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Der Ausbau des Radverkehrsnetzes in Berlin kommt kaum voran.

© IMAGO/Thomas Trutschel

Fünf Prozent nach über fünf Jahren: So schlecht steht es um den Ausbau des Berliner Radwegenetzes

Changing Cities wirft der Verkehrsverwaltung systematische Verstöße gegen das Mobilitätsgesetz vor. Um dessen Einhaltung zu forcieren, erwägt der Verein inzwischen rechtliche Schritte.

Auf 2698 Kilometer müsste sich die Gesamtlänge des Berliner Radverkehrsnetzes bis zum Jahr 2030 summieren, um die Vorgaben des Mobilitätsgesetzes zu erfüllen. Fünfeinhalb Jahre nach seinem Inkrafttreten sind 136 Kilometer vollbracht, also fünf Prozent, wie der aus dem Fahrrad-Volksentscheid hervorgegangene Verein Changing Cities am Dienstag berichtete. Vereinsmitglieder analysieren die Fortschritte seit 2021 anhand von Veröffentlichungen, Daten der landeseigenen Infravelo und vor allem durch Vor-Ort-Recherchen.

Diese Ortstermine ergaben, dass die bereits geschafften fünf Prozent auf großzügiger Auslegung beruhen, weil sie alle Radverkehrsanlagen enthalten, die wenigstens einen der vorgeschriebenen Qualitätsstandards erfüllen. Bei Berücksichtigung aller Standards blieben nur 32,7 Kilometer übrig, also 1,2 Prozent des Solls bis 2030, berichtete Jens Steckel von Changing Cities.

Der im vergangenen Jahr erreichte Zuwachs mit mindestens einem erfüllten Qualitätsstandard summiert sich laut Changing Cities auf 22,3 Kilometer – nach 28,9 Kilometern im Jahr davor. Knapp zehn Kilometer davon seien 2023 im sogenannten Vorrangnetz entstanden. Im Radverkehrsplan – also der Verordnung, die die Umsetzung des Mobilitätsgesetzes vorgibt – stehe ein Jahressoll von 60 Kilometern.

Die Verkehrssenatorin ließ baureife Projekte stoppen

Dass das schon vorher zu geringe Ausbautempo so deutlich zurückgegangen ist, hat aus Sicht des Vereins drei Hauptursachen. Die eine sei der von der damals neuen Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) Mitte Juni verhängte Bau- und Finanzierungsstopp für 19 schon baureife Radwegprojekte. Auch wenn einen Monat später 16 davon wieder freigegeben wurden, seien Bauarbeiten in die ungünstigen Wintermonate verschoben worden und Geld verfallen. Jüngste Auskünfte aus der Verkehrsverwaltung ans Abgeordnetenhaus und an die Grünen-Abgeordnete Oda Hassepaß bestätigten die Verzögerungen und den Verfall von 60 Prozent des im Landeshaushalt vorhandenen Budgets für besseren Radverkehr.

Als zweite Hauptursache nennt Steckel „umfangreiche Planungseingriffe im Nachgang“: Die Verwaltung verzögere und ändere viele „Verkehrsrechtliche Anordnungen“, also bereits fertige Umsetzungspläne. Um Autostellplätze zu retten, würden im Nachhinein Qualitätsvorgaben für Fahrradspuren kassiert.

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Euro für „Maßnahmen zur Verbesserung des Radverkehrs“ wurden 2023 ausgegeben. Verfügbar waren 10,75 Millionen.

Die dritte Ursache ist laut Steckel die noch immer nicht erfolgte Freigabe dreier Projekte. Über die will die Verwaltung bis Ende März entscheiden, aber Changing Cities befürchtet, dass „ein- oder mehrjährige Verzögerungen“ entstehen oder einzelne Projekte gar komplett scheitern könnten.

Ab 2025 wäre das sogenannte Ergänzungsnetz fällig

Vom nächsten Jahr an müsste laut dem Radverkehrsplan auch das sogenannte Ergänzungsnetz ausgebaut werden. Changing Cities geht davon aus, dass daraus nichts wird, „denn die Planungen dafür hätten längst beginnen müssen“. Stattdessen würden nur alte Planungen abgearbeitet.

Vereinssprecherin Ragnhild Sörensen resümierte: „Die Verkehrswende wurde abgewürgt, Personal wird vergrault, Etats werden gekürzt, wissenschaftliche Erkenntnisse werden ignoriert.“ Als Paradebeispiel nannte Sörensen die von Schreiner angekündigte Sanierung alter Hochbordradwege, die in der Regel keinen aktuellen Standard mehr erfüllen, weil sie beispielsweise durch ihre Enge und den Verlauf am Gehweg Konflikte mit Fußgängern befördern.

Um die Öffentlichkeit besser über den Umsetzungsstand des Mobilitätsgesetzes zu informieren, hat Changing Cities einen „Verkehrswende-Monitor“ online gestellt, der auf einer zoombaren Berlin-Karte Orte und Art der umgesetzten Maßnahmen zeigt. Nach eigenen Angaben erwägt der Verein inzwischen rechtliche Schritte, um die Einhaltung des Mobilitätsgesetzes durch die Verwaltung zu forcieren.

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