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Berlin: In der Sonnenallee im Berliner Stadtteil Neukölln steht an der Überbauung das Wrack des Busses, der in der Silvesternacht 2022 ausgebrannt ist.

© picture alliance/Sulupress.de / picture alliance/Sulupress.de

Kurzer Prozess für Berlins Jugend: Das „Neuköllner Modell“ hilft bei Straftaten Minderjähriger – aber nur bis zu einem gewissen Grad

Jugendverfahren zu beschleunigen – wie nach der Silvester-Randale oft gefordert –, ist durchaus effektiv. Aber das „Neuköllner Modell“ kann nur begrenzt angewandt werden.

Jugendliche schossen an Silvester am Bahnhof Gesundbrunnen mit Schreckschusswaffen um sich, auf der Suarezstraße explodierte ein sprengstoffartiger Gegenstand, Vermummte griffen in Lichtenrade Feuerwehrleute an, in der Sonnenallee in Neukölln setzten Unbekannte mit Pyrotechnik einen Bus in Brand – Auszüge aus dem Polizeiprotokoll der Schreckensnacht.

Bei der Kommentierung der Randale fiel oft und fast sofort das Stichwort „Neuköllner Modell“ – als angemessene und notwendige Reaktion auf die Gewaltausbrüche. Übersetzt also: Minderjährige Täter sollten schnell in einem Jugendgerichtsverfahren angeklagt und, wenn das Gericht so entscheidet, verurteilt werden.

Minderjährige sollen schnell mit ihrer Tat konfrontiert werden

Der Gedanke dahinter ist einfach und wirkungsvoll: Minderjährige sollen schnell mit ihrer Tat konfrontiert werden. Wer erst nach Monaten angeklagt wird, der kann sich an seine Tat kaum noch erinnern.

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Die Jugendrichterin Kirsten Heisig hat das „Neuköllner Modell“ mit ein paar Kollegen für Neukölln entwickelt. Es basiert auf der Kooperation von lokalem Polizeiabschnitt, Jugendgerichtshilfe und weiteren Akteuren. Seit 1. Juni 2010 wird es in ganz Berlin angewandt.

Zwischen Anzeige und fertiger Anklageschrift liegen ein bis zwei Monate.

Karen Sommer, Zweite Pressesprecherin der Generalstaatsanwaltschaft Berlin

Und es funktioniert, dieses Modell. Zwischen Anzeige und Fertigstellung der Anklageschrift „liegen bei vereinfachten Jugendverfahren im Schnitt zwischen ein und zwei Monaten“, sagt Karen Sommer aus der Pressestelle der Generalstaatsanwaltschaft Berlin.

Das Modell hat sich in der Praxis bewährt

Das Verfahren habe sich bewährt, da es „in den geeigneten Fällen dazu beiträgt, dass das Verfahren beschleunigt zum Abschluss gebracht wird, und trägt damit dem im Jugendstrafrecht vorherrschenden Erziehungsgedanken Rechnung“.

Geeignete Fälle, das sind „einfach gelagerte Sachverhalte der einfachen bis mittleren Kriminalität“. Acht Dezernenten und Dezernentinnen zum Beispiel, sagt Karen Sommer, „in der Abteilung 267 sind für jegliche Verfahren zuständig, die sich gegen Jugendliche und Heranwachsende, die ihren Wohnsitz in Neukölln oder Friedrichshain-Kreuzberg haben, richten“.

Aber das Modell hat auch seine Grenzen. Und die sind gezogen, sagt Justizsenatorin Lena Kreck (Linke), wenn umfangreichere Ermittlungen erforderlich würden. Da sei es rechtsstaatlich nicht zulässig, kurzfristige Hauptverhandlungen auf Kosten sorgfältiger Ermittlungen und unter Verkürzung der strafprozessualen Rechte der Beschuldigten zu führen.

Ein Allheilmittel ist das Neuköllner Modell nicht

Dazu zählten die Beauftragung von Strafverteidigern und -verteidigerinnen – dies sei bei Verbrechen verpflichtend – „ebenso wie gegebenenfalls zu gewährende Akteneinsichts- und Anhörungsrechte“.

Eine Art Allheilmittel für Vorfälle wie zu Silvester ist das Neuköllner Modell also auf keinen Fall. Erst muss zum Beispiel mühsam ermittelt werden, wer den Bus in Brand gesetzt hat. Vielleicht waren es ja gar keine Minderjährigen.

Generalstaatsanwältin warnt vor überzogenen Forderungen

Auch Margarete Koppers, die Generalstaatsanwältin in Berlin, dämpft überzogene Erwartungen: „Aufgabe der Strafjustiz ist die angemessene Reaktion auf ein strafbares Verhalten“, sagte sie. „Diese Reaktion stellt jedoch nicht das Allheilmittel zur Verhinderung neuer Straftaten dar.

Die einen Rechtsstaat auszeichnende Strafverfolgung umfasst eine Verfahrensführung, die mit der bestmöglichen Beschleunigung, aber auch der erforderlichen Sorgfalt, zu fairen, durchdachten Einzelfallentscheidungen führt.“ Die Forderung nach lediglich „schneller“ und „konsequenter“ Strafverfolgung verkürze diese Anforderungen in besorgniserregender Weise.

Auch Bernd Pickel, der Präsident des Kammergerichts Berlin, erklärte: „Sobald die ersten Anklagen bei unseren Strafgerichten eingegangen sind, werden sich unsere Richterinnen und Richter auch diesen Strafverfahren entsprechend der gesetzlichen Vorgaben mit der gebotenen Gründlichkeit und dem nötigen Augenmaß zügig widmen.“

Nach Ansicht des Deutschen Richterbunds kann die Politik ganz einfach dafür sorgen, dass es bei aller Gründlichkeit trotzdem schneller zu Anklagen kommen kann: einfach mehr Personal einstellen. Bundesweit fehlten bei Strafgerichten und Staatsanwaltschaften mehr als 1000 Juristen.

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