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Geht es nach der Expert:innenkommission, sollten Lehrerinnen mit Kopftuch in Berlin unterrichten können.

© Getty Images/iStockphoto

Kopftuchverbot in Berlin auf dem Prüfstand: Kommission nennt Neutralitätsgesetz „diskriminierend“

Das Expertengremium zu antimuslimischem Rassismus hat dem Senat Empfehlungen überreicht. Dabei rückt ein altes Konfliktthema der Koalition in den Vordergrund.

Die Expert:innenkommission antimuslimischer Rassismus empfiehlt dem Berliner Senat die Abschaffung des Neutralitätsgesetzes. Die Mehrheit der Mitglieder der Kommission bewerten das Gesetz als „systematische und institutionalisierte Diskriminierung gegenüber Frauen mit Kopftuch ohne sachliche Rechtfertigung“.

So lautet die Begründung in den Handlungsempfehlungen, die das Gremium am Donnerstag nach anderthalb Jahren Arbeit dem Senat überreichte. Die Kommission wurde vom Senat eingesetzt, um Problemlagen des antimuslimischen Rassismus in Berlin zu analysieren und auf dieser Grundlage Empfehlungen zu formulieren.

Mit der Forderung, das Neutralitätsgesetz abzuschaffen, rückt ein altes Konfliktthema der Koalition in den Vordergrund. Die Grünen sehen es als diskriminierend an, die SPD wollte bislang am Neutralitätsgebot festhalten.

Nach Bekanntwerden der Empfehlungen durch die Kommission sagte Philmon Ghirmai, Landesvorsitzender der Grünen Berlin am Donnerstag: „Das Land Berlin muss die Arbeit und das Ergebnis der Kommission, die sie selbst eingesetzt hat, ernst nehmen.“

Grüne wollen „diskriminierende Praxis“ aussetzen

Ghirmai forderte, dass Berlin „seine diskriminierende Praxis“ aussetze, bis das Bundesverfassungsgericht letztinstanzlich entschieden habe. In Zeiten von Lehrer:innen- und Fachkräftemangel sei es auch aus praktischen Gründen nicht zu erklären, wieso diese diskriminierende Praxis fortgesetzt werden sollte, sagte Ghirmai weiter.

Die CDU-Fraktion hingegen kritisierte den Bericht der Kommission scharf. „Berlin hat kein rassistisches oder diskriminierendes Neutralitätsgesetz, im Gegenteil: Seit 2005 leistet es einen wichtigen Beitrag, das friedliche Zusammenleben in unserer Stadt zu stärken“, sagte die kirchenpolitische Sprecherin, Cornelia Seibeld.

Das Berliner Neutralitätsgesetz behandele alle Religionen gleich. „Es trägt keinerlei rassistische Züge, die Kritik der Expertenkommission ist völlig abwegig.“

Das Bundesarbeitsgericht hatte im August 2020 in einem Einzelfall über das Berliner Neutralitätsgesetz entschieden. Eine Muslimin bekam 5129 Euro Entschädigung wegen Diskriminierung zugesprochen, weil sie wegen ihres Kopftuches nicht in den Schuldienst des Landes Berlin eingestellt wurde.

Entscheidung des Verfassungsgerichts steht noch aus

Die damalige Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) hatte gegen das Urteil eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Eine Entscheidung steht noch aus.

Im Koalitionsvertrag vom vergangenen Jahr hatten sich SPD, Grüne und Linke darauf geeinigt, das Neutralitätsgesetz „in Abhängigkeit von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“ anzupassen. Orkan Özdemir, Sprecher für Antidiskriminierung der SPD-Fraktion, sagte am Donnerstag, dass man auf die Entscheidung des Verfassungsgericht warten wolle, bevor etwaige Änderungen zur Debatte stünden. Grundsätzlich halte er „alle Vorschläge der Kommission für bedenkenswert“.

Nach Angaben des Gremiums sei die „noch unterentwickelte Wahrnehmung von antimuslimischen Rassismus durch staatliche Stellen“ in Berlin „bemerkenswert“. Von der spezifischen Form des Rassismus seien nicht nur Muslim:innen betroffen, sondern auch muslimisch gelesene Menschen. Das sind Menschen, die von anderen als muslimisch verstanden werden, obwohl sie es nicht sind.

Mehr Bestattungsplätze für Muslim:innen

Das Gremium kritisiert, dass etwa Polizeibeamte Fälle von antimuslimischem Rassismus häufig nicht erkennen und daher auch nicht an die zuständige Abteilung beim Staatsschutz weiterleiten. Es empfiehlt daher spezifische Aus- und Fortbildungen für den mittleren und gehobenen Polizeidienst. Beim Landeskriminalamt (LKA) solle zudem eine Arbeitsgruppe Antimuslimischer Rassismus eingerichtet werden.

Auch wird dem LKA empfohlen, einen Leitfaden zur Identifikation und Verfolgung antimuslimischer Straftaten zu entwickeln. Ein ähnlicher Leitfaden existiert bereits für die Verfolgung antisemitischer Straftaten. Die Vorschläge des Gremiums beziehen sich auch auf allgemeine Bereiche des Lebens in der Stadt. So wird etwa auch gefordert, mehr Bestattungsplätze für Muslim:innen zu schaffen – es gebe kaum noch ausreichende Flächen.

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