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Rein und raus. Das Haus in der Reichenberger Straße in Kreuzberg war vorübergehend besetzt.

© Paul Zinken/dpa

Aktion gegen Wohnungsnot: Wie es nach der Hausbesetzung in Berlin weitergeht

Die Besetzung in Neukölln war politisch brisant, die Räumung auch: Der Druck auf den Senat wächst mit der Wohnungsnot. Doch die Koalition ist uneins.

Am Morgen danach zeugen nur noch ein paar Luftballons, Glasscherben und Müll von den Geschehnissen des Vortags. Eine vorbeilaufende Frau fragt ihre Begleitung: „Ist hier nicht das besetzte Haus?“ Die antwortet: „Nee, war schon.“ 56 linke Aktivisten haben am Pfingstsonntag ein Haus in Neukölln besetzt, es wurde verhandelt, am Ende räumte die Polizei das Gebäude. Nun steht es wieder leer, wie seit Jahren schon.

Der Hauseingang der Borndorfer Straße 37b ist mit Spanplatten versperrt, Im Vorderhaus in Nummer 37 hängt ein Zettel der Besetzer, auf dem sie sich vorstellen: „Wir wollen einen Raum schaffen, an dem Menschen zusammenkommen können.“ Oder: „Wir sehen eine Entwicklung, die nicht ein gutes Leben, sondern maximalen Profit zum Ziel hat.“

Die Sicherheitsbehörden gehen von einer konzertierten Aktion aus – und zwar mit Ankündigung. Eine Aktivistengruppe erklärte jüngst, Räume besetzen zu wollen: leer stehende Immobilien, Ferienwohnungen – vielleicht das Rote Rathaus. Weil sie „als selbstbestimmte Berliner die Unvernunft von Leerstand in einer Stadt mit Wohnungsnot, Armut und Verdrängung nicht länger hinnehmen und uns in Zukunft Häuser nehmen werden“.

Der Senat steht unter Druck

Am Ende sind es nur zwei Besetzungen. An anderen leerstehenden Gebäuden hatten Aktivisten nur Banner aufgehängt, an Gebäuden in Grünau, in Friedenau und in Friedrichshain. Es waren Scheinbesetzungen. Und in der Reichenberger Straße in Kreuzberg belagerten Aktivisten ein Geschäft, räumten es aber selbst, bevor die Polizei es tun musste. Spät in der Nacht gab es noch eine Demonstration.

Da war das Neuköllner Haus schon geräumt. Der Hergang ist politisch für den Senat, für die rot-rot-grüne Koalition brisant. Am Ende geht es um den Vorwurf, der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) selbst habe sich eingeschaltet und grünes Licht für die Räumung gegeben – während Linke und Grüne die Besetzung als legitimes Mittel bezeichnen.

Der Senat steht unter Druck. Weil es nicht vorangeht bei einem Problem, das für viele Berliner zurzeit das drängendste ist: Wohnungsnot, steigenden Mieten, Luxussanierungen, die Sorge, verdrängt zu werden aus dem vertrauten Kiez. So erklärten die Besetzer denn auch, seit 2016 verspreche der rot-rot-grüne Senat bezahlbaren Wohnraum, geschehen sei nichts.

Schon vorab hatten Linke-Politiker Sympathien für Besetzer geäußert. Am Sonntag eilte Lompschers Staatssekretär, der Linken-Politiker Sebastian Scheel, in die Borndorfer Straße und war an den Verhandlungen beteiligt. Ebenso die Bundestagsabgeordnete Canan Bayram (Grüne) und ihre Parteikollegin Katrin Schmidberger, Sprecherin für Wohnen und Mieten der Grünen im Abgeordnetenhaus.

Der Eigentümer sei immer noch gesprächsbereit

Auch Ingo Malter, Geschäftsführer der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft „Stadt und Land“, war da. Er führte die Verhandlungen, bat die Besetzer, das Haus, ein ehemaliges Schwesternwohnheim, zu verlassen – die Statik sei nicht in Ordnung. Es bestehe akute Verletzungs- und Unfallgefahr. Vor drei Jahren habe die Wohnungsbaugesellschaft das Haus gekauft, seither liefen die Untersuchungen schon, jetzt stehe die Planung: Wohnungen, eine Kita. Den Besetzern machte Malter ein Angebot: „Dass sie, wenn sie das Gebäude jetzt verlassen, dort später ihr Wohnprojekt machen dürfen.“ Es sei noch immer gesprächsbereit. Obwohl dadurch der Eindruck entstehen könnte, dass man etwas erreicht, wenn Gewalt im Spiel ist. Nach seinem Eindruck sei es den Besetzern aber „mehr um ein politisches Signal als um das konkrete Projekt“ gegangen.

Über Stunden zogen sich die Verhandlungen hin. Es ging um eine kooperative Instandsetzung und einen Vertrag mit sozialverträglichen Mieten. Letztlich sei es an den Besetzern gescheitert, die hätten auf einer schriftlichen Bestätigung beharrt, sagte Malten. Schließlich hätten zwei Anwälte der linke Szene die Verhandlungen weiterführen wollen, doch die Frist – eine halbe Stunde – verstrich, niemand sei mehr erreichbar gewesen. Gegen 20.45 habe er die Polizei um Räumung gebeten. Beamte gingen rein und holten die Besetzer heraus. Laut Polizei waren einige maskiert und bewarfen Beamte mit Flaschen. Die Besetzer wiederum beschwerten sich über den rabiaten Einsatz. Jetzt wird gegen 56 Besetzer wegen Hausfriedensbruchs ermittelt.

Mit Vermummten wird nicht verhandelt

Bayram und Schmidberger stellen die Vorgänge anders dar: Die Verhandlungen liefen mit den Unterstützern der Besetzer, etwa 100 Menschen standen vor dem Haus. Zwei Anwälte und eine Person seien – mit Zustimmung der Polizei – ins Haus gegangen, um das Verhandlungsergebnis im Plenum vorzustellen. Die Frist sei noch nicht abgelaufen, da sei Malter gekommen und hätte erklärt, dass sich der Regierende Bürgermeister eingeschaltet und gesagt habe, jetzt werde geräumt.

Malter selbst bestreitet, mit Müller gesprochen zu haben, denn er kenne die Berliner Linie beim Umgang mit Hausbesetzungen. Er sei nicht auf telefonische Anweisungen angewiesen. Auch Senatssprecherin Claudia Sünder wies die Darstellung der Grünen-Politikerinnen zurück. Müller habe nicht mit Malter telefoniert. Klar ist aber auch: Innensenator Andreas Geisel (SPD) hat Müller über alles verständigt und intern signalisiert: Mit Vermummten wird nicht verhandelt. Und Lompscher, die bei der Wohnungspolitik von Müller zusehends entmachtet wurde, soll sich zumindest nicht gegen die Räumung gestellt haben.

Streit in der Koalition

Andere Koalitionäre zeigten sich uneins: Geisel sagte, Besetzungen seien kein geeignetes Mittel für politische Ziele und ungerecht gegenüber Tausenden, die Wohnungen suchen und „nicht in fremdes Eigentum einsteigen, um damit Vorteile für sich selbst zu erzwingen“. Neuen Wohnraum zu schaffen, bleibe aber das zentrale politische Thema Berlins.

Canan Bayram sagte, der Senat habe eine Chance vertan: „Ziviler Ungehorsam ist ein legitimes Mittel, um auf Missstände aufmerksam zu machen.“ Auch Katrin Schmidberger sagte, das Vorgehen sei einer rot-rot-grünen Regierung, „die sich eine solidarische Wohnungspolitik auf die Fahne schreibt, unwürdig“. In anderen Großstädten Europas gebe es Regelungen gegen spekulativen Leerstand – wenn ein Haus eine gewisse Zeit nicht genutzt werde, dürfe es besetzt werden.

Linke-Landeschefin Katina Schubert erklärte, die wachsende Notlage auf dem Wohnungsmarkt werde von „den Besetzern auf spektakuläre Weise angesprochen“, die das „drängendste Problem für die Mehrheit der Berliner“ anspreche. Auch Bausenatorin Lompscher meldete sich noch zur Wort: Die Besetzung sei zwar ein Eingriff ins Eigentumsrecht, zeige aber, „dass es in großen Städten wie Berlin für Menschen mit niedrigen Einkommen immer schwerer wird, eine Wohnung zu finden“. Daher sei das Motiv der Besetzer, ein deutliches politisches Zeichen zu setzen, nachvollziehbar.

Tom Schreiber, Innenpolitiker der SPD im Abgeordnetenhaus, wütete gegen die Koalitionskolleginnen: Wie diese Hausbesetzungen als legitimes Mittel ansehen, mache ihn fassungslos. Sie könnten ja 2021 für die „Antifa-Liste“ antreten. Für die Opposition ist die Sache klar: Hausbesetzungen seien eine Straftat – hier sogar vorab legitimiert von Vertretern einer Regierungspartei, befand die CDU.

Unklar bleibt, was dran ist am – von linken Gruppen verkündeten – „Frühling der Hausbesetzung“ für eine andere Wohnungspolitik. Und ob das am Sonntag nur der Anfang war.

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