Elefant mit ebenfalls nur zwei Stunden Schlaf pro Tag den Rekord.

Nahe der Küste ändern die See-Elefanten ihr Verhalten, tauchen öfter bis auf den Meeresgrund und schlafen dort für kurze Zeit. Während ein See-Elefant auf offener See fünf Mal zum Schlafen abtaucht, ruht er sich im gleichen Zeitraum 36 Mal auf dem Meeresgrund aus. Das Schlafverhalten passt sich auch der Länge der Reisen an: Bei Touren unter 70 Tagen auf hoher See schlafen die Tiere im Schnitt nur 1,1 Stunden pro Tag, bei über 200 Tage andauernden sind es 2,2 Stunden pro Tag.

„Es ist ein großes Geheimnis, wie die Tiere das schaffen“, sagt Niels Rattenborg vom Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz im oberbayerischen Seewiesen. Der Biologe, an der See-Elefanten-Studie nicht beteiligt, leitet die Arbeitsgruppe „Vogelschlaf“.

Ausreichend Schlaf ist für Säugetiere, Vögel und auch andere Tiergruppen überlebenswichtig: Ratten sterben, wenn sie wochenlang am Schlafen gehindert werden. In der Natur kann ein übermüdetes Gehirn schon allein deshalb gefährlich sein, wenn es etwa Fressfeinde nicht mehr rechtzeitig wahrnimmt.

Abwechselnd links und rechts schlafen

Tiere entwickeln daher unterschiedliche Strategien, um einerseits schlafen und ihr Gehirn auszuruhen zu können und andererseits wachsam genug zu bleiben, um Risiken zu minimieren. Seebären etwa gönnen ihren Gehirnhälften abwechselnd Ruhepausen: „Die Tiere treiben an der Wasseroberfläche, beobachten mit einem Auge die Unterwasser-Umgebung, aus der sich Feinde nähern können“, sagt Niels Rattenborg. Die andere Gehirnhälfte, die für das andere, geschlossene Auge verantwortlich ist, schläft.

Bei Fregattvögeln, erzählt Rattenborg, bleibt ein Elternteil am Nest, während der Partner sechs Tage lang auf hoher See Nahrung sammelt und dabei im Flug immer wieder Nickerchen hält, bei denen eine Hälfte des Gehirns schläft, während die andere wachbleibt. Insgesamt kommt ein Fregattvogel dabei auf gerade einmal 42 Minuten Teilschlaf am Tag.

Warum das den Vögeln reicht, warum See-Elefanten nach zwei Stunden Trudeln in der Tiefe ausgeschlafen sind, während für Menschen schon weniger als fünf Stunden Schlaf gefährlich werden können? „Wir wissen es nicht“, sagt Rattenborg.

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