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Franziska Giffey, Michael Müller und Sandra Scheeres im Oktober 2019 bei einem Termin zum Gute-Kita-Gesetz.

© imago images/Christian Ditsch

Was die Wissenschaft zum Wechsel in Berlin sagt: Bedauern über Müllers Rückzug, Skepsis gegenüber Giffey

Geht der umstrittene Regierende, geht auch der erfolgreiche Wissenschaftssenator. Wäre es vorstellbar, dass ihm Franziska Giffey auch in diesem Amt folgt?

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller ist auch Wissenschaftssenator – und in der Wissenschaft wird sein Rückzug bedauert. „Das ist sehr schade, denn die Zusammenarbeit mit ihm hat hervorragend funktioniert“, sagte Christian Thomsen, Präsident der Technischen Universität und aktuell Vorsitzender der Landeskonferenz der Rektoren und Präsidenten der Berliner Hochschulen, am Mittwoch dem Tagesspiegel.

Als Beispiel nannte Thomsen die Unterstützung Müllers für den erfolgreichen gemeinsamen Antrag der Berliner Unis in der Exzellenzinitiative. Dass Wissenschaft in den vergangenen zehn Jahren zu einem Schwerpunkt der Berliner Politik wurde, sei auch ein Verdienst Müllers – und der habe sich zusammen mit seinem Staatssekretär Steffen Krach ebenso bundespolitisch erfolgreich für die Hauptstadt-Wissenschaft eingesetzt. 

Müller sei für die Hochschulen immer ansprechbar und offen für neue Ideen, etwa beim Thema Digitalisierung oder aktuell in Sachen Klimawandel, wo der Regierende unlängst kurzfristig die Idee eines Einstein-Zentrums zu dem Thema unterstützt und mit angeschoben habe.

TU-Präsident und HU-Präsidentin loben Müller

Auch HU-Präsidentin Sabine Kunst bedauert die Entscheidung Müllers. „Für den Wissenschaftsstandort ist es wirklich gut, dass Müller Wissenschaftssenator ist“, sagte Kunst dem Tagesspiegel. Es sei „bemerkenswert“, wie es Müller gelungen sei, Wissenschaft als zentrales politisches Thema für die Stadt zu setzen. Müller habe sich „wahnsinnig“ für die Berliner Universitätsallianz eingesetzt, die in der Exzellenzinitiative erfolgreich war. „Er macht das authentisch und gut.“

Bislang steht nur fest, dass sich Müller im Mai vom Landesvorsitz der SPD zurückziehen wird und Franziska Giffey seine Nachfolge in einer Doppelspitze mit Raed Saleh antreten soll. Giffey wird aller Voraussicht nach auch als Spitzenkandidatin bei den Wahlen 2021 antreten.

[Aktuelle Informationen zum Rückzug Michael Müllers vom Landesvorsitz der SPD finden Sie hier in unserem Newsblog.]

Kunst geht davon aus, dass Müller bis zum Ende der Legislaturperiode Regierender Bürgermeister und Wissenschaftssenator bleibt. Gerade in der Wissenschaft „läuft es ja wirklich für Berlin“, sagte Kunst.

"Wir brauchen Stabilität"

Man müsse dem „subjektiven Grummeln“ auch einmal das gegenüberstellen, was „objektiv alles gelungen ist“. Kunst ist selber SPD-Mitglied, betonte aber, nicht in die Parteiarbeit eingebunden zu sein und selbstverständlich als Präsidentin parteipolitisch neutral zu agieren.

Auch Thomsen wünscht sich, dass Müller bis zum Ende der Legislaturperiode 2021 im Amt bleibt. Ein vorzeitiger Amtswechsel und dann auch noch Neuwahlen im kommenden Jahr würden einen zu langen Stillstand bedeuten: „Wir brauchen Stabilität.“

Können sich die Unis Giffey auch als Wissenschaftssenatorin vorstellen?

Wäre es vorstellbar, dass Giffey auch das Amt der Wissenschaftssenatorin übernimmt – trotz der Plagiatsaffäre um ihre Doktorarbeit? Die Freie Universität Berlin sprach Giffey zwar frei, stellte aber auch Verstöße gegen wissenschaftliche Standards fest. Zu dieser Frage wollten sich Thomsen und Kunst nicht äußern.

Ende Oktober 2019 hatte die Freie Universität Berlin Franziska Giffey nach der Prüfung des Plagiatsverdachts eine „Rüge“ erteilt, entzog ihr den Doktorgrad aber nicht. Nicht nur in der Berliner Wissenschaft wird seitdem weiter über das wenig transparente Verfahren an der FU diskutiert - und darüber, was trotz des Quasi-Freispruchs an Giffey hängen bleibt.

HU-Jurist vermisst "Einsicht in Fehlverhalten"

„Das Besorgniserregende am Fall Giffey ist, dass sie bis heute keinerlei Einsicht in ihr Fehlverhalten zeigt“, sagt Gerhard Dannemann, Juraprofessor am Großbritannien-Institut der Humboldt-Uni und ehrenamtlich engagiert bei VroniPlag Wiki.

Die Plagiats-Experten von VroniPlag Wiki hatten mit einer groß angelegten Dokumentation 119 Stellen in Giffeys Doktorarbeit belegt, in denen wissenschaftliches Fehlverhalten vorliege. „Eine ungeheure Häufung von systematischen Blind- und Fehlzitaten und vorgeblicher Befassung mit der Primärliteratur, die aber aus Wikipedia oder der Studienliteratur stammt: So kann man Wissenschaft nicht betreiben, aber da zeigt Frau Giffey keinerlei Einsicht“, kritisiert Dannemann.

Weitere Texte zum Rückzug Müllers vom Landesvorsitz der SPD und seiner Nachfolgerin Giffey:

Der Jurist beruft sich auf ein Interview der Bundesfamilienministerin mit „jung und naiv“. Darin sagte Giffey im November 2019, also nach dem milden Urteil der FU, sie hätte die Arbeit 2009 nicht abgegeben, wenn sie nicht sicher gewesen wäre, korrekt gearbeitet zu haben. Sie glaube, „dass kein Mensch eine wissenschaftliche Arbeit absolut fehlerfrei schreiben kann“ – zumal es eben „x Zitierregeln“ gebe.

Das sei schlicht falsch, sagt Dannemann: „Es gibt zwar unterschiedliche Zitierweisen, aber die Regeln sind eindeutig und sie sind seit Jahrzehnten unverändert.“ Den wesentlichen Befunden der Plagiatsprüfung durch VroniPlag Wiki habe die Freie Universität auch nicht widersprochen, und gleichzeitig nicht ihre eigenen Maßstäbe offengelegt.

Regierende ja, aber bitte nicht Wissenschaftssenatorin

Für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin sieht Dannemann die Bundesfamilienministerin indes nicht disqualifiziert. Schließlich habe es auch Plagiatsvorwürfe gegen den jetzigen Bundespräsidenten Steinmeier gegeben – die von seiner Uni fallengelassen wurden – und gegen die EU-Kommissionsvorsitzende von der Leyen – deren Medizinische Hochschule Plagiate bestätigte, aber ihr den Doktorgrad nicht aberkannte.

Sollte Giffey jedoch auch das Amt der Wissenschaftssenatorin anstreben, würde das vielen in der scientific community Bauchschmerzen bereiten, meint Dannemann. „Die fehlende Einsicht in ihr wissenschaftliches Fehlverhalten würde sie als Wissenschaftssenatorin unmöglich machen.“

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