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Jörg Weimann, Experte für Intensivmedizin der Berliner Ärztekammer.

© Hannes Heine/Tagesspiegel

„Wir stehen vor harten Auseinandersetzungen“: Was ein führender Berliner Intensivmediziner am Lauterbach-Plan kritisiert

Der Gesundheitsminister fordert die Spezialisierung der Kliniken. Gerade in Berlin birgt aber das Probleme, sagt Ärztekammer-Experte Jörg Weimann.

Die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vorgestellten Pläne für eine Krankenhausreform sind auch in Berlin – wenngleich vorsichtig – gelobt worden. Nun melden sich Kritiker der avisierten Klinikreform zu Wort.

„Was auf dem Papier gut klingt, im Sinne medizinischer Qualität auch unter Ärzten akzeptiert ist, wird in der Umsetzung zur herkulischen Aufgabe“, sagt der Berliner Intensivmediziner Jörg Weimann. „Es fehlen Daten, es droht Rechtsstreit.“

Weimann ist Chefarzt im Sankt Gertrauden-Krankenhaus in Wilmersdorf und Experte für Intensivmedizin der Berliner Ärztekammer. Nach Lauterbachs Vision sollen sich Kliniken je nach Diagnosen und Schweregrade spezialisieren. Zudem sollen die Häuser, wenn Lauterbach sich durchsetzt, endlich die von ihnen geforderten Vorhaltemittel erhalten.

Viele Kliniken dürfen bestimmte Behandlungen dann nicht mehr durchführen.

 Jörg Weimann, Experte für Intensivmedizin der Berliner Ärztekammer

Bislang erhalten die Kliniken von den Krankenkassen pro Behandlungsfall eine fixe Pauschale – weshalb es lukrative Eingriffe gibt und solche, die mehr kosten, als sie einbringen. Es lohnt sich für die Krankenhäuser also, bestimmte Eingriffe massenhaft anzubieten und andere Behandlungen zu vernachlässigen.

„Profit wird also gemacht, wo mit möglichst wenig Personal und Material entweder viele, kleinere oder aber teure, komplexere Fälle abgearbeitet werden“, sagt Weimann. „Gut, dass Lauterbach dieses Prinzip zumindest abschwächen will.“ Dennoch berücksichtigten seine Pläne etwa Weiterbildung kaum, dabei müsse darin investiert werden. 

Vor allem die vom Gesundheitsminister skizzierte Spezialisierung aller Kliniken sei problematisch. Zur Einordnung: Level-I-Kliniken wären für die Grundversorgung da, stationäre Aufenthalte soll es dort kaum noch geben. Level II umfasst neben der Regel- auch Schwerpunktversorgung. Und Level-III-Häuser, vorrangig Universitätskliniken, kümmern sich im Lauterbach-Plan um Spezialeingriffe.

Die Intensivstation der Kinderklinik des St. Joseph-Krankenhauses in Berlin
Die Intensivstation der Kinderklinik des St. Joseph-Krankenhauses in Berlin

© dpa/Christoph Soeder

„In Berlin gibt es derzeit 37 Akutkrankenhäuser, also Kliniken mit Notaufnahmen“, sagt Weimann. „Von diesen 37 Kliniken erfüllen aber nur acht die von Lauterbachs Experten skizzierten Kriterien für Level II und Level III. Die anderen 29 Häusern dürften dann also viele Behandlungen nicht mehr durchführen.“

Die von Minister Lauterbach eingesetzte Expertenkommission regte dazu an, Krankenhäuser zu fusionieren, um danach die Voraussetzungen für das angestrebte Level zu erfüllen.

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„In Berlin, wo circa 50 Krankenhausträger aktiv sind, wird das schwierig“, sagte Weimann. Das antizipierten Lauterbachs Experten offenbar. Streiten sich die Kliniken, sei ein „regionaler Moderator denkbar“, der Umstrukturierungen begleite, schrieb die Kommission. „Das zeigt, dem Gesundheitswesen stehen Jahre harter Auseinandersetzungen bevor“, sagt Weimann.

37
Akutkrankenhäuser mit Notaufnahme gibt es in Berlin

Die von Lauterbach empfohlenen Vorhaltekosten sollen zwar unabhängig von der Zahl der Behandlungsfälle an die Kliniken gehen, dennoch sollen sie davon abhängen, wie gut, letztlich wie pannenfrei die Behandlungen an der jeweiligen Klinik im Schnitt laufen.

Intensivmediziner Weimann sagt dazu, dass „valide Kriterien“ zur Messung der Behandlungsqualität nur für wenige Disziplinen vorlägen. Eine „rechtssichere Umsetzung“ der Lauterbach-Pläne sei damit zumindest fraglich.

Ohne mehr Eigenverantwortung und eigene Leistungsbereitschaft wird es nicht gehen. Es braucht einen Basistarif. Wer besser versorgt werden will, muss tiefer in die Tasche greifen.

Schreibt Community-Mitglied Sehende

Die Vorschläge zur Reform der deutschen Krankenhäuser seien nur ein erster Schritt für eine Neuausrichtung des Gesundheitssystems, die Pläne Lauterbachs „mutig“, in der aktuellen Lage aber auch eine „Notfallmaßnahme“. Das sagte der Versorgungsforscher und Ex-Präsident der Medizinischen Hochschule Brandenburg, Edmund Neugebauer, der Deutschen Presse-Agentur.

„Das System steht aber vor einer Explosion, wenn man da nicht weitermacht“, wird Wissenschaftler Neugebauer zitiert. Lauterbach sei der erste Bundesminister, der in den letzten 20 Jahren signifikante Veränderungen einleite. Diese verdienten Unterstützung.

Die Kosten im deutschen Gesundheitswesen steigen wie berichtet stetig, was mit der alternden Bevölkerung aber auch dem Wettbewerb um gut bezahlte Eingriffe zu tun hat.

Positiv hatten auch Berliner Krankenhausmanager auf Lauterbachs Plan reagiert, wenngleich man die Details der gewünschten Reform abwarten müsse. Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) sagte, sie unterstütze die Pläne – mahnt aber, die Autonomie der Bundesländer in der Krankenhausplanung zu berücksichtigen.

Eine Reform durch den Bund sei „dringend notwendig und lange überfällig“, sagte Gote vor einigen Tagen. „In welcher Situation sich die Berliner Krankenhäuser befinden, wird in der aktuellen Situation der Pädiatrien besonders deutlich.“ In den Kinderkliniken gibt es in der aktuellen RSV- und Grippewelle kaum noch freie Betten.

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