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20. Dezember 2016: Schaulustige und Reporter stehen vor dem LKW am Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin.

© Michael Kappeler/dpa

Exklusiv

Extremismusvorwurf in der Polizei: Wurde der Skandal um die „88“-SMS eines Amri-Ermittlers nur konstruiert?

2018 wurde die SMS eines LKA-Beamten mit dem Nazicode „88“ bekannt. Doch der Fall taugt nicht für einen Skandal. Der Polizist ist eine Person of Color.

Beim Skandal um eine mutmaßlich rechtsextreme SMS eines Berliner Polizisten deutet alles auf ein mögliches Ablenkungsmanöver hin. Nach Tagesspiegel-Informationen gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass der Verfasser rechtsextrem ist oder rechtsextremistisches Gedankengut vertritt.

Vielmehr diente das Bekanntwerden der Nachrichten an Kollegen offenbar lediglich dazu, gegen einen anderen LKA-Ermittler beim Staatsschutz vorgehen zu können. Der Tagesspiegel hat in dem Fall mehr als ein Jahr recherchiert, mit Beamten gesprochen, Akten, Vermerke und Gerichtsunterlagen ausgewertet.

Silvester 2016 um 13 Uhr verschickte der Polizeioberkommissar Michael W. eine SMS an seine Kollegen, an die privaten Handynummern. Im Wortlaut samt Rechtschreibfehlern heißt es darin: „Kommt gut rinn, haltet euch von Merkel & Co und ihren scheiß Gut-Menschen fern.“ Am 20. Januar 2017 um 21.10 Uhr sendete W. eine weitere SMS: „88“ – ein Nazicode. Es ging um einen Termin für ein Treffen unter Kollegen.

Die acht steht im Alphabet für den Buchstaben H. „88“ ist ein Nazicode und bedeutet „Heil Hitler“. W. war in jenem Kommissariat der Staatsschutzabteilung des LKA tätig, das für Islamisten zuständig ist und den Attentäter Anis Amri im Blick behalten sollte.

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Mehrere Medien waren Mitte Juli 2018 über die SMS informiert worden. In den Berichten war dann von Rechtsextremismus-Vorwürfen die Rede. Der Fall hat seither in der Debatte um rechtsextreme Umtriebe in der Berliner Polizei besonders Symbolkraft entfaltet und wird immer wieder als prominentes Beispiel angeführt.

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Für die genauen Hintergründe hatte sich bald aber niemand mehr interessiert, dabei lassen die den Fall in einem ganz anderen Licht erscheinen. Denn Michael W. selbst ist eine „Person of Color“ (PoC). Sein Vater ist farbiger US-Amerikaner, die Mutter weiße Deutsche.

Der nachgestellte SMS-Verlauf zwischen Michael W. (blau) und seinem Vorgesetzten Lars O.
Der nachgestellte SMS-Verlauf zwischen Michael W. (blau) und seinem Vorgesetzten Lars O.

© imago / Montage: axf/Tsp

In allen Verfahren zur SMS wird stets darauf verwiesen. Der Personalrat des LKA notierte im Februar 2018, „dass Herr W. aufgrund seiner Hautfarbe in der Vergangenheit selbst Opfer ausländerfeindlicher Diskriminierung geworden war“. W. erklärte bei Vernehmungen, sich wegen seiner Hautfarbe nicht in alle Berliner Bezirke getraut zu haben – aus Angst vor Nazis.

Mit der SMS wurde der LKA-Ermittler Lars O. unter Druck gesetzt

Michael W. erhielt für die SMS in einem Disziplinarverfahren einen Verweis. Er ist infolge des Drucks in dem Fall schwer erkrankt. Dem Tagesspiegel ist von mehreren Beamten und Beteiligten versichert worden, dass W. kein rechtsextremes Gedankengut vertritt und allein wegen seiner Biografie alles andere als ein Rechtsextremer sei.

Wegen der SMS ist ein weiterer Staatsschutzbeamter mit Verfahren überzogen worden. Nach Tagesspiegel-Recherchen handelte es sich dabei um ein gezieltes Vorgehen der Polizei gegen den Staatsschützer Lars O. Auf den erfahrenen Staatsschutzbeamten O. ist massiver Druck ausgeübt worden. Erkenntnisse des LKA-Kommissariats zu Pannen des Bundeskriminalamtes sollten unter dem Deckel gehalten werden.

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Innensenator Andreas Geisel (SPD) hatte gegen O. im Mai 2017 Ermittlungen einleiten lassen. Es ging um den Vorwurf der Strafvereitelung im Amt und Manipulation von Ermittlungsakten in einem Verfahren gegen einen Islamisten, der mit Anis Amri zu tun gehabt hatte.

[Die Akte 88-SMS: Lesen Sie die ganze Recherche zum Fall jetzt hier bei Tagesspiegel Plus.]

Geisel hatte den Eindruck erweckt, der Beamte O. wäre persönlich für den Anschlag von Anis Amri auf dem Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016 verantwortlich und hätte das Attentat des Islamisten verhindern können. Die Vorwürfe ließen sich nicht halten, die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen im April 2018 ein.

Der Islamist und Attentäter Anis Amri tötete am 19. Dezember 2016 am Breitscheidplatz zwölf Menschen.
Der Islamist und Attentäter Anis Amri tötete am 19. Dezember 2016 am Breitscheidplatz zwölf Menschen.

© dpa

Dennoch ging die Polizei weiter gegen O. vor – wegen der SMS seines Untergebenen Michael W. In einem Disziplinarverfahren wurde O. ein Verweis erteilt, obwohl die damalige Staatsschutzchefin und der Personalrat dagegen waren. Der Vorwurf: O. hätte die SMS nach oben melden müssen, es hätte nicht ausgereicht, W. in einem Gespräch zurechtzuweisen.

O. klagte gegen den Verweis und bekam vor dem Verwaltungsgericht Berlin recht. Demnach hätte die Polizei nie ein Verfahren wegen der SMS gegen O. einleiten dürfen.

In Polizeikreisen ist deshalb die Rede davon, dass O. als Sündenbock herhalten sollte. Dagegen sind die ebenfalls für die Pannen im Fall Anis Amri zuständigen Chefs der Islamismus-Ermittler aufgestiegen oder weggelobt worden oder immer noch im Amt.

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