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Katharina und Parm von Oheimb kennen sich seit dem Studium und erforschen heute die Vielfalt der Schnecken am Berliner Naturkundemuseum.

© Marcus Rietzsch

„Leben zwischen Gräbern“: Berliner Forscher-Duo erforscht Biologie auf Friedhöfen

Für ihr aktuelles Projekt suchen die Weichtier-Experten Katharina und Parm von Oheimb auf Friedhöfen nach Schnecken. Schauriges über die Tiere erfährt man in ihrem Blog.

Ist da eine Fraßspur auf dem Grabstein? Sitzt dort etwas Schleimiges im Mausoleum? Wenn Parm und Katharina von Oheimb einen Berliner Friedhof betreten, geht es ihnen nicht um die Toten, sondern um das, was um sie herumkriecht. Die beiden Biologen, die am Museum für Naturkunde Berlin arbeiten, sind Experten für Weichtiere. Für ihr aktuelles Forschungsprojekt „Leben zwischen Gräbern“ suchen sie auf Berliner Friedhöfen nach Schnecken.

In der Stadt mit ihren vielen versiegelten Beton-Flächen fühlen sich Schnecken in der Regel nicht besonders wohl. „Auf Friedhöfen finden sie dagegen oftmals noch geeignete Lebensräume“, sagt Parm von Oheimb. Hier gibt es viele unaufgeräumte Ecken, Totholz und Wiesen, Mauern und Grabsteine, die als Felsersatz dienen. Für viele Tiere sind Friedhöfe deshalb ein idealer Rückzugsort.

Menschen nutzen sie weniger intensiv als Parks. Auch von frei laufenden Hunden werden sie hier nicht gestört. Das schätzen vor allem Brutvögel wie die Zaunkönige, die nah am Boden ihre Nester bauen. Fledermäuse beziehen in Mausoleen Quartier. Aber auch Igel, Füchse und Dachse sind auf Berliner Friedhöfen anzutreffen.

Artenreichtum in Neukölln

Je nach Größe und Art des Friedhofs hat das Forscherpaar dort bisher rund 10 bis 20 verschiedene Schnecken-Arten gefunden. „Der Friedhof Buschkrugallee im Bezirk Neukölln ist zum Beispiel relativ artenreich“, sagt Katharina von Oheimb.

In einem Nationalpark in Vietnam entdeckte Katharina von Oheimb eine neue Art: Cyclophorus cucphuongensis.
In einem Nationalpark in Vietnam entdeckte Katharina von Oheimb eine neue Art: Cyclophorus cucphuongensis.

© Katharina C. M. von Oheimb

Hier lebt etwa die Blindschnecke – und zwar unterirdisch. Die winzige, blasse Schnecke hat keine Augen und ernährt sich von Schimmelpilzen. Möglicherweise dringt sie auch in zerfallene Särge ein, um an eine für sie wichtige Kalziumquelle zu kommen – Knochen: „Man hat diese Art schon in verschiedenen, teilweise sehr alten Gräbern direkt an den Knochen von Verstorbenen gefunden“, sagt Katharina von Oheimb.

Wenn die beiden Wissenschaftler einen Friedhof erkunden, inspizieren sie diesen zunächst mit bloßen Augen, vor allem zwischen Brennnesseln, Totholz und unter Efeu schauen sie nach, dort, wo die Erde besonders feucht ist; oder sie suchen auf den Grabsteinen selbst, wo sich manche Schnecken festheften, um trockene Stunden zu überdauern oder den Bewuchs des Steins mit Algen oder Flechten abweiden.

„Dort kann man zum Beispiel die Fraßspuren der bei uns sehr häufigen Bänderschnecken finden“, sagt Katharina von Oheimb. Anschließend nehmen sie Bodenproben, die sie später im Labor untersuchen. Unter dem Mikroskop haben sie dann auch die Punktschnecke entdeckt, eine unserer kleinsten einheimischen Schneckenarten. So winzig, dass man sie leicht mit einem Sandkorn verwechselt.

Die Forscher wollen auch noch näher untersuchen, wie sich die Leichen in der Erde auf die Biodiversität der Friedhöfe auswirken. Wenn Körper verwesen, setzen sie viele Nährstoffe frei, die in die Erde gelangen und dort von Pflanzen aufgenommen werden. „Die Schnecken könnten indirekt davon profitieren, indem sie sich von der üppigeren Vegetation ernähren“, sagt Parm von Oheimb.

Schauriges über Schnecken

Für Morbides und Skurriles haben sich die beiden Biologen schon immer interessiert. Seit 2012 schreiben sie im Rahmen ihres Projekts „Schemenkabinett“ einen Blog, auf dem sie unter anderem Geschichten von Tieren und Vorstellungen aus dem Volksglauben sammeln, die mit dem Tod in Verbindung stehen. Hier gibt es auch Schauriges über Schnecken zu lesen. So gibt es etwa die Süßwasserschnecken der Gattung Latia, die grünen Schleim produzieren, der geisterhaft leuchtet.

Zum Fürchten sind auch die räuberischen Kegelschnecken, die im Meer Fische zur Strecke bringen, indem sie ihnen mittels eines harpunenartigen Zähnchens Giftstoffe injizieren. Sie machen ihre Beutetiere in Sekundenbruchteilen bewegungsunfähig. Und auch der Fall der Bernsteinschnecke, die von einem parasitischen Saugwurm ferngesteuert wird, klingt gruselig. Um in den Darm eines Vogels zu gelangen, nistet sich der Wurm in den Fühlern der Schnecke ein, die dadurch farbig zu leuchten beginnen. Vögel werden aufmerksam und schnappen zu.

Wenn Parm und Katharina von Oheimb nicht bei der Feldforschung sind, arbeiten sie im Museum für Naturkunde Berlin inmitten eines riesigen Naturarchivs. In alten, hölzernen Schränken lagert das, was Sammler:innen in mehr als 200 Jahren aus aller Welt zusammengetragen haben.

Ziehen sie in der Sammlung der Weichtiere, zu denen neben den Schnecken auch die Tintenfische und Muscheln gehören, eine der flachen Schubladen auf, liegen dort in kleinen Schächtelchen die verschiedensten Gehäuse – große und kleine in unterschiedlichen Formen und Färbungen, daneben Zettelchen, auf denen in alter, geschwungener Handschrift der Name der jeweiligen Art steht

Sie sind eine sehr alte und äußerst erfolgreiche Tiergruppe.

Parm von Oheimb über Schnecken

Zwischen das antiquarische Mobiliar ist aber auch die neue Zeit eingezogen. An vier Stationen wird derzeit die gesamte Weichtier-Sammlung digitalisiert. In ein paar Jahren soll man sich alle Objekte der Sammlung über das Internet anschauen können. Sie enthält etwa die Hälfte aller 70.000 bekannten Weichtier-Arten. Insgesamt – so wird geschätzt – sollen um die 200.000 Arten von Weichtieren auf der Erde existieren. Es gibt also noch sehr viel zu entdecken.

Doch was fasziniert die beiden Forschenden gerade an Schnecken? „Sie sind eine sehr alte und äußerst erfolgreiche Tiergruppe“, sagt Parm von Oheimb. Da sie harte Schalen zurücklassen, gibt es zahlreiche fossile Belege, die teils Hunderte Millionen Jahre zurückreichen. „Dadurch wissen wir vergleichsweise viel über die Evolutionsgeschichte dieser Tiere.“

Schnecken-Forschung in Vietnam

Neben den einheimischen Arten interessieren sich die zwei insbesondere für südostasiatische Landschnecken. Um sie zu erforschen, fahren sie zum Beispiel nach Vietnam, wo es eine große Artenvielfalt gibt. Im Norden des Landes, inmitten einer Landschaft aus kalkreichen, bewaldeten Hügeln, hat Katharina von Oheimb eine neue Art entdeckt und beschrieben. Sie trägt nun den Namen Cyclophorus cucphuongensis, nach dem Nationalpark Cuc Phuong, in dem sie vorkommt.

Bevor Katharina und Parm von Oheimb 2019 nach Berlin kamen, haben sie am Natural History Museum in London gearbeitet. Kennengelernt haben sie sich bereits während ihres Biologie-Studiums an der Justus-Liebig-Universität in Gießen, wo sie feststellten, dass sie sehr ähnliche Interessen haben und wissenschaftlich gut zusammenarbeiten können. Etwas später wurden sie auch ein Paar. „Ich bin oftmals die kreative Entdeckerin, Parm derjenige, der eher akribisch und systematisch an Dinge herangeht“, sagt Katharina von Oheimb.

Einen eigenen Garten mit Schnecken haben die beiden in Berlin leider nicht. Doch vor kurzem hat eine Krähe eine Schnecke auf ihre Fensterbank fallen lassen. Die haben sie dann wieder gesund gepflegt.

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