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Die Sozialarbeiterin Oksana Zavadskyi in einem Kinderheim in Serednje in der Ukraine.

© picture alliance / AA/Robert Nemeti

Psychosoziale Versorgung der Ukraine: Medikamente, Beratung und ein Chatbot

Ob Feuerwehrmann oder Alleinerziehende: Die mentale Belastung der Ukrainer im Krieg ist enorm. Ein Team von Psychologen und Psychiaterinnen der Charité kooperiert mit Kliniken vor Ort, um gezielt zu helfen.

„Als der Krieg gegen die Ukraine im Februar 2022 begann, organisierten wir alles innerhalb einiger Wochen“, sagt Malek Bajbouj über den Start des psychosozialen Hilfsnetzwerks „Solomiya“, was auf Ukrainisch Frieden bedeutet.

Bajbouj, dessen Eltern aus Syrien kommen, ist Oberarzt an der Charité-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Bereits 2013 stellte er in Jordanien ein Hilfsprojekt auf die Beine, um Traumatherapeut:innen für syrische Geflüchtete auszubilden. Seit einem Jahr unterstützt Bajbouj mit einem Team um die Ärztin Solveig Kemna und die ukrainische Psychiaterin Valentyna Mazhbits nun auch Kolleg:innen an 29 Kliniken sowie Mitarbeitende im Gesundheitsdienst in der Ukraine. Sie verfolgen ein Ziel: psychosoziale Hilfe für das von russischen Angriffen terrorisierte Land zu leisten, indem auch das Fachpersonal vor Ort gestärkt wird.

Doch wo überhaupt ansetzen, wenn nicht nur die Bevölkerung unter Belastungsstörungen und Traumata leidet, sondern auch große Teile der Infrastrukturen zerstört wurden? Was das Netzwerk leiste, richte sich vor allem danach, „was gebraucht wird“, betont Bajbouj. Das reiche von Medikamentenlieferungen und Material, um vor Ort zum Beispiel die Verbrennungsmedizin oder Anästhesie auszustatten, über Notfallpsychiatrie bis hin zu Beratung per Videocall oder App.

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Patient:innen in der Ukraine hat das psychosoziale Hilfsprojekt laut Charité in einem Jahr erreicht.

Die Vorstellung davon, was hilfreich ist, kann von der Realität schnell umgestoßen werden. Diese Erfahrung habe man in manchem auch bei Solomiya gemacht, berichtet Bajbouj im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Zu Beginn hätte die Initiative vor allem Trauma-Therapeuten ausbilden wollen. Am Ende hat ein deutsch-ukrainisches Team einen Chatbot entwickelt, der eine Art psychologische Erstaufnahme macht und dann Rat gibt, wo etwa Betroffene mit einer Belastungsstörung Hilfe bekommen.

Den Bot nutzen vor allem junge Leute, so Bajbouj. „Es gibt aber auch überforderte Feuerwehrleute, die lernen wollen, wie sie erste Hilfe leisten können. Oder Mütter, deren Männer an der Front sind und die psychologische Unterstützung im Alltag suchen.“ Auch Führungscoachings und Prävention gegen Burnout biete die deutsche Seite mittlerweile an. „Denn auch das Personal im ukrainischen Gesundheitsdienst ist furchtbar überlastet.“

Malek Bajbouj, Oberarzt an der Charité-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie.
Malek Bajbouj, Oberarzt an der Charité-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie.

© Wiebke Peitz/ Charité

Dass wiederum Lieferungen vor Ort ankommen, sei einer verlässlichen Kette von Helfer:innen zu verdanken, so Bajbouj: „von der Charité-Apothekerin, die die Medikamente packt bis hin zur Botschaftsmitarbeiterin, die den Konvoi organisiert“.

Um Bundesmittel für das Projekt einzuwerben, schloss sich die Charité im Frühjahr 2022 zunächst mit dem Gesundheitsministerium der Ukraine und den Staatlichen Medizinischen Universitäten in Kiew, Charkiw und Lviv zusammen. Mittlerweile wird Solomiya mit rund 6,2 Millionen Euro vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit gefördert und kooperiert mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und weiteren Kliniken in Deutschland. „Mit allen Partnern kommt das Netzwerk auf ein Budget von rund zehn Millionen“, fügt Bajbouj hinzu.

Während sich auf deutscher Seite viele Ärzte zusätzlich oder als Teilzeitjob engagieren, ist Valentyna Mazhbits als einzige Vollzeitkraft so etwas wie die Koordinatorin des Ganzen. „Mazhbits flüchtete im März 2022 mit ihren Kindern aus der Ukraine“, erzählt ihr Charité-Kollege. Als promovierte Psychiaterin und Psychotherapeutin habe sich zunächst noch aus Frankfurt am Main, wo sie ankam, ehrenamtlich bei Solomiya eingebracht. Ab Juni 2022 wurde ihr dann eine Stelle im Netzwerk an der Charité eingerichtet. Seitdem lebt sie in Berlin.

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