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Herbert Grönemeyer

© imago/Future Image/IMAGO/Willy C. Randerath

„Kaltes Berlin“: Herbert Grönemeyer singt jetzt über die Hauptstadt

Anders als seine Hymne auf Bochum, der Stadt, in der er aufwuchs, klingt Herbert Grönemeyers Berlin-Song fast wie ein Abschied. Bei Hertha oder Union wird sie vermutlich nicht erklingen.

Es ist jedes Mal ein Gänsehautmoment, wenn bei einem Fußball-Heimspiel des VFL Bochum das ganze Stadion Herbert Grönemeyers Hymne auf die Ruhrstadt singt: „Bochum, ich komm’ aus dir/Bochum, ich häng’ an dir/Oh, Glück auf, Bochum.“

Grönemeyer hat seine Kindheit und Jugend in Bochum verbracht, inzwischen wohnt er seit mehr als fünfzehn Jahren in Berlin. Genug Zeit also, um auch die Hauptstadt und Wahlheimat einmal mit einem Song zu beglücken.

„Kaltes Berlin“ heißt Grönemeyers neuester, an diesem Freitag veröffentlichter Song, und schon das Wörtchen „kalt“ im Titel und im Zusammenhang mit Berlin weist darauf hin, dass das mit Grönemeyers Berlin-Anhänglichkeit und dem Glück, hier zu leben, womöglich nicht so weit her ist.

Die Stadt scheint versunken in Feuer, Rauch und Benzin, vielleicht sind wir morgen längst nicht mehr hier, im kalten Berlin.

Herbert Grönemeyer in seinem neuen Song

Es beginnt mit sachten Pianoklängen und einem Rauschen im Hintergrund (Regen!), Grönemeyer singt, noch zurückhaltend, vom Nebel, der sich im Laternenlicht verfängt, singt: „Ein Winternachtstraum, der auf der Stelle tritt“, um nach ein paar weiteren Impressionen (leise Berührung, flüchtiger Blick, heimliches Lächeln, ein paar nette Worte, stilles Goodbye) dramaturgische Höhen zu erreichen mit dem Refrain „Die Stadt scheint versunken in Feuer, Rauch und Benzin, vielleicht sind wir morgen schon nicht mehr im kalten Berlin.“

Getragen von der Pianomelodie und einem ebenfalls sich gemächlich aufbauenden Schlagzeug hat dieser Song etwas Elegisches, mit aller Macht Poetisches. Man könnte bei den Zeilen aber auch leicht auf den Gedanken kommen, Grönemeyer bereite hiermit seinen Abschied aus der Stadt vor. Oder hat er sich von den ersten dunklen Herbsttagen beeinflussen lassen? Soll der Song ein Wintersong sein, einfach eine typische Berlin-Tristesse einfangen, der natürlich viele Berlinerinnen und Berlin gern bis zum April entfliehen würden?

Oder, noch profaner: Musste es schnell gehen, damit Grönemeyer einen Berlin-Song für den Polyton-Musikpreis hat? Dieser Preis wurde von ihm mitinitiiert und wird an diesem Freitagabend in Berlin verliehen.

Die Kälte ist überdies eine metaphorische, „alle zusammen allein“ heißt es einmal. Im Video sieht man das nur bedingt: Eine junge Frau stromert im Novemberzwielicht durch die Stadt, Alex, Humboldt-Forum, Museumsinsel, alle Menschen, denen sie begegnet, sind freundlich, jung, und immer leuchtet mal ein Licht in den gekünstelten Verzerrungen (und über Herbert in einer Schautafel am Alexanderplatz eine Kerze).

Kein Feuer, nirgends. „Kaltes Berlin“ ist ein wehmütiger Wintersong, kein ideales „Ich stehe auf Berlin“. Immerhin macht Grönemeyer aus „im kalten Berlin“ ein „in unserem Berlin“, so viel Gemeinschaftsstiftung muss sein. Natürlich darf man nicht jede Zeile von ihm für bare Münze nehmen, Herbert Grönemeyer versteht sich mitunter schon als Dichter. Dass „Kaltes Berlin“ aber als Berlin-Hymne verstanden werden soll, gar dereinst im Olympiastadion oder in der Wuhlheide bei Hertha oder Union erklingt: ausgeschlossen.

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