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Fahrscheinkontrolle: Es ist immer eine unangenehme Situation. Selbst für alle, die ihr Ticket dabei haben.

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Berliner S-Bahn: Schafft die Schock-Kontrollen ab!

Falsches Ticket gelöst, Ticket vergessen – auch für ehrliche Kunden sind die überraschenden Kontrollen erniedrigend. Das muss aufhören. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Liebe Kontrollettis, ich weiß, ihr könnt nichts dafür. Ihr macht nur euren Job und das, was die da oben sagen. Also nehmt es nicht persönlich, wenn ich sage: Ich möchte, dass ihr verschwindet.

Zeigt mir den Menschen, der es als angenehm empfindet, im Berliner Nahverkehr nach seinem Ticket gefragt zu werden. Es gibt ihn nicht. Tarnung und Täuschung, so läuft es. Nicht auffallen, soll ja keiner weglaufen können. Dann der Schreckmoment. Es ist immer ein Schreck. Ätzend.

Okay, ich stehe auch im Sündenregister. Länger her. Das berühmte Spielchen an der Tarifgrenze. Ich saß im falschen S-Bahn-Zug und hatte mich festgelesen. Keine Gnade, natürlich nicht. Langjähriger Kunde, Monatskarte, freundliches Flehen – alles egal. Aber das ist es nicht, was einen so ärgert. Es ist der Umgang mit jenen treuen Kunden, die ihr Monatsticket bloß vergessen haben.

Warum kann das Abo nicht digital überprüft werden?

Wie stehen die denn da? Wie Schwarzfahrer. Peinlich. Man wird ja häufiger Zeuge, wie die Erwischten herumjammern und sich rauszureden versuchen. Die werden dann hops genommen, kriegen einen Zettel und müssen auch 60 Euro zahlen. Es sei denn, sie machen sich auf zum Ostbahnhof, zum Schwarzfahrer-Zentralbüro der S-Bahn. Dort müssen sie leibhaftig erscheinen. Damit auch wirklich jeder mitkriegt, weshalb man hier ist, steht draußen riesengroß ERHÖHTES BEFÖRDERUNGSENTGELT und drinnen über jedem Schalter nochmal ERHÖHTES BEFÖRDERUNGSENTGELT.

„Unglücklich“ nennt die Berliner Datenschutzbeauftragte diese Art, Eintretenden sichtbar einen Stempel aufzudrücken, aber es gibt ein treffenderes Wort dafür: erniedrigend. Zumal für Kunden, die schon einige tausend Euro für Fahrkarten überwiesen und jetzt das Pech hatten, ihre mal vergessen zu haben. Den hinter einer Art Prallwand thronenden Sachbearbeitern dürfen Missetäter sodann eine Bitte vortragen. Die Bitte, die Vertragsstrafe auf sieben Euro zu reduzieren. Aber nur innerhalb von sieben Tagen. Sonst ist die Kohle futsch. Und klar, immer schön nett sein. Die Damen und Herren, die bei ERHÖHTES BEFÖRDERUNGSENTGELT tätig sind, müssen sich den lieben langen Tag nichts als dumme Ausreden anhören. Das macht reizbar.

Die Kontrolleure sind in zivil unterwegs. Wenn die Türen zugehen, geben sie sich zu erkennen. Immer ein Schockmoment. Das muss enden.
Die Kontrolleure sind in zivil unterwegs. Wenn die Türen zugehen, geben sie sich zu erkennen. Immer ein Schockmoment. Das muss enden.

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Absurd. Während man sich im Fernverkehr der Deutschen Bahn noch kurz vor Abfahrt ein Ticket laden und die Bahncard elektronisch hinterlegen kann, sieht sich die zum selben Staatskonzern gehörende S-Bahn außerstande, ihre langjährigen Abonnenten mal kurz digital zu überprüfen. „Eine Online-Abfrage zum Zeitpunkt der Kontrolle ist nicht möglich“, heißt es. Dann macht sie möglich! So schwierig kann es nicht sein. Die BVG hat es immerhin schon geschafft, dafür ein Online-Tool bereitzustellen, was zeitraubende Gänge erspart. Reden wir auch über Zahlen. Allein im vergangenen Jahr waren es rund 55.000 bedauernswerte redliche Kunden, die sich bei ERHÖHTES BEFÖRDERUNGSENTGELT mit nachträglicher Ticketvorlage Gnade erbaten. So sieht es dort auch aus. Hier ist niemand willkommen. Der Aufenthalt ist eine Zumutung. Jedem ist seine Anwesenheit peinlich.

Den Kontrolleuren wird erzählt, sie hätten ein Festhalterecht. Kommt aber drauf an ...

Jetzt nochmal zu euch, Kontrollettis. Ihr gehört abgeschafft. Abgeschafft gehört die gesamte Situation, in der wir euch begegnen müssen. Es ist eine Situation voller Konflikt- und leider auch Gewaltpotenzial. Allein die BVG-Kontrolleure mussten im ersten Halbjahr rund tausend Mal die Polizei rufen, es folgten 40 Anzeigen wegen Körperverletzung. Ihr tut mir leid. Euch wird erzählt, ihr hättet ein gesetzliches Festhalterecht, weil Schwarzfahren eine Straftat sei. Aber ob ihr damit wirklich im Recht seid, kommt immer auf den Einzelfall an. Was ist mit einem, der behauptet, er habe sein Ticket vergessen? Wird der auch festgesetzt? Und wenn es stimmt? Dann sieht Festhalten wie Freiheitsberaubung aus.

Dass wir uns an diese Zustände gewöhnt haben, macht sie nicht besser. Die Verkehrsunternehmen haben Mitarbeiter abgezogen und Zugangskontrollen abgebaut. Schrecken und Strafrecht sollen die Lücke füllen. Doch Tarifzonen dürfen keine Kampfgebiete sein. Ich will Frieden.

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