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News Bilder des Tages 17.11.2022, xpsx, Lokal Hanau Öffentliche Kundgebung und Demonstrationen sowie zentraler Warnstreik v.l., Hanau Hessen Deutschland DEU Freiheitsplatz *** 17 11 2022, xpsx, local Hanau Public rally and demonstrations and central warning strike v l , Hanau Hesse Germany DEU Freiheitsplatz.

© IMAGO/Patrick Scheiber

8,5 Prozent für die Metaller: Tarifabschluss in der Industrie

Aus Angst vor Streik lassen sich die Arbeitgeber auf eine kräftige Tariferhöhung plus Inflationsprämie ein. Lange Vertragslaufzeit bis 2024.

| Update:

Der Begriff „Schmerzgrenze“ tauchte häufiger auf in der Bewertung des Ludwigsburger Tarifabschlusses durch die Metallarbeitgeber. Wochenlang hatten sie der IG Metall zu erklären versucht, warum es in diesem Krisenherbst nichts zu verteilen gebe: Viele Firmen ächzen unter den Energiepreisen, die Lieferketten funktionieren noch lange nicht wie geschmiert und die Wirtschaft insgesamt rutscht in eine Winterrezession. Die IG Metall dagegen beharrte auf ihrer Forderung nach acht Prozent höheren Einkommen bei einer Laufzeit des neuen Tarifvertrags von zwölf Monaten und begründete das mit mageren Coronajahren, den Rekordgewinnen der Konzerne in diesem Jahr und dem noch immer hohen Auftragsbestand in vielen Betrieben.

Die Drohung mit der Urabstimmung über einen Arbeitskampf in Baden-Württemberg gab dann den zaudernden Arbeitgebern in der Nacht zu Freitag „den letzten Schups“, wie Roman Zitzelsberger, der Verhandlungsführer der Gewerkschaft formulierte. „Wir haben uns beeindrucken lassen müssen, von der Ankündigung der IG Metall“, hieß es dazu auf der Seite der Arbeitgeber, die keinen unbefristeten Streik riskieren wollten und also einlenkten: Die Einkommen der knapp vier Millionen Metaller steigen im Juni kommenden Jahres um 5,2 Prozent und im Mai 2024 um weitere 3,3 Prozent.

Die Prozente waren der Knackpunkt

Hinzu kommt die so genannte Inflationsprämie von 3000 Euro, die in zwei Tranchen und in der Regel Anfang 2023 sowie Anfang 2024 zu zahlen sind; unter bestimmten Umständen können die Auszahlungen zumindest teilweise verschoben werden. Die Arbeitgeber hatten bis zur fünften und entscheidenden Verhandlung in Ludwigsburg lediglich die 3000 Euro angeboten bei einer Vertragslaufzeit von 30 Monaten. An der Frage der Prozente drohten die Gespräche in der Nacht zum Freitag dann zu scheitern.

Ich musste zuspitzen und eskalieren.

Roman Zitzelsberger, Verhandlungsführer der IG Metall

Da sich die Arbeitgeber nur unzureichend bewegt hätten, habe er „das große Schwert auf den Tisch“, erzählte Zitzelsberger, und mit Urabstimmung gedroht. „Ich musste zuspitzen und eskalieren, damit wir endlich auf das Spielfeld kommen“, sagte der Verhandlungsführer der IG Metall. Die Geduld der Gewerkschaft sei erschöpft gewesen.

„Mit diesem Abschluss erreichen wir langfristige Planbarkeit für alle Beteiligten und setzen ein deutliches Zeichen der Zuversicht“, kommentierte Stefan Wolf, Präsident des Dachverbandes Gesamtmetall, das Ergebnis. Die vereinbarte Entgelterhöhung sei „ein Vorschuss auf das Wachstum, auf das wir ab 2024 wieder hoffen“, meinte Wolf. Ferner habe man sich mit der IG Metall auf ein Procedere verständigt, falls es eine Energienotlage gebe. Das betrifft vor allem den Winter 2023/24, der mit großer Unsicherheit behaftet sei. Sollte eine Energienotlage entstehen, setzen sich IG Metall und Arbeitgeber binnen drei Tagen zusammen, um die Konsequenzen zu beraten.

Erstaunlich moderat reagierten die Maschinenbauer auf den Kompromiss von Ludwigsburg. Mit rund eine Million Beschäftigte ist der Maschinenbau die größte Branche noch vor der Autoindustrie, und der Anteil der Personalkosten liegt im mittelständisch geprägten Maschinenbau höher als im Fahrzeugbau. „In einem außergewöhnlich schwierigen Umfeld ist es der Arbeitgeberseite gelungen, einen letztlich für die meisten Unternehmen akzeptablen Abschluss zu erzielen“, meinte Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des Maschinenbauverbandes VDMA. „Den Unternehmen geben die Differenzierungsmöglichkeiten, die Laufzeit von 24 Monaten sowie die stufenweise Erhöhung eine gewisse Planungssicherheit, um sich auf die steigenden Lohnkosten einzustellen.“

Erledigt: Roman Zitzelsberger (links), Verhandlungsführer der IG Metall, und Harald Marquardt, Verhandlungsführer der Arbeitgeber, am frühen Freitagmorgen in Ludwigsburg.

© dpa/Marijan Murat

Tatsächlich haben die Firmen Spielräume bei der Auszahlung der Inflationsprämie. Die erste Tranche von 1500 Euro kann gezahlt werden zwischen Dezember 2022 und März 2023. 750 Euro pro Vollzeitarbeitskraft sind jedoch in jedem Fall im Januar fällig. Die Auszahlung der zweiten Tranche von 1500 Euro kann dagegen komplett von Anfang 2024 bis an das Ende der Vertragslaufzeit im September 2024 geschoben werden - sofern der Betriebsrat dem zustimmt.

3000 Euro können auf mehrere Jahre verteilt werden

Den Arbeitgebern war wichtig, dass die Firmen die Auszahlung der insgesamt 3000 Euro auf die Jahre 2022 bis 2024 verteilen können. „Damit schaffen wir einen sehr großen Hebel bei der Variabilität der Kosten und tragen den unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnissen Rechnung“, sagte Harald Marquardt, der Verhandlungsführer der Arbeitgeber in Baden-Württemberg.

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Marquardt und Zitzelsberger haben mit dem Pilotabschluss die Vorlage geliefert für die übrigen Tarifbezirke, die in der Regel den neuen Vertrag 1:1 übernehmen. Das gilt auch für Berlin-Brandenburg. „Die Belastung durch den Tarifabschluss geht hart an die Schmerzgrenze der Unternehmen. Wir halten den Kompromiss aber gerade noch für tragbar“, äußerte sich Stefan Moschko, Verhandlungsführer der Metallarbeitgeber in Berlin-Brandenburg so ähnlich wie seine Kollegen im Rest der Republik.

Begeisterung bei der Berliner IG Metall

Dagegen kamen euphorische Töne vom Chef der Berliner IG Metall. „Das ist ein hervorragendes Verhandlungsergebnis in schwierigen Zeiten“, meinte Jan Otto. Über die Laufzeit des neuen Tarifvertrages erhalte ein Facharbeiter rund 7000 Euro mehr, davon 3000 Euro steuerfrei. „Aus dieser Tarifrunde kann man schon jetzt Mut und Optimismus für die nächste Tarifrunde ziehen“, meinte Otto. Allein in den vergangenen drei Wochen, als es auch in Berlin zahlreiche Warnstreiks gegeben hatten, habe die IG Metall mehr als 500 neue Mitglieder „begrüßen dürfen“, freute sich Otto.

Auch Gesamtmetall-Präsident Wolf bemühte sich um ein positives Fazit. „Wir kommen schließlich nur zusammen nach vorn.“ Arbeitgeber, Arbeitnehmer und IG Metall könnten sich mit dem Ende des Konflikts nun der Überwindung der Rezession widmen.

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