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Das Entsiegelungs-Team: Felix Weisbrich, Leiter des Straßen- und Grünflächenamtes, und Annika Gerold, Bezirksstadträtin.

© Corinna von Bodisco

„Wir probieren, wie die Straße der Zukunft aussehen kann“: So steht es um die entsiegelten Parkplätze im Kreuzberger Graefekiez

Im Kreuzberger Graefekiez werden zwei Straßen mit Grünflächen, Parklets für Kinder und Jelbi-Stationen neu aufgeteilt. Das temporäre Projekt kommt gut an – aber nicht bei allen.

Noch haben die mit frischer Erde aufgefüllten, entsiegelten Flächen im Kreuzberger Graefekiez einen Baustellencharakter. Die ehemaligen Parkplätze – insgesamt sind es 37 – in der Böckh- und Graefestraße sind mit Baken oder rot-weißem Flatterband abgesperrt. Doch Anfang Oktober sollen die neuen Grünflächen, Boule-Plätze, Parklets für Kitas und ein „grünes Klassenzimmer“ vor der Lemgo-Grundschule geöffnet werden.

Die Maßnahmen sind Teil des „Projekts Graefekiez“, das ursprünglich eine andere Größenordnung hatte: Alle Parkplätze sollten im Rahmen eines wissenschaftlich begleiteten Modellprojekts wegfallen. Im Frühjahr 2023 wurde dann aber verkündet: Nur noch in zwei Teilabschnitten sollen schrittweise fast alle Parkplätze umgestaltet werden.

In den vergangenen Wochen wurden nun insgesamt 400 Quadratmeter am Rande der Böckh- und Graefestraße entsiegelt. „Wir wollen hier den Dreiklang Verkehrssicherheit und Mobilitätswende, Klimaanpassung und eine neue Nutzung des öffentlichen Raums umsetzen“, sagt Annika Gerold (Grüne), Bezirksstadträtin für Verkehr, Ordnung und Umwelt, anlässlich des Pflanzbeginns auf den Flächen.

Asphaltdecke aufreißen für mehr Versickerungsfläche

Der Bezirk wolle mit der Entsiegelung und der damit gewonnenen Versickerungsfläche auf Starkregenereignisse und Hitze reagieren. „Wir probieren hier aus, wie eine Straße der Zukunft aussehen kann“, sagt Gerold. Auch an anderen Stellen in Friedrichshain-Kreuzberg wird oder soll entsiegelt werden: Gerold zählt die Waldeyerstraße, den Lausitzer Platz und das Görlitzer Ufer auf. Letzteres soll bis Ende des Jahres zur Fußgängerzone werden.

Doch im Graefekiez gehe es nicht allein um die Entsiegelung, sondern um ein „Potpourri“ an Maßnahmen, sagt der Leiter des Straßen- und Grünflächenamtes, Felix Weisbrich. Geplant seien neue Gehwegvorstreckungen und die Einrichtung von Jelbi-Stationen für Sharing-Angebote sowie die Einrichtung von Lade- und Lieferflächen.

In der Böckhstraße befinden sich jetzt vier bunte Mini-Parklet-Flächen für Kinder.

© Corinna von Bodisco

Mit den Schüler:innen der Lemgo-Grundschule wurde ein grünes Klassenzimmer aus Holz und mit vier Kitas in Kooperation mit den Vereinen Naturfreunde Berlin und Berlin 21 bunte Parklets als Kiez-Terrassen für Kinder gestaltet.

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„Wir verbessern die Sichtverhältnisse auf den Straßen“, sagt Weisbrich. Eigentlich ist der Graefekiez seit etwa 40 Jahren verkehrsberuhigt, doch davon sei im Alltag wenig zu merken.

Felix Weisbrich zeigt die Graefestraße vor der Entsiegelung...

© Corinna von Bodisco

... und danach.

© Corinna von Bodisco

Weisbrich zeigt zwei laminierte Fotos, die zeigen, dass die dicht an dicht parkenden Autos im Zusammenspiel mit der befahrenen Straße keinen guten Überblick etwa für Schulkinder erlauben. Mit den umgenutzten Flächen seien die Straßen besser einsehbar.

Die Kosten für die Maßnahmen im Graefekiez belaufen sich laut Gerold auf insgesamt 140.000 Euro, die Entsiegelung hat 110.000 Euro gekostet. „Wir haben Mittel des Landesprogramms ‚Stadtverschönerung‘ des noch laufenden Doppelhaushaltes verwendet. Im jetzigen Entwurf für den neuen Haushalt sollen diese Mittel allerdings gestrichen werden“, sagt sie. Das Problem: Der Bezirk verfüge nicht über eine reguläre Finanzierung für Entsiegelungsmaßnahmen und sei deswegen vom Land abhängig.

Die Bepflanzung der ehemaligen Parkflächen soll von Anwohner:innen übernommen werden. Laut Bezirk gebe es dafür viel Interesse. Aktuell würden „Gestattungsverträge“ abgeschlossen, dann dürften die Anwohner:innen mit dem Bepflanzen beginnen. Zusätzlich stellt das Straßen- und Grünflächenamt bis zu 4000 Euro für Material und Arbeitsmittel zur Verfügung.

Noch sind die entsiegelten Flächen mit Flatterband abgesperrt. Doch bis Anfang Oktober sollen sie von Anwohnenden bepflanzt und mit einem Zaun eingefriedet werden.

© Corinna von Bodisco

Doch nicht alle Anwohner:innen sind begeistert. „Ich finde, das sind zu viele Grünflächen. Die Hälfte hätte gereicht“, sagt ein Nachbar, der betont, nicht gegen das Projekt zu sein. Doch als Heizungstechniker habe er nun ein Problem, einen Parkplatz zu finden. Ein anderer Anwohner sagt: „Das ist nur ein Versuch, für die Reichen ein Bullerbü zu errichten.“

Die Bezirksstadträtin versucht zu beschwichtigen. Es gebe immer geteilte Meinungen und nach der Testphase noch die Möglichkeit, nachzujustieren. „Wir setzen hier einen Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung um“, sagt Gerold. Mit der wissenschaftlichen Evaluierung würden dem Bezirksparlament die Ergebnisse erneut vorgelegt.

Es gibt keinen Anspruch auf einen Parkplatz.

Annika Gerold, Bezirksstadträtin für Verkehr, Ordnung und Umwelt

Und: „Es gibt keinen Anspruch auf einen Parkplatz“, sagt Gerold. Trotzdem würden alternative Parkmöglichkeiten diskutiert. Etwa das Parkhaus am Hermannplatz oder eine ähnliche Lösung wie das neue Parkcenter in Alt-Treptow. Der Bezirk befinde sich zudem für den Graefe-, den Reichenbergerkiez, den Lausitzer Platz und die Oranienstraße in Vorbereitungen für eine Parkraumbewirtschaftung.

Zumindest gibt es viel Bedarf an Halteflächen für den Lieferverkehr. Zum Beispiel vor dem Blumenladen „Eva Blume“. „Wird das hier mein beantragter Parkplatz?“, fragt die Inhaberin die Bezirksmitarbeiter:innen und zeigt auf die Lücke vor ihrem Laden – für den Lieferwagen zu klein. Doch auch Lade- und Lieferflächen seien im „Projekt Graefekiez“ eingeplant.

Alle Maßnahmen sollen zunächst ein Jahr laufen und vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) evaluiert werden. Der Verein „PaperPlanes“ bietet vor Ort regelmäßige Sprechstunden an. Doch wenn es nach Annika Gerold geht, könnte das Projekt auch verstetigt werden: „Die Maßnahmen sind befristet, aber der Rückbau noch nicht geplant“, sagt sie.

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