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Fayez Kanfash feiert im Juli 2021 in Damaskus seine Followerzahl.

© Screenshot/Tagesspiegel/Youtube/Fayez Kanfash

Update

Großrazzia in Berlin: Nahm Salafisten-Youtuber Coronahilfsgelder in Millionenhöhe mit nach Syrien?

Fayez Kanfash soll über Strohmänner mehr als eine Million Euro erschlichen haben. Auf die Spur kamen Ermittler ihm wegen eines Videos aus der Sonnenallee.

| Update:

Der Youtuber Fayez Kanfash, der als syrischer Flüchtling nach Deutschland kam und dem Salafisten-Milieu zugerechnet wird, soll über Strohmänner mehr als eine Million Euro an Coronahilfen bei der Berliner Förderbank IBB erschlichen haben. Am Dienstag ließ die Generalstaatsanwaltschaft Berlin in mehreren Bundesländern 57 Wohnungen und Büros durchsuchen, davon 37 in Berlin, der Rest in Brandenburg, Sachsen, Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Die Ermittler beschlagnahmten dabei Datenträger und Akten.

Ein 24-Jähriger mit deutschem Pass ist in Berlin vorläufig festgenommen worden und soll am Mittwoch einem Haftrichter vorgeführt werden. Er allein soll mutmaßlich schon für sieben Betrugstaten verantwortlich sein und dabei insgesamt 100.000 Euro an Coronahilfen erschlichen haben. „Die Strohleute sollen eine geringe Provision erhalten haben“, sagte der Anwalt Ehssan Khazaeli, der einen der Beschuldigten verteidigt, dem Tagesspiegel.

Bislang ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft gegen mehr als 70 Beschuldigte, die genaue Zahl steht noch nicht fest. Einige könnten mit doppelten Identitäten aktiv gewesen sein, bei einigen ist unklar, wo sie sich aufhalten. Der Betrug soll so gelaufen sein: Kanfash soll die Personalien und Steuerdaten der Strohleute genutzt haben und mit erfundenen Gewerbetätigkeiten die Coronahilfen bekommen haben. Die nötigen E-Mail-Accounts soll er eigens für die Tat im Namen der Strohleute eingerichtet haben.

Gegen Fayez Kanfash liefen schon mehrere Ermittlungsverfahren

Die Ermittlungen gegen Kanfash und Andere wegen des groß angelegten Betrugs gehen auf einen Zufallsfund zurück. Denn gegen den 25-Jährigen war auch wegen Volksverhetzung, Aufforderung zu Straftaten und Störung des öffentlichen Friedens ermittelt worden. Der Grund: Kanfash ging im Herbst 2020 mit einem Video viral. Als Scheich verkleidet hatte er einen gefesselten Mann mit einer Maske des französischen Präsidenten Emmanuel Macron am Strick durch die Neuköllner Sonnenallee gezogen, setzte die Maske später in Brand. Kanfash schlug den Mann mit einem Gürtel, rief Jugendliche auf, ihm zu folgen, und: „Allahu Akbar“.

Hintergrund der Aktion war Marcons Trauerrede für den Lehrer Samuel Paty wenige Tage zuvor. Ein 18-jähriger Tschetschene hatte den Lehrer in einem Pariser Vorort enthauptet, weil er im Unterricht Karikaturen des Propheten Mohammed gezeigt hatte. Kanfash meinte: „Wenn die Meinungsfreiheit es Ihnen erlaubt, unseren Propheten zu beleidigen, dann seien Sie nicht beleidigt, wenn wir Ihre Führer beleidigen.“

Auch in Brandenburg ermittelten die Behörden wenig später dann gegen Kanfash – diesmal wegen eines Gewaltvideos. Darin verfolgen er und andere Darsteller mehrere Männer in Polizeiuniform und erschießen sie – zum Schein – mit Schreckschusswaffen. Dann plündern sie die Leichen. Der Staatsschutz ermittelte dann wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Waffengesetz. Noch im Sommer 2021 ließ Kanfash Jugendliche auf dem Alexanderplatz Israel-Fahnen zerreißen.

Kanfash im Sommer 2021 auf dem Alexanderplatz.
Kanfash im Sommer 2021 auf dem Alexanderplatz.

© Screenshot/Tagesspiegel/Youtube/Fayez Kanfash

Kanfash war im brandenburgischen Luckenwalde behördlich gemeldet, lebte nach eigenen Angaben von Hartz IV, zugleich erzielte er Einnahmen durch seine Aktivitäten bei Youtube. Im Juli 2021 kehrte er nach Damaskus zurück und feierte in einem Youtube-Video, dass er die Millionenmarke seiner Followerzahl überschritten hat. „Von Berlin nach Damaskus (nach sieben Jahren Abwesenheit) habe ich Freudentränen geweint“, schrieb er.

Die Ermittler prüfen jetzt, ob Kanfash die Betrugsgelder von mehr als einer Million Euro mit nach Damaskus genommen hat. Bislang gibt es keine Hinweise, dass er islamistische Terrorgruppen mit den Hilfsgeldern aus Berlin finanziert. Die Ermittlungen wegen des gefesselten Marcon-Darstellers von Neukölln wurden eingestellt. Es gebe keine Hinweise darauf, dass er zu Straftaten aufgerufen habe. Die Aktion sei von der Kunstfreiheit gedeckt, entschied die Staatsanwaltschaft.

Der Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Berlin, Benjamin Jendro, sieht die Hauptstadt „als internationale Metropole im Fokus terroristischer Netzwerke“. Umso wichtiger sei es, ganz genau hinzuschauen, wenn es um die Finanzströme innerhalb extremistischer Strukturen gehe. „Im konkreten Fall wird sichtbar, dass anscheinend nicht mal davor zurückgeschreckt wird, staatliche Hilfen abzugreifen, um das Töten von Menschen zu finanzieren“, sagte Jendro.


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