zum Hauptinhalt
Jakob Hagedorn wirbt in der Steglitzer Schloßstraße für den Klima-Volksentscheid.

© privat

Zwei Generationen für den Volksentscheid : „Wir müssen es wirklich versuchen, Berlin klimaneutral zu machen“

Ein 18-Jähriger und ein 67-Jähriger wollen die Stadt verändern: Solaranlagen, Windenergie, Wärmedämmung für jedermann. Berlin, finden sie, muss in die Puschen kommen. Ein Interview.

| Update:

Das Anliegen vereint Junge wie Ältere: Der Steglitzer Jakob Hagedorn ist 18 Jahre alt und studiert an der Freien Universität Physik. Adolf Wiedemann ist 49 Jahre älter, der ehemalige Lehrer lebt in Wannsee. Was beide umtreibt, ist die Sorge ums Klima: Beide engagieren sich beim Volksentscheid „Berlin 2030 klimaneutral“. Was ein erfolgreicher Volksentscheid für Steglitz-Zehlendorf bedeuten würde und ob auch 2032 ein akzeptables Datum für die Klimaneutralität Berlins wäre, erklären sie im Doppelinterview.

Herr Wiedemann, Herr Hagedorn, angenommen, der Klimavolksentscheid ist erfolgreich: Was würde das für den Bezirk bedeuten?
Hagedorn: Das erste ist die Strom- und Wärmeerzeugung. Nach dem Gutachten der Energy Watch Group können wir bis 2030 gut eine klimaneutrale Stromerzeugung schaffen, aber dafür muss viel getan werden.

Konkret heißt das für Vermieter und Eigenheimbesitzer: Wir brauchen ganz viel Photovoltaik auf dem Dach, und zwar in viel schnellerem Maße als es jetzt gerade der Fall ist. Die tolle Berliner Dachfläche müssen wir vollständig ausnutzen, sie ist der Hauptbaustein. Mieterinnen können mit einem Balkonkraftwerk schon einen guten Teil ihres Bedarfs decken. Beim Wannseer Helmholtz-Institut wird an Fassadensolaranlagen geforscht. Wir brauchen überall Photovoltaik.

Adolf Wiedemann ist pensionierter Lehrer. Der 67-Jährige lebt als Mieter in Wannsee. Gerne würde er sich ein Solar-Balkonkraftwerk auf die Terrasse stellen.

© privat

Ich vermute, dass viele Eigenheimbesitzer vor Kosten und Mühen zurückschrecken werden.
Hagedorn: Da sind Solar-Partys eine tolle Sache! Man kann als Gruppe nicht nur die Module günstiger als Sammelbestellung ordern, auch Fragen können gemeinsam geklärt werden.

Wiedemann: Es gibt Zuschüsse vom Land und beim Bund dafür. Außerdem sollte bedacht werden, dass die Energiepreise aus fossilen Quellen steigen und steigen; sie werden jedenfalls nicht gewaltig sinken. Deswegen rechnet es sich, in Solaranlagen zu investieren.

Haben Sie auf Ihrem Wannseer Dach eine Photovoltaikanlage?
Wiedemann: Leider nicht. Ich bin Mieter in einer kleinen Wohnung, und die wird leider mit Öl beheizt. Aber ich werde mir wohl so ein Balkonkraftwerk anschaffen, denn ich habe eine große Terrasse. So eine Anlage würde meine Stromkosten schon einmal um mindestens 25 Prozent senken. Auf mein Dach und meine Heizung habe ich leider keinen Einfluss, deswegen braucht es den richtigen politischen Rahmen für die Energiewende.

Solaranlagen auf öffentliche Dächer

Bisher sprachen Sie nur über gewünschtes Engagement der Bürger. Was müsste im Bezirksamt getan werden?
Hagedorn: Die Planungs- und Genehmigungsgeschwindigkeit auf der politischen Ebene muss schneller werden. Zum Beispiel wartet das Beethoven-Gymnasium – das liegt hier nebenan – seit acht Jahren auf die Genehmigung seiner Solaranlage. Das geht einfach nicht, dafür haben wir überhaupt keine Zeit mehr. So wird das mit 2030 nichts.

Wiedemann: Photovoltaik alleine wird nicht reichen. Wir werden ganz sicher aus dem Land Brandenburg mit Strom versorgt werden müssen – auch aus Windkraft. Photovoltaik wird nicht ganz Steglitz-Zehlendorf mit Strom versorgen können.

Was Berlin politisch bewegt, hören Sie jeden Freitag im Tagesspiegel-Podcast „Berliner & Pfannkuchen“. Alle Folgen finden Sie bei Spotify, Apple, Deezer und überall dort, wo es Podcasts gibt.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Wir sollten nicht für jede Photovoltaik-Anlage auf einer Schule eine eigene Unterschriftenaktion benötigen.

Jakob Hagedorn, Physik-Student

Das Beethoven-Gymnasium hat eine Online-Petition für die Solaranlage eingerichtet.
Hagedorn: Es ist super, dass sich die Schulgemeinschaft dafür einsetzt. Aber wir sollten nicht für jede Photovoltaik-Anlage auf einer Schule eine eigene Unterschriftenaktion benötigen. So etwas muss automatisch laufen. Es darf nicht an behördlichen Kapazitäten und Personalmangel liegen, dass so etwas nicht klappt. Der Volksentscheid will erreichen, dass solche Prozesse auf der politischen Ebene erleichtert werden. Sie müssen beschleunigt werden.

Wiedemann: Wer auch immer Berlin regieren wird, es muss eine Verwaltungsreform durchgeführt werden, damit die Zuständigkeiten klar sind, das Verfahren eindeutig und das Personal vorhanden ist.

Jakob Hagedorn, 18, will möglichst schnell sein Physik-Studium absolvieren, damit er beim Umbau zur klimaneutralen Stadt helfen kann.

© privat

Bei Photovoltaikanlagen sind die Zuständigkeiten klar: Der Bezirk kann entscheiden.
Wiedemann: Das ist ein weiteres Argument dafür, dass der Bezirk in die Puschen kommen muss. Immerhin hat Berlin 2019 die Klimanotlage erklärt – aufgrund einer Initiative von uns. Doch es wird nicht danach gehandelt. Die Prioritäten müssen neu gesetzt werden. Generell gilt: Klimaschutz kostet erst einmal Geld, aber diese Investitionen für die Zukunft müssen gemacht werden. Und zwar jetzt.

Woher das Geld für die Investitionen in den Klimaschutz kommen soll? Alle unsinnigen Klimamaßnahmen werden gestoppt. 

Jakob Hagedorn

Auch wenn sich die Investition irgendwann auszahlen, muss das Geld ja irgendwo herkommen. Woher?
Hagedorn: Erst einmal: Wir müssen jetzt investieren, sonst sind die späteren Kosten viel, viel höher. Tut man nichts, wird uns der Klimakollaps einholen. Ein krasses Beispiel: Die Kosten der Katastrophe im Ahrtal betrugen 40 Milliarden Euro, 136 Menschen starben. Woher das Geld für die Investitionen in den Klimaschutz kommen soll? Alle unsinnigen Klimamaßnahmen werden gestoppt. Dafür, eine Produktion für synthetische Treibstoffe aufzubauen, ist kein Geld da.

Auch nicht für die von der CDU so betitelte „Klimaautobahn“?
Hagedorn: Genau, für die A100 ist kein Geld vorhanden. Das Argument, wir haben kein Geld für den Klimaschutz, ist keines: Wenn wir nichts tun, werden ich und meine Generation ein Vielfaches der heutigen Investitionssummen in der Zukunft bezahlen müssen.

Windräder auf die Berliner Stadtgüter

Über Solaranlagen haben Sie gesprochen, was ist mit dem Wind?
Hagedorn: Eines ist klar: Berlin wird nicht durch Windkraftwerke klimaneutral. Auch wenn man hier oder da eines aufstellen könnte.

Zum Beispiel im Grunewald?
Wiedemann: Ich weiß nicht, ob das ein Schreckgespenst ist. Durch den Grunewald führt auch die Avus, die ist auch nicht toll anzusehen. Wenn der Senat sich entscheiden würde, dort Windräder aufzustellen, würde sicherlich nicht der ganze Grunewald mit Windrädern vollgepflastert. Aber wenn da ein paar von ihnen stehen würden, würde das nicht den Weltuntergang bedeuten. Als erstes muss Berlin jedoch die Flächen nutzen, die der Stadt in Brandenburg gehören – das ist eine Fläche von 160 Quadratkilometern.

Überzeugungsarbeit im Wald: Adolf Wiedemann im Gespräch mit Spaziergängern.

© privat

Anderes Thema: Wärmedämmung. Trotz vieler Eigenheime ist auch Steglitz-Zehlendorf ein Mieterbezirk. Was ist Ihre Antwort darauf, dass energetisch sanierte Wohnungen, teurer und für viele nicht mehr bezahlbar wären?
Wiedemann: Der Klimavolksentscheid sieht vor, dass diese Mietensteigerungen begrenzt und durch öffentliche Mittel abgefedert werden. Die Mieten sollen und müssen nicht wesentlich steigen. Zugleich profitieren die Mieterinnen und Mieter davon, dass die Wohnungen gedämmt werden, die Kosten für die Heizung sinken.

Klimaschutz hat immer eine soziale Komponente: Man muss ihn sich leisten können.
Wiedemann: Das stimmt, denn gerade für die ärmeren Leute steigen die Belastungen immer mehr an. Wenn die Stadt immer heißer wird, wird es besonders da heißer werden, wo ärmere Menschen wohnen. Sie werden zumindest im Sommer in den Siedlungen nicht mehr leben können. Zudem werden mit dem Voranschreiten der Klimakrise die Lebenshaltungskosten massiv steigen.

Wenn bei uns in der Umgebung die Felder verdorren oder vom Starkregen hinweggeschwemmt werden, was kostet dann ein Kilogramm Brot? Investitionen in den Klimaschutz sind jetzt auch schon soziale Maßnahmen. Gleichzeitig muss man auch sagen, dass die Klimaschädigungen vor allem von denen ausgehen, die eher etwas wohlhabender sind. Große Wohnungen und Häuser müssen geheizt werden, große Autos schlucken viel Treibstoff und stoßen viele klimaschädliche Abgase aus.

Mini-Schritte reichen nicht

Ist Steglitz-Zehlendorf beim Thema Klimaschutz ein Vorreiter?
Hagedorn: Ich finde, das Vergleichen von Bezirken ist eine schwierige Sache, weil wir alle total weit hinten sind. Wir tun alle nicht genug.

Wiedemann: Als ich mich auf dieses Gespräch vorbereitete, wollte ich wissen, wie es hier im Bezirk mit dem Klimaschutz eigentlich aussieht. Ich fand eine Website von 2009, auf der die Klimaschutzziele bis 2020 definiert wurden. Man findet aber nirgends etwas darüber, ob die erreicht worden sind. Also habe ich beim Bezirksamt angefragt, ob es neuere Zahlen gibt – und die gibt es offensichtlich nicht. Zumindest konnte man mir das nicht sagen. Wohl auch deshalb, weil die zuständige Mitarbeiterin das Bezirksamt verlassen hat.

Seit etwas über einem Jahr wird der Bezirk von einem Bündnis von Grünen, SPD und FDP geführt. War das gut für das Klima?
Wiedemann: Es war ja nur eine recht kurze Zeit, da wäre es unredlich, ein Urteil zu fällen. Allerdings sehe ich schon viele kleine Dinge, die zusammengenommen ein großes Ganzes ergeben. Im Verkehrsbereich ist vieles geschehen, Ladesäulen für E-Autos wurden eingerichtet, Radwege gebaut, es gibt ein Radwegekonzept.

Mit der Natur schließt man keine Kompromisse.

Jakob Hagedorn

Hagedorn: Es gibt eine Diskrepanz zwischen dem, was alles getan wird – und das ist ja nicht schlecht –, und dem, was geschehen müsste. Da klafft ein Riesenunterschied. Wir machen schon Mini-Steps, ja, aber wir müssen viel mehr schaffen. Weder Berlin noch Steglitz-Zehlendorf kommen da hinterher. Ob Ampel oder Schwarz-Rot, alle demokratischen Parteien müssen sich an den naturwissenschaftlichen Grenzen orientieren. Da setzt der Volksentscheid, der überparteilich ist, an: Mit der Natur schließt man keine Kompromisse.

Der größte Kritikpunkt am Volksentscheid ist sein ambitionierter Zeitplan: Ist es überhaupt möglich, dass Berlin bis 2030 klimaneutral wird?
Wiedemann: Es gibt unterschiedliche Untersuchungen, die das Ziel für erreichbar halten – zumindest in zeitlicher Nähe zu 2030. Fernwärme, Photovoltaik, besserer Nahverkehr, attraktive Radwege, das ist alles möglich.

Dass Planungsprozesse lange dauern oder Fachkräfte fehlen, das sind Dinge, bei denen die Politik gegensteuern kann. Da vermisse ich bei den Kritikern des Volksentscheids den Willen, mit Phantasie und Kreativität Lösungen zu erarbeiten. Zum Beispiel muss man vielleicht, um Photovoltaikanlagen installieren zu können, nicht mehr eine vierjährige Ausbildung machen; vielleicht kann man das auch in einem Jahr erlernen.

Wichtig ist: Wir müssen 2030 den größten Brocken geschafft haben.

Adolf Wiedemann, Pensionär

Was soll ich machen, wenn ich zwar die Ziele als richtig erachte, aber ich bezweifele, dass es bis 2030 mit der Klimaneutralität klappt?
Wiedemann: Stimmen Sie trotzdem bitte mit „Ja“. Denn auch wenn es erst 2032 dazu käme, dass Berlin klimaneutral wird, werden wir nicht dagegen klagen. Wenn sich die Politiker und Politikerinnen ernsthaft kümmern und alle Entscheidungen, die jetzt möglich sind, auch treffen, werden wir nicht 2030 mit Klagen kommen. Dann wird es eben 2032 oder 2033.

Wichtig ist: Wir müssen 2030 den größten Brocken geschafft haben. Das bisherige Ziel des Senats, im Jahr 2045 klimaneutral zu sein, ist viel zu spät. Wir müssen Druck ausüben und sagen: „Ihr müsst schneller werden, viel schneller.“

Hagedorn: Natürlich ist das ein enger Zeitplan, natürlich sind das große Herausforderungen und schwierige Entscheidungen. Aber wir können aus diesen großen Fragen lernen und als Pioniere vorangehen.

Sie klingen begeistert und voller erneuerbarer Energie…
Hagedorn: Als begeisterter Naturwissenschaftler freue ich mich natürlich und ich hoffe, dass ich rechtzeitig mit dem Studium fertig werde, um da auch noch mitzumachen. Es ist total spannend, es gibt bereits jetzt so viele Bausteine: Ich würde gerne das Legoset bis 2030 fertig bauen.

Wiedemann: Es geht darum, es wirklich zu versuchen. Es geht darum, dass unsere Stadt lebenswert bleibt, wir wollen, dass unsere Lebensgrundlagen gesichert werden. Der Volksentscheid ist jetzt die Chance, der Politik zu zeigen, dass es schneller gehen muss. Steglitz-Zehlendorf ist ein Bezirk mit vielen Grünflächen – wir wollen, dass das auch so bleibt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false