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Laboratory flasks are used for explanation during the announcement of the winners of the 2023 Nobel Prize in chemistry at Royal Swedish Academy of Sciences in Stockholm on October 4, 2023.

© AFP/JONATHAN NACKSTRAND

Update

Auf die Größe kommt es an: Chemie-Nobelpreis geht an Entdecker und Entwickler von Quantenpunkten

Drei Forscher erhalten die renommierte Auszeichnung in diesem Jahr. Ihre Namen waren schon Stunden vor der Verkündung in Stockholm durch Medienberichte bekannt geworden.

| Update:

Der junge Doktorand Alexei Ekimov aus der Sowjetunion und der US-Amerikaner Louis Brus der Bell Laboratories machten in den frühen 1980er Jahren unabhängig voneinander die gleiche Entdeckung: winzige Nanopartikel leuchten abhängig von ihrer Größe in unterschiedlichen Farben. Größere Teilchen leuchten rot, während kleinere blaues Licht aussenden. Obwohl Ekimov seine Entdeckung zuerst in einem wissenschaftlichen Magazin veröffentlichte, wiederholte Brus ähnliche Experimente.

Der Grund: Die beiden Forscher waren durch den eisernen Vorhang getrennt, Forschungsergebnisse drangen nicht von der Sowjetunion in die USA durch. Heute, in nicht weniger angespannten Zeiten zwischen den beiden Nationen, werden der Russe und der US-Amerikaner gemeinsam mit dem Franzosen Moungi Bawendi vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Der Kern ihrer Entdeckung: Auf kleinsten Skalen verhält sich unsere Welt anders.

Im Chemieunterricht wird gelehrt, dass die chemischen Eigenschaften eines Elements von der Anzahl der Elektronen in einem Atom abhängen. Dies ist nicht länger der Fall, wenn sich nur wenige Atome zu einem Partikel formen, das nur einige Nanometer durchmisst. Ein Nanometer entspricht einem Milliardstel Meter – ein Nanometer verhält sich zu einem Meter wie eine Kaffeebohne zur Erde. Dies ist so winzig, dass auf Nanoebene Quantenphänomene beginnen, das Verhalten von Materie zu beeinflussen.

Die Verkündung des Chemie-Nobelpreises in Stockholm
Die Verkündung des Chemie-Nobelpreises in Stockholm

© dpa/Steffen Trumpf

Den diesjährigen Nobelpreisträgern in Chemie gelang es, Nanoteilchen zu erforschen und herzustellen, die nur wenige Nanometer groß sind und deren Eigenschaften von der Quantenphysik bestimmt werden – sie tragen den Namen Quantenpunkte. Es sind Kristalle, die aus Verbindungen wie Bleisulfid oder Cadmiumselenid hergestellt werden.

In diesen können Elektronen nur diskrete Energieniveaus einnehmen, was bedeutet, dass sie, wenn sie angeregt werden, Licht in bestimmten Wellenlängen aussenden. So leuchten Flüssigkeiten mit darin enthaltenen Quantenpunkten in verschiedenen Farben – trotz gleicher chemischer Beschaffenheit. Die Farbe hängt nur von der Größe der Partikel ab.

Lange nur Theorie

Theoretisch wussten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler lange von Größen-abhängigen Quanteneigenschaften von Nanoteilchen. Im Jahr 1937 sagte der englische Physiker Herbert Fröhlich solch ein Verhalten voraus. Er untersuchte die Konsequenzen für die Eigenschaften eines Materials, wenn die Elektronen, die sich wie Wellen und Teilchen gleichzeitig verhalten, in kleinsten Nanopartikeln stark zusammen zusammengequetscht werden.

Doch war es lange unmöglich, solch kleine Partikel auch herzustellen. Die meisten Forschenden bezweifelten, dass man das Wissen je würde praktisch nützen können. Heute werden Quantenpunkte in Bildschirmen mit QLED-Technologie verwendet, das Q darin steht für Quantenpunkt. In diesen Bildschirmen transformieren Quantenpunkte blaues Licht in rotes und grünes, um so die drei Grundfarben zu erzeugen. Auch LED-Leuchten werden mit Quantenpunkten ausgestattet, um kaltes Licht wärmer zu gestalten.

Neben kommerziellen Produkten werden Quantenpunkte in der Biochemie und Medizin verwenden, zum Beispiel um Zellen und Organe im Detail abzubilden, indem die Nanopartikel an Biomolekülen befestigt werden. Versuchsweise setzt man die Methode auch in der Krebsforschung ein, um etwa Tumorzellen im Körper zu verfolgen. Viele weitere Anwendungen sind denkbar: In der Chemie werden Quantenpunkte verwendet, um chemische Reaktionen anzutreiben, in der Physik erhofft man sich die Verbesserung von Quantentechnologie, etwa der Quantenkryptografie.

Nanotechnologie aus dem Kirchenglas

Bis dahin aber war es ein langer Weg. In den frühen 1980er-Jahren wandte sich Alexei Ekimov (78) einer uralten Erfindung zu: gefärbtem Glas.  Physiker:innen im 19. und 20. Jahrhundert fanden bereits heraus, dass die Farbe im Glas von Partikeln darin stammte und dass das Glas, trotz gleicher Zusätze, unterschiedliche Farben annahm, etwa je nachdem, wie stark es erhitzt oder wie es abgekühlt wurde. Später fanden sie heraus, dass es sich bei den Stoffen um Nanopartikel handelte und dass ihre Größe die Farbe des Glases beeinflusste.

Louis E. Brus, Wissenschaftler an der Columbia University, erhielt dieses Jahr ein Drittel des Nobelpreises für Chemie.
Louis E. Brus, Wissenschaftler an der Columbia University, erhielt dieses Jahr ein Drittel des Nobelpreises für Chemie.

© dpa/HAAKON MOSVOLD LARSEN

Ekimov war fasziniert von dieser unintuitiven Beobachtung und untersuchte sie als junger Doktorand. Er führte systematische Studien mit Nanopartikeln des Kupferchlorid durch und war der erste Mensch, der im Jahr 1981 wissentlich Quantenpunkte herstellte. Er erklärte die Farbänderung im Glas mit der Größenänderung der Nanoteilchen und den damit einhergehenden veränderten Quanteneigenschaften des Teilchens: Je kleiner das Teilchen, desto „blauer“ wird das Glas; je größer, desto „roter“. Der Grund dafür ist, dass die Elektronenwelle mehr Platz hat, sich im Nanoteilchen auszubreiten. Eine größere Wellenlänge entspricht im sichtbaren Bereich rotem Licht, eine kurze Wellenlänge blauem Licht.

Pioniere der Nanowelt

Ekimovs Entdeckung drang nicht durch den eisernen Vorhang. Aus diesem Grund war Louis Brus (80), der in den 1980ern in den Bell Laboratories in den USA arbeitete, Ekimovs Forschung nicht bekannt, als er selbst mit ähnlichen Studien begann. Eigentlich erforschte Brus, wie er chemische Reaktionen mit Solarenergie auslösen könne. Dafür stellte er so kleine Partikel von Kadmiumsulfid her, dass er ebenfalls auf Quanteneffekte stieß – diesmal jedoch frei schwebend in einer Flüssigkeit. Er veröffentlichte seine Ergebnisse zwei Jahre später als Ekimov, der später das Unternehmen „Nanocrystals Technology“ in New York, USA, gründete.

Der Experte Heiner Linke erklärt die Entdeckungen der diesjährigen Chemie-Nobelpreisträger.
Der Experte Heiner Linke erklärt die Entdeckungen der diesjährigen Chemie-Nobelpreisträger.

© dpa/Steffen Trumpf

Die Größe der Nanoteilchen, die Ekimov und Brus herstellten, war jedoch noch zufällig – sie konnten nicht kontrollieren, wie groß die Partikel am Ende sein würden. Der Franzose Moungi Bawendi (62) begann als Postdoktorand in Brus Labor und arbeitete später als Gruppenleiter am MIT. Im Jahr 1993 gelang es ihm, dieses Problem zu lösen, und er revolutionierte die chemische Produktion der Quantenpunkte. Es gelang ihm, nahezu perfekte Partikel einer bestimmten Größe herzustellen. Erst dieser Schritt ermöglichte die weitläufige Erforschung von Quantenpunkten und letztendlich ihre kommerzielle Anwendung.

Wir arbeiten alle zusammen – nie hätte ich gedacht, dass ich den Preis bekommen würde.

Moungi Bawendi, Chemie-Nobelpreisträger 2023

Dieser Punkt hebt hervor, warum der Preis in der Kategorie Chemie, und nicht etwa Physik vergeben wurde, obwohl die Ursprünge der Entwicklung der Quantenpunkte in der Halbleiterphysik liegen. Die Leistung der Preisträger besteht darin, Quanteneffekte in Materialien herauszuarbeiten. Diese Materialien kann man trocknen, Pulver daraus herstellen und anfassen – dafür waren die Methoden der Chemie notwendig.

Der Chemiker Moungi Bawendi vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) gewann ein Drittel des Preises, weil er die Produktion der Quantenpunkte verbesserte.
Der Chemiker Moungi Bawendi vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) gewann ein Drittel des Preises, weil er die Produktion der Quantenpunkte verbesserte.

© AFP/LEN RUBENSTEIN

„Überrascht, geschockt, noch schlaftrunken und sehr geehrt“, so fasste Moungi Bawendi seine Gefühle kurz nach der Nachricht zusammen. Es habe nicht den einen Punkt gegeben, an dem ihm die Bedeutung seiner Arbeit bewusst wurde. „Viele Leute arbeiten auf dem Gebiet und haben von Anfang an dazu beigetragen“, betonte er. „Wir arbeiten alle zusammen – nie hätte ich gedacht, dass ich den Preis bekommen würde.“

Namen der Preisträger vorab durchgesickert

Die Namen der Preisträger waren schon Stunden vor der offiziellen Verkündung durchgesickert. Die schwedische Zeitung „Dagens Nyheter“ und das schwedische Wissenschaftsmagazin „NyTeknik“ berichteten am Mittwoch übereinstimmend darüber. Beide Medien beriefen sich auf eine Pressemitteilung der Schwedischen Akademie der Wissenschaften, die allerdings nicht auf der Website der Akademie zu finden war. 

Das Pikante daran: Die Mitteilung war bereits um 7:30 am Mittwochmorgen geleakt worden – zwei Stunden vor der Versammlung der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften, bei der die Entscheidung erst gefallen sein soll. Kurz danach erhielten die Preisträger den berühmten Anruf aus Stockholm.

Die Entscheidung fällt erst, wenn die gesamte Akademie versammelt ist, und das war heute Morgen.

Hans Ellegren, Generalsekretär Akademie

„Der Vorgang ist natürlich sehr unglücklich, wir bedauern das zutiefst“, sagte Hans Ellegren, Generalsekretär der Akademie, auf der Pressekonferenz. Wichtig sei aber, dass dies in keiner Weise die Entscheidung beeinflusst habe. Informationen über den Entscheidungsprozess hält die Akademie grundsätzlich für 50 Jahre geheim.

„Die Entscheidung fällt erst, wenn die gesamte Akademie versammelt ist, und das war heute Morgen“, beteuerte Ellegren. Bis jetzt habe man trotz aller Bemühungen noch nicht nachvollziehen können, wie die so früh Pressemitteilung an die Öffentlichkeit gelangen konnte.

Der Nobelpreis ist mit elf Millionen Schwedischen Kronen (rund 950.000 Euro) dotiert und gilt international als einer der wichtigsten wissenschaftlichen Auszeichnungen. (mit Bhe, AFP)

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