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An kreativen Köpfe mangele es in Deutschland nicht, sagte Judith Pierscher, Staatssekretärin im Bundesforschungsministerium auf dem Future Medicine Science Match.

© Laurin Schmid

Rettende Ideen : Aus Zellen Therapien machen

Krebs entsteht, wenn das Immunsystem Tumorzellen nicht mehr bekämpft. Doch inzwischen können Forscher die Immunzellen reaktivieren. Nicht immer. Aber immer öfter.

Anfangs war es nur die Geschichte eines einzigen, an Blutkrebs erkrankten sechsjährigen Mädchens, Emily Whitehead, bei dem alle bekannten Therapien versagt hatten. Doch dann versuchten die Ärzte am Children’s Hospital of Philadelphia etwas Neues, etwas, was eigentlich noch im Labor steckte, was zuvor bestenfalls Mäuse geheilt hatte. Und es funktionierte. Heute ist es die Geschichte von inzwischen tausenden Kindern und auch Erwachsenen, denen Ärzte mit der CAR-T-Zelltherapie ein zweites Leben schenken konnten.

Damals hatten die Forscher Emilys eigene Immunzellen im Labor so verändert, dass sie in die Lage versetzt wurden, ein Molekül auf der Zelloberfläche der Krebszellen zu erkennen, CD19. Sie konnten „andocken“ und die Immunreaktion auslösen und so den Krebs heilen. Doch nicht bei jedem Tumor-Patienten funktioniert das. Es bräuchte andere, möglichst krebstypische Ziele auf den Tumorzellen, die die Ärzte attackieren könnten. Es braucht Ideen, frische Forschungsansätze. Und es gibt sie, dutzendweise.

Gegen Krebs und mehr

Auf dem Future Science Medicine Match, einer Veranstaltung des Berlin Institute of Health und des Tagesspiegels, gaben Forscherinnen und Forscher, wie schon in den mittlerweile sieben Jahren zuvor, ihre Projekte vor. Etwa Elisabeth Höpken vom Max-Delbrück-Center, deren Team Immunzellen von Patienten so verändert, dass sie auf das Molekül CXCR5 abgerichtet sind und so bestimmte Formen von Lymphdrüsenkrebs und chronisch-lymphatische Leukämie attackieren können. Erste Tests sind so vielversprechend, dass die Idee in einem Startup, Cartemis, weiterverfolgt werden soll.

Future Medicine Science Match 2023
Future Medicine Science Match 2023

© Laurin Schmid

Aber wie schafft man es, die Immunzellen des Patienten wie gewünscht zu verändern? Dazu müssen Gene oder genverändernde Werkzeuge in die Zellen eingeschleust werden. Ein schwieriges, oft ineffizientes Unterfangen. Das EU-Konsortium Endoscape, das Hendrik Fuchs von der Berliner Uniklinik Charité vorstellte, soll das ändern. Zwölf Forschungsgruppen arbeiten daran, die Effizienz des Gentransfers zu verbessern, um letztlich mehr Patienten schneller mit den CAR-T-Zellen zu versorgen, die auf ihre Krebserkrankung zugeschnitten sind.

Deutschland fehlt es nicht an kreativen Köpfen.

 Judith Pierscher, Staatssekretärin im Bundesforschungsministerium

Und es sind längst nicht nur Krebserkrankungen, gegen die die modernen Zell-, Gen- und Immuntherapien eingesetzt werden können. So berichtete Maria Hastermann vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen und der Charité von „dendritischen“ Immunzellen, die, gentechnisch verändert, gegen Autoimmunerkrankungen des Zentralen Nervensystems wirken, etwa Neuromyelitis Optica, bei der die Augen, das Rückenmark und auch Regionen des Gehirns in Mitleidenschaft gezogen werden.

Kompetenzen bündeln

„Deutschland fehlt es nicht an kreativen Köpfen“, sagte Judith Pierscher, Staatssekretärin im Bundesforschungsministerium (BMBF), in ihrem Grußwort auf dem FMSM. Dennoch fänden diese „Forschungsergebnisse zu langsam den Weg in die Anwendung“. Um das zu beschleunigen, müssten Prozesse „entschlackt“ und Kompetenzen gebündelt werden, durch „Zusammenarbeit“, durch Überwindung der Grenzen der Disziplinen, so Pierscher. Das BIH schaffe das und schaffe daher ein „einzigartiges Transferökosystem“. Aber auch die Gründungsoffensive „Go-Bio“ des BMBF, in der einst auch das Mainzer mRNA-Unternehmen Biontech gefördert wurde, habe bislang 57 Projekte mit 197 Millionen Euro unterstützt, aus denen 37 Unternehmen entstanden sind.

Große Ideen und Small Talk auf dem Future Medicine Science Match von BIH und Tagesspiegel.
Große Ideen und Small Talk auf dem Future Medicine Science Match von BIH und Tagesspiegel.

© Laurin Schmid

„Erfolgreich werden wir nur sein, wenn alle relevanten Akteure an einen Tisch kommen“, sagte Pierscher. In der Gen- und Zelltherapie sei die Zusammenarbeit über die Disziplinen hinaus noch ausbaubar. Aufgabe der Politik sei es, „Ermöglichungspfade“ zu gestalten. Wie etwa das Translationszentrum, das Charité, das Land Berlin und das Pharmaunternehmen Bayer jetzt aufbauen. Das sei „einzigartig in Europa“.

Gen- und Zelltherapien hätten ein „immenses Potential“, sagte Sarah Hedtrich vom BIH. Mit ihnen sei die „Ära der modernen Medikamente“ angebrochen. Allerdings seien noch viele Hürden zu überwinden, etwa die Zellen an den richtigen Ort im Körper zu bringen. Dieses „Delivery“-Problem ist eine der nur schwer überwindbaren Hürden auf dem Weg zu CAR-T-Zelltherapien auch für solche Krebspatienten, die nicht an Blut- oder Lymph-basierten Krebstypen leiden, sondern an soliden Tumoren, also in Organen wie der Leber oder der Lunge.

Bislang sind Forscher daran gescheitert, die Zellen so zu programmieren, dass sie an die sich abschirmenden Geschwülste in diesen Geweben herankommen. Noch fehlt für diese Tumortypen der Fall „Emily“. Aber an Ideen, dieses Ziel zu erreichen, das hat der Future Medicine Science Match gezeigt, mangelt es nicht.

Das Future Medicine Science Match (FMSM) ist eine Kooperation zwischen dem Verlag Der Tagesspiegel und dem Berlin Institute of Health at Charité (BIH). Die Veranstaltung wird von BeiGene, Bristol-Myers Squibb, Gilead Sciences, Bayer, Civey, Berlin Partner, BioM Biotech Cluster Development, BIO.NRW, BioRN Cluster Management, coliquio, esanum, European University Hospital Alliance, Health Capital Berlin Brandenburg, Humboldt-Innovation und Saxocell unterstützt.

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