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Leider kein Einzelfall: Ein Geisterrad in Berlin erinnert an eine verunglückte Fahrradfahrerin.

© Tobias Kleinschmidt dpa/lbn

Fahrradfahrer in Berlin: Neue Empörung über SPD nach schweren Radler-Unfällen

Im Streit um das Mobilitätsgesetz werfen Aktivisten der Berliner SPD Versagen vor. Wieder wurden zwei Radfahrer von Lkws überrollt und schwer verletzt.

Bei zwei Unfällen wurden am Freitag zwei Fahrradfahrerinnen sehr schwer verletzt. In beiden Fällen wurden sie von Lastwagen erfasst, eine der beiden Frauen befand sich am Freitagabend noch in Lebensgefahr. Die Unfälle dürften die Debatte über Verkehrssicherheit zusätzlich anheizen, die in der Berliner Regierungskoalition seit einigen Tagen mit zunehmender Schärfe geführt wird.

Der erste Unfall ereignete sich gegen 8.25 Uhr in Charlottenburg. Dort wurde eine 57-Jährige an der Kreuzung Knobelsdorffstraße Ecke Königin-Elisabeth-Straße von einem Lkw erfasst. Sie musste von einem Notarzt reanimiert werden, bis zum Abend war unklar, ob sie überleben wird. Der genaue Hergang des Unfalls wird noch ermittelt.

Der schwere Sattelschlepper einer Baufirma befuhr geradeaus die Königin-Elisabeth-Straße Richtung Kaiserdamm. Hinter der Kreuzung muss die Zugmaschine die Radfahrerin erfasst und überrollt haben. Wie sie vor den Lkw geriet, ist unklar. Zur Untersuchung war die Kreuzung stundenlang gesperrt. Zunächst war das Präsidium von einem Abbiegeunfall ausgegangen.

Die Polizei hat einen externen Unfallsachverständigen angefordert. Noch ist nach Angaben der Polizei unklar, ob die Frau ihr Fahrrad schob oder sie damit über die Straße fuhr. Die Verkehrsermittler haben daher Zeugen des Unfalls aufgerufen, sich zu melden.

"Berlin braucht das Radgesetz dringend"

Kurze Zeit später kam es dann in Mitte zu dem zweiten Unfall. Wie die Polizei berichtete, fuhr eine 23-jährige Radlerin gegen 11 Uhr auf der Ebertstraße in Richtung Brandenburger Tor. An der Kreuzung zwischen der Straße des 17. Juni und dem Platz des 18. März überquerte sie offenbar trotz Rotlicht die Straße. Dabei bog ein 58-Jähriger mit seinem Sattelzug rechts in die Ebertstraße ab und erfasste die Radfahrerin, die unter die Räder des Fahrzeuges geriet. Die junge Frau erlitt dabei schwere Verletzungen an den Beinen und der Wirbelsäule und wurde in eine Klinik gebracht.

Am Ort es ersten Unfalls war im Dezember 2016 eine Radfahrerin von einem nach rechts abbiegenden Lastwagen getötet worden. Kerstin Stark vom Volksentscheid Fahrrad hatte damals gesagt: „Es macht uns ohnmächtig und wütend, dass wieder eine Radfahrerin sterben musste. Berlin braucht das Radgesetz dringend.“ Nach dem Unfall stellten ADFC und Radentscheid ein weißes „Geisterrad“ an der Kreuzung auf. Weiter geschah nichts.

Sowohl vom Radentscheid als auch in der Koalitionsvereinbarung wird gefordert, dass die gefährlichsten Kreuzungen umgebaut werden sollen. Doch das von der Verwaltung vorgelegte Tempo verärgert Radfahrer und Aktivisten immer stärker. „In eineinhalb Jahren hat Rot-Rot-Grün nichts auf die Straße gebracht“, kritisierte Peter Feldkamp vom Volksentscheid Fahrrad kürzlich – nach einem anderen schweren Fahrradunfall.

Bis auf die von Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) angekündigte geschützte Radspur an der Hasenheide gebe es so gut wie keine Planung. Im November 2017 hatte die Verkehrssenatorin einen Baustart im Frühjahr angekündigt. Dann meldete die Feuerwehr Bedenken an, weil angeblich die Plastikpoller bei Einsätzen hinderlich seien.

Aus Sicht des Bezirks war dieses Argument wenig stichhaltig. Poller seien sicher weniger störend als die derzeit parkenden Autos. Nun soll der erste Bau eines „geschützten“ Radwegs im Herbst beginnen – fast ein Jahr nach der Ankündigung. Feldkamps bitteres Fazit: „Wir bauen weiter an der autogerechten Stadt.

Vor fast zwei Jahren hatte das Team des Volksentscheids Fahrrad in kurzer Zeit mehr als 100.000 Unterschriften für ein „Radgesetz“ gesammelt. Ziele waren geschützte (also baulich vom Autoverkehr getrennte) Radwege an Hauptstraßen, Fahrradstraßen, der Umbau gefährlicher Kreuzungen und mehr Abstellmöglichkeiten.

Die neue, Ende 2016 gebildete rot-rot-grüne Koalition hatte diese Ziele weitgehend in ihr „Mobilitätsgesetz“ übernommen. Mit mehr als einem Jahr Verzögerung sollte das Mobilitätsgesetz jetzt verabschiedet werden. In dieser Woche legte die SPD allerdings eine Vollbremsung hin, weil die Interessen der Autofahrer in dem Entwurf nicht ausreichend gewürdigt werden.

In den elfseitigen Papier mit Änderungswünschen, das dem Tagesspiegel vorliegt, wird unter anderem die Grüne Welle für Radfahrer gekippt, ebenso die Forderung, Fahrraddiebstähle stärker zu bekämpfen. Stattdessen will die SPD „Einwohner*innen in allen Berliner Bezirken gut ausgebaute Zufahrtstraßen per Kraftfahrzeug“ garantieren.

Der Umweltverband BUND kritisierte das. Landesgeschäftsführer Tilmann Heuser erklärte, dass sich die SPD wohl „als Autofahrerpartei profilieren“ wolle. Heuser sprach von „teilweise absurden Vorschlägen“. So will die SPD nun keine Fahrradbeauftragten mehr, sondern „Mobilitätsbeauftragte“. So etwas zeige laut Heuser, „das tiefe Bedürfnis, den Koalitionspartner und die Radfahrer zu ärgern“.

An SPD-Fraktionschef Raed Saleh schrieb der BUND: „Es ist bemerkenswert, mit welchem Elan die SPD-Fraktion in der Diskussion um das Mobilitätsgesetz sowohl ihre eigenen Erfolge als auch die der Regierungskoalition kommunikativ zunichte macht“. Auch die Grünen kritisierten die Vollbremsung der SPD. „Die haben ja bald Parteitag“, lästerte ein grüner Abgeordneter. Offenbar habe die Partei Sorge, dass das Mobilitätsgesetz der SPD schaden könne.

Der grüne Verkehrspolitiker Harald Moritz vermutet, dass „der Autofahrerfraktion in der SPD das Gesetz nicht passte. Die Fraktionsvorsitzende Antje Kapek versicherte in der „BZ“: „Es wird kein eigenes Kapitel zum Autoverkehr geben.“ Das Ziel des Mobilitätsgesetzes sei schließlich, Fuß- und Fahrradverkehr auf Augenhöhe mit dem Autoverkehr zu bringen.

In sozialen Netzwerken wurde viel Empörung über die SPD zum Ausdruck gebracht. Der vorübergehend ausgestiegene Initiator des Radentscheids, Heinrich Strößenreuther, stellte sich aus Ärger über das Verhalten der SPD wieder an die Spitze der Kampagne.

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