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Carola Schaaf-Derichs ist Geschäftsführerin der Landesfreiwilligenagentur Berlin e.V.

© Landesfreiwilligenagentur Berlin

Ehrenamt in der Corona-Krise: „Etliche Organisationen haben es nicht geschafft“

Gemeinnützige Vereine benötigen in der Pandemie spezielle Hilfen - und Anerkennung, sagt Carola Schaaf-Derichs, Chefin der Freiwilligenagentur Berlin

In den ersten Monaten der Pandemie gab es ein begeisterndes Maß an Engagement. Jetzt zeigt die bundesweite ZiviZ-Studie einen Rückgang des freiwilligen Engagements. Überrascht Sie das Ergebnis?
Nein. Denn auch in unserer Arbeit als Landesfreiwilligenagentur Berlin haben wir in den letzten Jahren bereits einige Auf und Ab des Engagements begleitet. Ich erinnere an das spontane Engagement, das es 2015 in der Flüchtlingskrise gab. Erst Monate später konnten wir eine Auffangberatung leisten; viele Menschen hatten sich ganz und gar diesem Engagement verschrieben und konkret geholfen, die notwendige Hilfe für die Helfenden war aber nicht mitentwickelt worden. Das zeigt: Krisen kommen, sie suchen uns heim, und wir alle sind dann gefordert, damit hilfreich umzugehen. Auch jetzt haben wir seit Beginn der Corona-Krise ganz viel Beratung angeboten. So haben wir die letztjährige Freiwilligenbörse im April 2020, die online stattfinden musste, dazu genutzt, ein Beratungsangebot für die 100 angemeldeten Organisationen anzubieten – also denen, die auf der Börse eigentlich den nun fehlenden Besucher*innen ein Angebot machen wollten. Von diesen 100 Ausstellern waren zunächst nur zehn Prozent noch in der Lage, ihre Arbeit in irgendeiner Form aufrechtzuerhalten. Das hat uns gezeigt, wie gravierend sich so eine Krise auf die engagierten Menschen und ihre Organisationen auswirkt. Kontakte fielen weg, Beratungen gab es nicht mehr, und Begleitungen waren plötzlich unmöglich.

Jetzt sind wir ein Jahr weiter. Sind die Engagierten entmutigt durch die Dauer der Pandemie oder gibt es zusätzlich strukturelle Gründe?
Wir haben unterschiedliche Eindrücke gesammelt. Viele Organisationen haben in dieser Krise beeindruckend schnell neue Angebote aufgebaut und sich konzeptionell erweitert. Sie haben sich zudem digitalisiert – anfänglich unter sehr unzureichenden Bedingungen. Viele haben es geschafft, in einem neuen Kleid ihre gute Arbeit fortzusetzen, auch mit persönlichen Begegnungen unter Einhaltung der Hygieneregeln. Es sei für Ehrenamtliche ein Glücksgefühl, dass sie auf neuen Wegen und mit den AHA-Regeln ihre Arbeit erfolgreich fortsetzen können, sagen mir Organisationen. Etliche Organisationen aber haben es nicht geschafft. Etwa zehn Prozent der Initiativen gibt es nicht mehr – vor allem im Bereich Betreuung und Begleitung. Auch wir als Landesfreiwilligenagentur sind anders gefragt als vor der Krise - wir beraten mehr, helfen beim Re-Start von Einrichtungen und stärken Vereinsvorstände bei der Digitalisierung. Das gilt etwa für Organisationen wie „Seniorpartner in School“, wo die Freiwilligen einfach nicht in die Schulen gehen können, weil die geschlossen sind.

Die ZiviZ-Studie ist eine bundesweite Umfrage. Sind die Ergebnisse auch direkt auf Berlin zutreffend? Oder sind wir in Berlin mit der Landesfreiwilligenagentur grundsätzlich besser aufgestellt?
Ich glaube schon, dass wir durch unsere Netzwerkarbeit einen engeren Austausch mit den Organisationen haben. Klar, wir konnten nicht alle schlechten Effekte der Krise abpuffern, aber wir haben den Kontakt zu ganz vielen Menschen und Einrichtungen gehalten. In dieser Hinsicht haben wir als große Stadt sicher einen Vorteil gegenüber dem ländlichen Raum, wo Organisationen mehr auf sich allein gestellt sind. Die Krise hat zudem bestätigt, dass die Freiwilligenmanager*innen, die für gute Rahmenbedingungen für Freiwillige sorgen müssen, jetzt besonders gefordert sind. Auf sie kommt es jetzt an. Wir fordern deshalb vom Senat, diese Berufsgruppe noch stärker zu unterstützen. Man muss aber zugleich sagen, dass Berlin beim Freiwilligenmanagement anderen Bundesländern voraus ist, so durch die Förderung der rund 100 Ehrenamtskoordinator*innen in den Unterkünften für Geflüchtete sowie der bezirklichen Freiwilligenagenturen.

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In der ZiviZ-Studie heißt es, 78 Prozent der Organisationen hätten überhaupt keinen Antrag auf Soforthilfe gestellt und jede zweite Gruppe sagt, man haben die Kriterien einfach nicht erfüllen können. Auch in Berlin haben bestimmte Organisationen von vorherein auf Anträge verzichtet, weil die Anforderungen zu hoch oder die Formulare unverständlich waren.
Ja, Non-Profit-Organisationen sind eben anders als Wirtschafts-Unternehmen, für die solche Programme vorrangig geschaffen wurden. Für sie geht es nicht um die Erwirtschaftung von Gewinnen, sondern gemeinnützige Einrichtungen brauchen zweckbezogene Mittel, damit sie arbeiten können. Abgesehen von der Miete geht es oft um zwei, drei Hauptamtliche - und dann die Ehrenamtlichen, die nicht unter wirtschaftliche Gesichtspunkte fallen, aber das wichtigste soziale Kapital der Organisation sind. Anders als im Falle von z.B. Restaurants nutzt es den zivilgesellschaftlichen Organisationen nichts, wenn zwar das Büro noch bezahlt wird, aber keine Freiwilligen mehr da sind. Dann macht ein Antrag wenig Sinn. Sie brauchen andere Hilfen – etwa Projektmittel, Mittel für Veranstaltungen – und Beratung.

Auf Gemeinnützige sind die Kriterien nicht zugeschnitten?
Der Rettungsschirm hat sicher auch geholfen. Aber was wir brauchen, ist eine andere Art der Förderung. Das konnte die Soforthilfe nicht leisten. Ein Beispiel: Die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt hat Ende 2020 ein bundesweites Förderprogramm für die Digitalisierung aufgelegt. Daraufhin haben sich tausende Organisationen beworben – wovon dann viele leer ausgingen. Das macht klar, was für ein wahnsinnig großer Bedarf in diesem Bereich vorhanden ist. Es geht nicht nur um den Erhalt des Normalbetriebs und die Miete, es geht um Umbau, Ausbau, Entwicklung und Erweiterung der Freiwilligenarbeit aufgrund der Veränderungen durch die Corona-Pandemie. Das geht nur mit neuen Zielstellungen der Förderung. So ein Digitalisierungs-Unterstützungsprogramm brauchen wir noch einmal.

Was tun gegen Entmutigung und Frustration? Braucht es in der Pandemie in Berlin mehr öffentliche Würdigung und Anerkennung für Engagierte?
Anerkennung kann es nie genug geben. Gerade auch die Anerkennung von „neuen“ Engagierten. Es gibt neue Gruppierungen, die sich in der Krise gefunden haben – das sind eher die Jüngeren und die Internet-affinen Freiwilligen, aber auch Menschen in Kurzarbeit. Diese Engagierten, die jetzt neu eingestiegen sind, müssten in einer besonderen Weise gewürdigt werden. Und diejenigen, die trotz der Krise durchgehalten haben. Von mir gibt es da ein entschiedenes Ja für jede Form von Anerkennung. Dazu gehören in der digitalisierten Zeit auch neue, öffentlichkeitswirksame Formen der Anerkennung – neben dem Freiwilligenpass oder der Ehrenamtsnadel.

[Dieses Interview ist zuerst im Tagesspiegel-Newsletter Ehrensache erschienen. Kostenlos, monatlich, mit Nachrichten und Tipps für alle, die Berlin schöner und solidarischer machen. Hier anmelden: ehrensache.tagesspiegel.de].

Berlin ist europäische Freiwilligenhauptstadt. Erwarten Sie vom Senat in diesem Jahr besondere Unterstützung für Engagierte?
Dieser Titel verpflichtet durchaus. Ich sehe nach wie vor nicht wirklich, dass die Engagierten in Migrant*innen-Selbstorganisationen sicht- und spürbar anerkannt und unterstützt werden. Staatssekretärin Sawsan Chebli ist sicherlich eine der wenigen Politiker*innen, die da schon eine ganze Menge geleistet haben. Aber das muss noch mehr in die Breite gehen. Das gilt z.B. auch für das Engagement von Menschen mit Behinderungen, denen sich durch die verstärkte Digitalisierung ganz neue Möglichkeiten bieten. Wir haben die Karte der gesellschaftlichen Vielfalt noch nicht richtig gespielt. Und Berlin ist gerade die Stadt, die durch ihre Vielfalt glänzen sollte. Das wäre mein Wunsch für dieses Jahr.

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