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Der Neonazi Maurice P. vor Gericht.

© imago images / Foto: imago/Olaf Wagner

Berliner Generalstaatsanwaltschaft widerspricht Spitzelverdacht: Neonazi Maurice P. kein Zuträger des Verfassungsschutzes

Gab es einen Deal mit einem Neonazi, damit dieser einen anderen im Neukölln-Komplex belastet? Berlins Terror-Chefermittler Dirk Feuerberg widerspricht nun deutlich.

Im Verfahren um die mutmaßlich rechtsextremistische Anschlagsserie in Berlin-Neukölln widerspricht die Generalstaatsanwaltschaft dem Verdacht, einen Neonazi für Spitzelei mit Haftverschonung belohnt zu haben. Dirk Feuerberg, Vertreter der Generalstaatsanwältin und Chefermittler für Extremismus und Terrorismus, schaltete sich am Donnerstag persönlich ein.

„Eine solche Absprache hat es nicht gegeben, die dazu angestellten Spekulationen sind auch nicht mit den Tatsachen vereinbar“, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt zu den Gerüchten um einen Justizdeal. „Die Vorstellung, einen Mordvorwurf im Tausch gegen einen Brandstiftungsnachweis an einem Pkw fallen zu lassen, ist abwegig und entspricht nicht der Rechtswirklichkeit in unserem Rechtsstaat.“ Die Mutmaßung, es habe einen Deal der Sicherheitsbehörden mit einem Rechtsextremisten gegeben, sei unzutreffend.

Es geht um den Neonazi Maurice P., gegen den am Dienstag am Amtsgericht Tiergarten ein Prozess wegen rechtsextremer Umtriebe und einer blutigen Attacke auf einen Jamaikaner eröffnet wurde. In dem Verfahren wurde der Verdacht laut, Maurice P. sei von der Untersuchungshaft wegen versuchten Mordes verschont worden, weil er als Spitzel im Gefängnis für den Nachrichtendienst einen anderen Neonazi ausspionierte.

Und zwar Tilo P., dem derzeit im Neukölln-Komplex der Prozess gemacht wird – gemeinsam mit dem in der Anschlagsserie Hauptverdächtigen Sebastian T.  Sie sollen 2018 das Auto des Linke-Abgeordneten Ferat Kocak in Brand gesetzt haben. Während seiner Untersuchungshaft saß Maurice P. mit eben jenem Tilo P. gemeinsam in einer Zelle. Gegen Tilo P. war ein Haftbefehl ergangen, weil er aus rassistischen Motiven einen Taxifahrer attackiert und als „Kanaken“ beleidigt haben soll.

Rechter Angriff. In der Nacht zum 1. Februar 2018 brannte in Neukölln das Auto des Linken-Politikers Ferat Kocak. Der Anschlag ist bis heute nicht strafrechtlich geahndet
Rechter Angriff. In der Nacht zum 1. Februar 2018 brannte in Neukölln das Auto des Linken-Politikers Ferat Kocak. Der Anschlag ist bis heute nicht strafrechtlich geahndet

© Foto: dpa/Ferat Kocak/Die Linke Berlin

Ob es ein gezielter Schachzug der Behörden war, die beiden Neonazis gemeinsam in Untersuchungshaft zu stecken, um sie abzuhören, bleibt vorerst offen. Jedenfalls soll Tilo P. zu Maurice P. „im Rahmen der gemeinsamen Unterbringung“ in der Haftanstalt Moabit gesagt haben, dass man ihm „jetzt auch noch wegen der anderen Sachen was anhängen“ wolle, dabei habe er „nur Schmiere“ gestanden.

Die Ermittler gehen davon aus, dass es sich bei den „anderen Sachen“ um die Neuköllner Brandanschlags-Serie handelt. Diese Aussage schaffte es in das Behördenzeugnis des Verfassungsschutzes. Es war im November 2021 nur wenige Tage vor Maurice P.s Haftentlassung für die Generalstaatsanwaltschaft ausgestellt worden.

Nun steht die Vermutung im Raum, dass das kein Zufall gewesen sei, Maurice P. sich dem Nachrichtendienst angedient und Tilo P. bespitzelt habe. Gerade nach den Verstrickungen von Verfassungsschutzbehörden in den Skandal um das Neonazi-Terror-Netzwerk NSU ein schwerer Vorwurf.

Die Generalstaatsanwaltschaft stellt auch deshalb nun klar: Es habe keinen Justizdeal mit dem Nachrichtendienst und Maurice P. gegeben. Und P. habe nicht für den Verfassungsschutz gespitzelt. Vielmehr hat der Nachrichtendienst die beiden Neonazis offenbar einfach abgehört.

„Der Inhalt des in Rede stehenden Gesprächs zwischen Maurice P. und Tilo P. entstammt der verdeckten technischen Maßnahme eines Nachrichtendienstes“, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Feuerberg nun. Dieses Beweismittel sei für das Verfahren zum Neukölln-Komplex vor dem Amtsgericht wichtig, sei aber „ohne gewollte Mitwirkung der Gesprächspartner entstanden“. Auch die Staatsanwaltschaft sei an der Abhörmaßnahme durch den Nachrichtendienst nicht beteiligt gewesen.

Dirk Feuerberg, Vertreter der Generalstaatsanwältin in Berlin und Leiter der Abteilung Staatsschutz, Terrorismus und Extremismus widerspricht dem Spitzelverdacht deutlich.
Dirk Feuerberg, Vertreter der Generalstaatsanwältin in Berlin und Leiter der Abteilung Staatsschutz, Terrorismus und Extremismus widerspricht dem Spitzelverdacht deutlich.

© Foto: GStA/Mona Lorenz

Das Abgeordnetenhaus, wo ein Untersuchungsausschuss den Neukölln-Komplex und angebliche Verstrickungen der Behörden in die rechtsextremistische Szene prüft, muss Bescheid gewusst haben. Denn die Verfassungsschutzabteilung der Senatsinnenverwaltung muss der sogenannten G10-Kommission des Parlaments berichten, wenn sie in die Grundrechte von Extremisten eingreift und das per Grundgesetz geschützte Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis verletzt – und etwa Gespräche abhört.

Völlig im Widerspruch zum Spitzelvorwurf steht nach Darstellung der Staatsanwaltschaft außerdem, dass die Behörde gar nicht wollte, dass Maurice P. aus der Untersuchungshaft entlassen wird – denn sonst hätte sie ihn nicht wegen versuchten Mordes angeklagt. „Die Entscheidung des Landgerichts, die Anklage gegen Maurice P. lediglich als gefährliche Körperverletzung zuzulassen und ihn aus der Haft zu entlassen, erging zudem entgegen dem Antrag der Staatsanwaltschaft“, sagte Extremismus-Chefermittler Feuerberg.

Im Kokain-Rausch und betrunken verfehlte er mit dem Cuttermesser knapp die Halsschlagader

Neben einer Schlägerei mit Linken in Neukölln und einem Hitlergruß vor dem Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma im Tiergarten geht es in der Anklage gegen Maurice P. um einen Angriff „aus Hass gegen Menschen mit dunkler Hautfarbe“ auf einen Jamaikaner in Rudow im September 2021.

Die Angeklagten im Neukölln-Komplex im Gerichtssaal.
Die Angeklagten im Neukölln-Komplex im Gerichtssaal.

© Foto: dpa/Christian Ender

Betrunken und im Kokain-Rausch soll sich Maurice P. vor einem Döner-Imbiss gerühmt haben, rechtsextremistisch zu sein, Adolf Hitler zu verehren und dessen „Mein Kampf“ gelesen zu haben. Schwarze soll er immer wieder als „Nigger“ bezeichnet und mit Juden verglichen haben. Im Streit soll er dann mit einem Cuttermesser den Jamaikaner angegriffen, dessen Halsschlagader nur um wenige Zentimeter verfehlt und eine klaffende Wunde hinterlassen haben.

Ursprünglich erhob die Staatsanwaltschaft Anklage zum Landgericht – wegen versuchten Mordes. Doch es entschied im Dezember 2021 bei der Zulassung der Anklage: Weil Maurice P. einem Fahrlehrer nach dem Cutter-Angriff sagte, er solle den Polizei-Notruf 110 wählen, sei er vom Mordversuch zurückgetreten. Es stufte die Anklage auf gefährliche Körperverletzung herab und gab den Fall ans Amtsgericht ab.

Das hatte Folgen für Maurice P.. Der saß auf Antrag der Staatsanwaltschaft in Untersuchungshaft. Da das Landgericht keinen Mordversuch mehr sah, wurde sogleich der Haftbefehl aufgehoben. P., der zwei SS-Runen auf seinen linken Zeigefinger tätowiert hat, soll bei mehreren Anlässen den Hitlergruß gezeigt und/oder Shirts etwa mit dem Konterfei von Adolf Hitler getragen haben.  

In der eher spärlich eingerichteten Wohnung fanden die Ermittler zahlreiche Nazi-Aufkleber, aber auch eine Hakenkreuzfahne und ein Rudolf-Hess-Plakat. Selbst in den Spiegel und in den Fernseher waren Nazi-Symbole gekratzt.

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