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Michel Würthle im Café Hawelka. Österreich. Photographie. 1968.

© picture-alliance / brandstaetter images/Christian Skrein/Christian Skrein

„Wir stoßen auf sein Leben an“: Erinnerungen an Michel Würthle von der legendären „Paris Bar“

Vor wenigen Tagen verstarb Michel Würthle, Künstler und Inhaber der „Paris Bar“. Seine Freunde Nicole Hackert und Bruno Brunnet erinnern sich.

Von
  • Nicole Hackert
  • Bruno Brunnet

Freitagabend, wir haben heute Ausstellungseröffnung in der Grolmanstraße: Frühe Bilder von Christa Dichgans im Erdgeschoß, eine Hommage an den Filmemacher und Schriftsteller Oskar Roehler in der Bel Étage.

Eigentlich zu viel zu tun, um einen Nachruf zu schreiben. Zumal vor jeder Eröffnung pünktlich um halb sechs Michel auf der Matte steht, um mit seinem unfehlbaren Urteil, das mit zunehmendem Alter immer versöhnlicher ausfällt, kurz mal die Ausstellungen zu kommentieren. Dann zieht er weiter in die „Paris Bar“, wohin wir ihm meist nach der Eröffnung folgen.

Heute kommt er nicht.

Der Tod muss abgeschafft werden. Diese verdammte Schweinerei muss aufhören. Wer ein Wort des Trostes spricht, ist ein Verräter“, schrieb Bazon Brock. Das Unversöhnliche dieses Epigramms passt besser zu unserer Stimmung als das – nicht weniger richtige – „Berlin wird ohne ihn nicht mehr so sein, wie es war“. Man lässt seine Ausstellungen gerne beurteilen von jemandem, auf dessen Anwesen auf Syros, dem Ktima Kanné, Martin Kippenberger die erste seiner U-Bahnstationen realisieren durfte.

Auch das MOMAS, das erste „Museum“ zeitgenössischer Kunst auf Syros, entstand unter anderem durch Kippenbergers und Würthles Initiative. Es war ein Freilichtmuseum auf einer Bauruine unweit von Ktima Kanné, auf dessen Existenz lediglich ein von Christopher Wool gestaltetes Verkehrsschild hinwies.

Die Ausstellungsliste dieses eher dadaistischen Projekts liest sich noch heute wie das Who’s Who der zeitgenössischen Kunst: Cosima von Bonin, Stephen Prina, Christopher Williams, Michael Majerus, Hubert Kiecol, Ulrich Strothjohann – um nur einige wenige zu nennen.

Die Terrasse war das Zentrum

Die Terrasse von Katerina und Michel war das Büro des MOMAS. Die Künstler:innen, durchweg Freunde, kamen in einem der Häuser auf Ktima Kanné unter. Gegessen wurde ebenfalls auf der Terrasse. Alles maximal unschick, eher Boheme.

Karolina, Michel und Katerinas wunderbare Tochter, immer mittendrin. Wären Michel solche Bezeichnungen nicht ein Graus gewesen, wäre dies das informelle Modell des Artist in Residence, avant la lettre gewesen.

Michel Würthle (1943-2023) im Jahr 2007 in seinem Lokal vor dem berühmten Kippenberger-Gemälde, das die Bar selbst darstellt.

© IMAGO/Jannis Chavakis

1994 waren wir zum ersten Mal bei Michel auf Syros, wir blieben vier Wochen. Eine bessere Schule in Sachen Haltung – und Aushalten – als die Abendessen und Gelage auf der Terrasse konnte man nicht durchlaufen. Bruno hatte durch einige Jahre als Michels Angestellter einen Vorsprung in dieser Schule; es ging durchaus nicht immer gemütlich und harmonisch zu. Michel war bekannt für seinen Zynismus, diesen Schutzpanzer der intelligentesten und emotionalsten unter uns.

Michel hatte Kunst studiert, im Wien der 60er Jahre. Woran das scheiterte, beschrieb er in einem Interview mit Manuel Bonik: „Ich hasste diese Atmosphäre, diesen kleinbürgerlichen Mief unter den akademischen Künstlern – von Arnulf Rainer einmal abgesehen, der mich zumindest irritierte.

Der Schriftzug «Restaurant Paris Bar» in der Kantstraße.

© Foto: dpa/Jens Kalaene

Aber ich sah ja gleichzeitig Künstler sich anstellen beim Unterrichtsministerium. Deren Verstellungen, dieses Antichambrieren, dieses graue Buckeln, widerlich. Sonst waren es die größten Rabauken, und sobald irgendein offizielles Gurkenei dabei war, gaben sie sich klein wie Muftis.“

Also auf nach Berlin zu Oswald und Ingrid Wiener, um das Exil zu gründen. „Da hat mich Oswald zum Arbeiten gebracht, der einzige, dem sowas gelingen konnte. Von Null auf Schwerstarbeit!“

Der Hauptdarsteller geht

20 Jahre später: 1993, da betrieb Michel schon seit 14 Jahren die „Paris Bar“, veranstaltete Bruno mit Ingrid Wiener einen „Exil“-Jubiläumsabend, die legendäre „Warme Mahlzeit“ in Köln. Sie brauchten hierfür einen Beitrag für die Wand. So entstanden die vier ersten Zeichnungen Michels nach seinem Studium. Das war der Startschuss, auf den der Zyklus „Aufzeichnungen eines bewaffneten Schankprinzen“ folgte. 120 Federzeichnungen, die wir 1994 in der Galerie ausstellten und als Buch verlegten.

Unsere Künstler:innen und unsere Kinder wurden in dieses Wohnzimmer ,Paris Bar’ eingeführt und von Michel geliebt, gehätschelt und getadelt. 

Nicole Hackert und Bruno Brunnet

Die Reaktion auf dieses Opus schätzte er selbst im Gespräch mit Bonik so ein: „Auf zwei Kübel Hohn kommt ein Tropfen Anerkennung. Das habe ich auch schon vorher gewußt. Ich bin mir jetzt mein eigenes Experiment und kann mich als solches nicht überflüssig finden. Ich habe jahrzehntelang Behauptungen aufgestellt und Kunst- und Anti-Kunst-Posen durchstudiert. Was kommt da raus aus dem Sack Lebenserfahrung? Das ist das Interessante. Die Skepsis bin ich ohnehin.“

Bis 2018 mussten wir auf unsere zweite Ausstellung warten. „Le Cinéma de la Vie“ wurde kongenial kuratiert von Michels Freund Fabrice Hergott, dem Direktor des Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris. Dazwischen lagen weitere Urlaube auf Syros, eine Gemeinschaftsausstellung von Michel und seiner viel zu früh verstorbenen Katerina unter dem Titel „My Husband and I“, legendäre CFA-Eröffnungsparties und alle Arten von Familienfesten in der „Paris Bar“, inklusive unserer Hochzeit, für die Michel die Menükarte gestaltete und eigens die „Consomé á la Truman Capote“ erfand.

Unsere Künstler:innen und unsere Kinder wurden in dieses Wohnzimmer „Paris Bar“ eingeführt und von Michel geliebt, gehätschelt und getadelt. Dafür heiratete er in unserem Wohnzimmer seine zweite Frau Catherine.

Le Cinéma de notre vie... aus dem sich einer der Hauptdarsteller nun für immer verabschiedet hat. Jetzt ist es gleich halb sechs. Michel kommt nicht mehr. Wir aber sitzen um halb neun in der „Paris Bar“ und stoßen auf sein Leben an.

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