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Berlin hat die bundesweit striktesten Vorschriften zum Kopftuch.

© picture alliance/dpa/Martin Schutt

Kopftuch im Staatsdienst: Erst ignorieren, dann verdrücken

Wie offen der Staatsdienst für Muslime sein soll, bestimmen die Gerichte für Berlin. Die Politik hat daran wenig Interesse. Sie macht nur, wozu Urteile sie zwingen.

Eine Kolumne von Jost Müller-Neuhof

Zwei Jahre lag die Beschwerde unter dem Aktenzeichen 1 BvR 1661/2 beim Bundesverfassungsgericht, dann wurde entschieden. Abweisung ohne Begründung. Die volle Härte. Es war nichts dran am außerordentlichen Rechtsbehelf, mit dem der Berliner Senat sein Neutralitätsgesetz bewahren wollte. Es erging ihm wie jährlich tausenden Verfassungsbeschwerden, einschließlich denen von Querulanten. Wenn der Senat ehrlich wäre, müsste er sagen: Das wussten wir. Uns ging es um Zeitgewinn.

Politisch mag das Vorgehen nachvollziehbar sein, juristisch nicht. Die vollziehende Gewalt ist an Recht und Gesetz gebunden, sagt das Grundgesetz. Verfassungsbeschwerden, wie die Schulverwaltung sie gegen ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) von 2020 erhoben hatte, haben keine aufschiebende Wirkung.

Das BAG, das einer wegen ihres Kopftuchs abgelehnten Lehramts-Bewerberin eine Geldentschädigung zugestand, hatte ein rechtskräftiges Urteil gesprochen. Berlin wäre verpflichtet gewesen, ihm zu folgen. Das hat es nicht. Jeder, der dabei mitgemacht hat - allen voran die Regierende Bürgermeisterin - hat die Rechtsbindung der Verwaltung ignoriert. Sie ignorieren sie immer noch. Sonst hätte die Schulverwaltung umgehend erklärt, dass Bewerberinnen trotz Kopftuch ab sofort akzeptiert würden. Stattdessen heißt es, man berede das. Es gibt hier nichts zu bereden.

Bei Polizistinnen ist die Verfassungsrechtslage ungewiss. Das pauschale Verbot in Berlin hat mindestens ein Problem: Es ist pauschal.

Jost Müller-Neuhof

Paragraf zwei des Neutralitätsgesetzes, der das Verbot religiöser Symbole bei Lehrkräften regelt, hat sich erledigt. Interessanter ist Paragraf eins. Er betrifft das Verbot in Justiz und Polizei. Bei Richterinnen kann das Kopftuch untersagt werden, das hat das Bundesverfassungsgericht schon entschieden. Es muss aber nicht. Bei Polizistinnen ist die Verfassungsrechtslage ungewiss. Das pauschale Verbot in Berlin hat mindestens ein Problem: Es ist pauschal. Viele Polizistinnen tragen keine Uniform und sind im Job für Bürgerinnen und Bürger selten präsent. Wie soll hier ein pauschales Verbot zu rechtfertigen sein?

Wie es aussieht, soll dies weder vor noch nach der Wahl ein Thema werden. Die Politik hat nur Paragraf zwei im Blick, dessen Ende durch die Gerichte ohnehin besiegelt wurde. Ansonsten wartet man auf Polizei-Bewerberinnen, die sich durch die Instanzen klagen. Die Justiz bleibt weiter allein mit der Kopftuch-Frage. Die Politik hat sich verdrückt.

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