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Jedes Nacktmullweibchen kann Königin werden.

© UPMC

Wildwechsel: Die fruchtbaren Königinnen der Nacktmulle

Es ist ein Dogma der Säugetierbiologie: Weibchen haben eine begrenzte Zahl Eizellen und damit auch eine begrenzte Zahl Junge. Nacktmulle fügen sich aber (wieder mal) nicht ins vorherrschende Bild.

Eine Kolumne von Patrick Eickemeier

Es sind Ereignisse von publizistischem Höchstrang, wenn ein Königskind geboren wird. Vor allem die buntesten aller Blätter berichten vermeintlich exklusive Details vom Wohlergehen des Babys, der Mutter und des Vaters, der ganzen Familie. Immerhin sind es recht seltene Ereignisse. Jeden Tag werden auf der Welt im Schnitt etwa 370.000 Menschen geboren, aber Königskinder sind nur ab und an darunter.

In den unterirdischen Bauten von Nacktmullen (Heterocephalus glaber) sind dagegen alle Jungen Royals. Ein Weibchen, die Königin, übernimmt die Fortpflanzung für die gesamte Kolonie von teilweise Hunderten Tieren. Wie Forschende jetzt herausgefunden haben, schafft sie das für einen weit größeren Teil ihrer Lebenszeit als andere Säugetiere einschließlich des Menschen und einschließlich der Mitglieder königlicher Familien.

„Nacktmulle sind die seltsamsten Säugetiere“, sagt Miguel Brieño-Enríquez, Fortpflanzungsmediziner an der University of Pittsburgh. Sie sind die langlebigsten Nagetiere, sie erkranken fast nie an Krebs, sie haben kein Schmerzempfinden wie andere Säugetiere, sie leben in unterirdischen Kolonien, und nur die Königin kann Babys bekommen. „Aber das Erstaunlichste für mich ist, dass sie nie aufhören, Babys zu bekommen“, sagt Brieño-Enríquez. Die Fruchtbarkeit der Königinnen nimmt nicht ab, wenn sie älter werden.

In der Fachzeitschrift „Nature Communications“ berichtet ein Team um Brieño-Enríquez nun, wie sich nicht nur das äußere Erscheinungsbild, sondern auch die Fortpflanzungsbiologie der Nacktmulle von der der meisten Säugetiere unterscheidet. Bei Mensch, Maus und weiteren werden weibliche Individuen mit einer begrenzten Anzahl von Eizellen geboren, die in der Gebärmutter durch einen Prozess namens Oogenese erzeugt werden. Sie werden nach und nach mit jedem Eisprung freigesetzt, die meisten sterben aber einfach ab.

Nacktmull-Königinnen erhalten ihre Reserven aber bis ins hohe (Nacktmull-)Alter von 30 Jahren oder mehr. „Es gibt drei Möglichkeiten, wie sie dies tun: Sie werden mit vielen Eizellen geboren, es sterben nicht so viele dieser Zellen ab, oder sie bilden nach der Geburt weiterhin neue Eizellen“, so Brieño-Enríquez. Tatsächlich fand das Team Hinweise auf jeden der drei Prozesse.

Nacktmull-Weibchen haben im Vergleich zu Mäusen außergewöhnlich viele Eizellen haben – im Alter von acht Tagen durchschnittlich 1,5 Millionen, fast 100mal mehr als die nicht eben für mangelnde Fruchtbarkeit bekannten Mäuse. Die Absterberate dieser Zellen war zudem niedriger und es werden auch nach der Geburt neue gebildet. Die Forschenden fanden Vorläuferzellen für Eizellen bei zehnjährigen Tieren, was darauf hindeutet, dass sie die Oogenese das gesamte Leben fortsetzen könnten.

Mehr als eine Babyfabrik

„Dieser Befund ist außerordentlich“, sagt Erstautor Ned Place, Tiermediziner von der Cornell University – weil er das Dogma in Frage stellt, nach dem die Eierstockreserven weiblicher Säugetiere kurz nach der Geburt nicht weiter aufgestockt werden.

In der Kolonie unterdrückt die Königin die Fortpflanzung aller anderen Weibchen, um ihren Status zu erhalten. Doch sie wurde anders als bei Bienen oder Ameisen und zumeist auch der menschlichen Variante nicht als Königin geboren. Wenn eine Königin stirbt konkurrieren untergeordnete Weibchen darum, ihren Platz einzunehmen und fortpflanzungsfähig zu werden. „Jedes Mädchen kann eine Königin werden“, sagt Brieño-Enríquez.

Die Untersuchungen der Nacktmull-Fortpflanzungsbiologie sei wichtig, weil sie helfen könnten neue Angriffspunkte für Medikamente oder Techniken zur Verbesserung der menschlichen Gesundheit zu entwickeln. Obwohl die Menschen immer älter werden, tritt die Menopause immer noch im in etwa im gleichen Alter ein. „Wir hoffen, das, was wir vom Nacktmull lernen, nutzen zu können, um die Funktion der Eierstöcke im späteren Leben zu schützen und die Fruchtbarkeit zu verlängern“, Brieño-Enríquez.

Aber die Eierstöcke seien mehr als eine Babyfabrik, so der Mediziner. Ihre Gesundheit beeinflusst das Krebsrisiko, die Herzgesundheit und sogar die Lebenserwartung. Ein besseres Verständnis ihrer Funktion könnte Wege zur Verbesserung der allgemeinen Gesundheit aufzeigen.

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