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Seit zehn Jahren geht es mit Berlins Lehrkräfteausstattung rapide bergab.

© Martin Schutt/dpa

Update Exklusiv

Berlins Bildungskrise verschärft sich: Regional nur noch zehn Prozent ausgebildeter Lehrer-Nachwuchs?

Marzahn-Hellersdorf musste offenbar fast alle neuen Stellen zum Schuljahr 2023/24 mit Seiteneinsteigern besetzen. Dies zumindest behauptet Mark Rackles von der SPD. Die CDU-Verwaltung widerspricht nicht.

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Die Entprofessionalisierung an den Berliner Schulen schreitet rasant voran. Nachdem im zehnten Jahr nach Ausbruch des Personalmangels in diesem Sommer abermals nur ein Bruchteil der Neueingestellten ausgebildete Lehrkräfte waren, könnte jetzt sogar die Zahl der Schulen steigen, an denen nur noch 50 bis 60 Prozent der Lehrkräfte über ein abgeschlossenes Lehramtsstudium verfügen.

Wie dramatisch die Lage in den unbeliebten Stadtgegenden ist, signalisieren Vorabdaten, die Ex-Bildungsstaatssekretär Mark Rackles (SPD) am Donnerstag twitterte. Demnach wurden in Marzahn-Hellersdorf nur zehn Prozent der freien Stellen mit grundständig ausgebildeten Lehrkräften besetzt und weitere zehn Prozent mit Quereinsteigern. Rund 80 Prozent waren demnach „Seiteneinsteiger“.

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Unter dem unpräzisen Begriff „Seiteneinsteiger“ verbergen sich so genannte „sonstige“ Lehrer, deren Qualifikation nicht für den Quereinstieg reicht, sowie Studierende und Pensionäre. Die Bildungsverwaltung teilte dem Tagesspiegel mit, sie könne Rackles’ Zahlen „derzeit nicht bestätigen, weil die Daten noch nicht final errechnet vorliegen“.

Ähnlich äußerte sich Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) am Donnerstag im Bildungsausschuss des Abgeordnetenhauses. Auf eine schriftliche Anfrage des grünen Schulpolitiker Louis Krüger, wie sie denn eine bessere Verteilung der Lehrkräfte erreichen wolle, hatte die Bildungsverwaltung jüngst geantwortet, dass sie erst die Auswertung der diesjährigen Einstellungen abwarten wolle. Auf dieser Grundlage werde „die Einführung möglicher Steuerungsmaßnahmen überprüft“.

Die Senatorin wartet die endgültigen Zahlen ab

Wie entmischt die Kollegien bereits sind, zeigen aber Daten aus dem Vorjahr. Dem Tagesspiegel liegt eine Übersicht aus Marzahn-Hellersdorf vor, wonach eine Schule bereits nur noch über 50 Prozent voll ausgebildete Lehrkräfte verfügte. Etliche weitere lagen bei einem Anteil von 60 bis 70 Prozent. Im Schnitt kamen die Schulen von Marzahn-Hellersdorf nur noch auf 80 Prozent Lehrkräfte mit Lehramtsstudium.

Schwer wiegt, dass außerdem im Schnitt zehn Prozent der Stellen gar nicht besetzt waren. Die Statistik für das gerade begonnene Schuljahr wird erst im November veröffentlicht.

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Besonders schwierig ist auch die Lage in Spandau. Auch hier konnten die Schulen seit etlichen Jahren weniger ausgebildete Lehrkräfte als in anderen Bezirken einstellen. Dies hat dazu geführt, dass hier ebenfalls der Prozentsatz der „echten“ Lehrer am Gesamtkollegium allmählich immer weiter sank, wie der Tagesspiegels bereits berichtet hatte.

Die schwierigsten Fälle in Spandau

Ganz konkret bedeutet das etwa für die Christoph-Földerich-Grundschule, dass sie 2022/23 nur noch über knapp 52 Prozent ausgebildete Lehrkräfte verfügte. An der Askanier-, Carl-Schurz- und Robert-Reinick-Grundschule waren es jeweils ebenfalls unter 60 Prozent. Diese Zahlen lieferte die Schulaufsicht Spandau im April 2023 auf Anfrage der Verordneten Tatjana Münchhausen (Grüne). Die Bildungsverwaltung teilte mit, sie könne diese Zahlen ihrer eigenen Schulaufsicht „nicht nachvollziehen“.

Schon 2018/19 konnten Berlins Grundschulen nur noch 30 Prozent der Stellen mit ausgebildeten Lehrkräften besetzen. Seither wurden vergleichbar präzise Zahlen nicht mehr herausgegeben.

© Böttcher

Regina Kittler, Bildungspolitikerin der Linken aus Marzahn-Hellersdorf, beklagte am Donnerstag eine „seit zehn Jahren fehlende Steuerung“ bei der Lehrereinstellung. Zu „steuern“ gibt es allerdings nicht mehr viel, weil seit zehn Jahren pro Jahr etwa 1500 Lehrkräfte zu wenig ausgebildet wurden.

Als Beamten aus anderen Bundesländern der Zuzug verweigert wurde

Tausende wanderten zudem mangels Verbeamtung ab, allein 2000 nach Brandenburg, wie Brandenburgs GEW-Chef Günther Fuchs angibt. Der Mangel verstärkte sich schlagartig, nachdem die damalige Bildungssenatorin Sandra Scheees (SPD) und ihr Staatssekretär Rackles 2013 verfügt hatten, dass Berliner Rückkehrer aus anderen Bundesländern ihren dort erworbenen Beamtenstatus nicht behalten durften - es sei denn, ihre Verbeamtung lag mindestens fünf Jahre zurück („Drehtürverbeamtung“)*.

Damit wurde der Zugang massiv eingeschränkt. Denn „fünf Jahre nach der Verbeamtung“ gab es nur noch wenige Lehrkräfte, die zum Wechsel bereit waren, da sie sich in diesen fünf Jahren in ihren jeweiligen Bundesländern etabliert oder gar eine Familie gegründet hatten. Ausnahmen wurden nur „im Tausch“ genehmigt, wenn zugleich ein Beamter aus Berlin in ein anderes Bundesland wechseln wollte.

Die verheimlichten Folgen der Nichtverbeamtung

Die Folgen dieser Beschränkung wurden ebenso verheimlicht wie die Zahl der Wegzüge ausgebildeter Lehrkräfte, die sich in anderen Bundesländern verbeamten lassen wollten, was in Berlin seit 2004 nicht mehr möglich war. Diese Zahl ließ Scheeres nie erheben oder zumindest nie veröffentlichen  — mutmaßlich, weil die SPD die Folgen ihrer eigenen Entscheidung nicht vorgehalten bekommen wollte. Erst kurz bevor nicht einmal mehr die Quereinsteiger ausreichten, um die Lücken zu füllen, argumentierte Scheeres mit der Zahl der Abwanderungen, um ihre Genossen für die Rückkehr zur Verbeamtung zu gewinnen.

Sarrazin Wowereit
Der damals Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit und sein Finanzsenator Thilo Sarrazin (beide SPD) zogen die Nichtverbeamtung der Lehrkräfte 2004 durch.

© dpa

Zu diesem Zeitpunkt waren die Lehrerzimmer aber bereist entmischt und zwar zuungunsten der Brennpunkte und Randbezirke. Die Senate unter SPD-Führung unternahmen einiges, um die von ihnen gewollte Nichtverbeamtung durch monatliche Geldzahlungen wie die millionenschwere Erfahrungszulage (1600 Euro) und die Brennpunktzulage (300 Euro) wettzumachen. Auch diese Maßnahme erreichten das Ziel einer besseren Ausstattung mit voll ausgebildeten Lehrkräften aber nur vorübergehend oder gar nicht.

*In einer früheren Textfassung hieß es, dass keine verbeamteten Lehrkräfte übernommen werden durften. Diese Verallgemeinerung war irreführend. Daher wird jetzt erklärt, welche Ausnahmen möglich waren.

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