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Der Arzt Ingo Flessenkämper mit seinem polnischen Patienten Adamek.

© Frank Bachner

Hilfsangebot in Berlin-Wedding: Krankenstation für Obdachlose hat Finanzprobleme

In der Caritas-Krankenwohnung werden Obdachlose nach einer Klinikbehandlung weiter versorgt. Doch der Betreuungs-Standard ist in Gefahr, es fehlen 558.000 Euro.

Zwei, drei Stunden in der Nacht, länger kann Jerzy Adamek (Name geändert) nicht schlafen. Deshalb sitzt er ja in diesem Behandlungszimmer, vor dem Schreibtisch von Ingo Flessenkämper. Der Arzt hört dem Polen zu, dann greift er zu einem Schlafmittel aus einem Schrank. Mehr kann er im Moment für seinen Patienten nicht tun.

Schlafprobleme hat Adamek schon lange, sie haben auch damit zu tun, dass er nachts häufig seinen Rollstuhl nicht verlassen hat. Der Pole schläft lieber im Sitzen. Wenn er sich hinlegt, könnte ja jemand seinen Rollstuhl stehlen. Jerzy Adamek lebt normalerweise auf der Straße, einer der vielen Obdachlosen in Berlin. Immerhin: ein paar Wochen lang kann er nun in einem Bett schlafen, und wenn er aufwacht, steht sein Rollstuhl immer noch neben ihm.

Wir betreuen hier die ganze Palette an Krankheiten.

Ingo Flessenkämper, ehrenamtlicher Mediziner

Adamek ist einer der 20 Obdachlosen, die in der Caritas-Krankenwohnung in Berlin-Wedding leben, er lässt hier Wunden an seinem amputierten Bein behandeln. Er wird in einem berlinweit einzigartigen Projekt betreut. Hier kommen Obdachlose nach einer Akutbehandlung im Krankenhaus zur Ruhe, in diesem Haus findet ihre medizinische Nachversorghung statt.

Viele Patienten bleiben für mehrere Wochen

Fünf Jahre besteht diese Hilfseinrichtung jetzt, fünf ehrenamtliche Ärzte, sieben ausgebildete Krankenschwestern, sechs Pflegehilfskräfte und ein Sozialarbeiter kümmern sich um die Patienten. Pflegekräfte sind ständig da, ein Arzt kommt ein bis zweimal wöchentlich. Am Dienstag stellte die Caritas die Krankenwohnung vor.

Fünf Jahre sind nicht lang, aber von der Ursprungsidee ist die Krankenwohnung längst entfernt. Bianca Rossa leitet die Einrichtung seit zwei Jahren, die Gesundheits- und Pflegemanagerin sitzt in ihrem Büro und sagt: „Gedacht war die Einrichtung für Obdachlose, die krank sind, aber gleichzeitig zu gesund für einen Krankenhausaufenthalt sind.“ Patienten mit einer Erkältung oder einer Grippe etwa, Aufenthalt für ein paar Tage also.

Die aktuelle Realität beschreibt den pensionierte Mediziner Fessenkämper. „Wir betreuen hier die ganze Palette an Krankheiten“, sagt er. „Wir haben Menschen, die an den Folgen von Drogen- und Alkoholsucht leiden, die einen Nagel im Fuß hatten oder die Probleme aufgrund einer Amputation haben.“ Patienten, die weniger als einen Monat bleiben, sind inzwischen selten. Aber länger als acht Wochen soll auch keiner da sein.

Die meisten Bewohner haben keine Krankenversicherung

Jens Heidenreich lebt seit drei Wochen hier, jetzt hat er im Aufenthaltsraum die TV-Fernbedienung übernommen. Beiträge polnischer Sender über die Wahl mögen ja für die Polen im Haus interessant sein, die haben ja auch auf den Bildschirm gestarrt, aber er will jetzt eine Arztsendung sehen. Die Polen sind wieder in ihre Zimmer gegangen, Heidenreich lehnt sich in seinem Rollstuhl zurück und sagt: „Mit gefällt es hier gut.“ Bevor er hier ein warmes Bett fand, lebte er in einem Zelt, eine Krankenversicherung hat er seit 20 Jahren nicht mehr.

Eine typische Biographie. „80 Prozent aller Menschen bei uns haben nicht mal Ausweispapiere“, sagt Bianca Rossa. Und eine Krankenversicherung erst recht nicht. Aber die Caritas betreut hier jeden; den Krankenhäusern ist die Adresse der Krankenwohnung bekannt, sie melden regelmäßig neue Patienten an. Nur ist die Kapazität relativ schnell erschöpft. „In der Woche müssen wir im Schnitt vier bis fünf Menschen, für die nach einem Zimmer gefragt wird, ablehnen“, sagt Bianca Rossa.

Die 20 Betten des Projekts aufrechtzuerhalten, ist schwierig

„Der Senat hatte vor Jahren mal überlegt, die Kapazität auf 30 Betten aufzustocken“, sagt Bianca Rossa. 30 Betten? Da muss sie fast lachen. Sie ist ja schon froh, wenn sie ihre 20 Betten dauerhaft behalten kann. Denn ihr größtes Problem ist gerade die Politik. Die Krankenwohnung wird vor allem mit Senatsmitteln finanziert. 1,1 Millionen Euro stellt die Senatsverwaltung für Gesundheit und Pflege jährlich zur Verfügung. Den Rest des Budgets füllen Caritas-Eigenmittel und Spenden.

Aber im Doppelhaushalt 2024/25 waren massive Kürzungen für die Krankenwohnung vorgesehen. Nach heftigen Protesten gaben die Finanzplaner nach: Die Kürzungen fallen weniger heftig aus. Aber gleichzeitig steigen Personal- und Sachkosten, ergo benötige sie mehr Geld, sagt die Leiterin der Krankenwohnung. Für 2024 fehlen nach Berechnungen der Caritas 558.000 Euro.

Nur, was passiert, wenn die Mittel nicht kommen? Da beginnt Bianca Rossas Blicke leicht zu flackern. Ja, wo soll sie denn sparen? „Mir fällt nichts ein bei einem 24/7-Betrieb.“ Soll sie einen Teil der Verpflegung streichen? „Aber was machen wir bei Diabetikern?“ Soll sie ein oder zwei Betten abbauen? „Aber für die restlichen Betten brauchen wir doch das gleiche Personal. Und die Personalkosten sind der größte Brocken.“

Zumindest Jens Heidenreich wird Kürzungen wohl nicht mehr spüren. Wenn er entlassen wird, will er zurück in seine Heimat. Und die ist weit weg von Berlin. Bei Schaffhausen, in der Nähe der Schweizer Grenze.

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