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Parteilinke setzt sich durch: Berliner SPD wählt Ruppert Stüwe zum Spitzenkandidaten – und demütigt Michael Müller
Die Berliner SPD steht kopf: Ein weitgehend Unbekannter wird Spitzenkandidat für die Bundestagswahl, der frühere Regierende Bürgermeister bekommt keinen Listenplatz.
Stand:
Die Berliner SPD zieht mit dem Parteilinken Ruppert Stüwe auf Listenplatz eins in die Bundestagswahl im Februar 2025. Für Stüwe, seit 2021 Bundestagsabgeordneter und seit 2014 Kreischef in Steglitz-Zehlendorf, stimmten auf der SPD-Landesvertreter*innenversammlung am Mittwochabend 50,8 Prozent der 262 Delegierten. Er setzte sich damit hauchdünn gegen Ana-Maria Trăsnea aus Treptow-Köpenick durch.
Die Entscheidung gilt als große Überraschung und hatte sich erst in den vergangenen Tagen abgezeichnet. Leidtragender der Listenaufstellung ist unter anderem Michael Müller, ehemaliger Regierender Bürgermeister und Ex-Landesvorsitzender der Berliner SPD.

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Müller verlor die Abstimmung um Listenplatz drei gegen den Neuköllner Hakan Demir mit 135 zu 122 Stimmen bei fünf Enthaltungen. Daraufhin verließ Müller die Versammlung und erklärte, bei der Wahl um Platz fünf nicht erneut anzutreten. Bei der Berliner SPD müssen sich Frauen und Männer auf der Liste stets abwechseln.
Michael Müller droht das Ende der politischen Karriere
Damit steht Müller, der die Berliner SPD 2021 noch als Spitzenkandidat in den Wahlkampf führte, nicht auf der Landesliste der SPD zur Bundestagswahl 2025. Sollte er auch sein Direktmandat in Charlottenburg-Wilmersdorf, das er 2021 nur mit hauchdünnem Vorsprung vor CDU und Grünen gewann, nicht verteidigen, könnte es das Ende der langen politischen Karriere des 60-Jährigen sein.
Wie es zu der Listenaufstellung kam, wird die Berliner SPD voraussichtlich noch lange beschäftigen. Bis zum Wochenende galten Müller oder die Ex-Juso-Chefin in Berlin, Annika Klose, als Favoriten auf den Spitzen-Listenplatz. Beide traten dafür jedoch erst gar nicht an.
Dahinter steht ein harter Machtkampf zwischen Parteilinken und den eher konservativen Kräften in der Berliner SPD, zu denen auch die beiden Landesvorsitzenden Nicola Böcker-Giannini und Martin Hikel gehören. Müller hatte vor einigen Tagen mit Rückendeckung der Landesspitze zunächst angekündigt, zugunsten der Parteilinken Annika Klose auf Platz eins zu verzichten und auf Platz zwei zu kandidieren.
Nach dem Willen der Landesspitze sollte in dem Fall auf Platz drei eine Frau aus einem Ost-Kreisverband folgen. Gemeint war Trăsnea, die Landeschefin der SPD-Frauen ist und als unabhängig von Parteiflügeln gilt. Auf Platz vier und fünf wären in dieser Logik Demir und Sinem Taşan-Funke aus Tempelhof-Schöneberg gefolgt, beide vom linken Parteiflügel.
Dass ein fünfter Listenplatz für die SPD bei der Bundestagswahl überhaupt zieht, ist zumindest nach aktuellen Umfragen allerdings eher unwahrscheinlich. Die SPD steht derzeit zwischen 15 und 16 Prozent. Bei der Bundestagswahl 2021 erreichte die Partei 25,7 Prozent.
Die Landesvorsitzende Nicola Böcker-Giannini warb in ihrer Eröffnungsrede zur SPD-Versammlung nochmal eindrücklich für die von ihr und Hikel ausgehandelten Personalvorschläge. „Als moderne Großstadtpartei steht es uns gut zu Gesicht, wenn wir die Liste mit einer Frau beginnen“, sagte Böcker-Giannini. „Nur wenn sich möglichst viele Berlinerinnen und Berliner in unserer Partei, in unseren Kandidierenden wiederfinden, werden wir gewählt.“
Parteilinke setzten sich durch – mit einer Ausnahme
Doch den Parteilinken war dieser Kompromiss offensichtlich nicht gut genug. Anfang der Woche erklärten Klose und Stüwe überraschend, dass sie als „Doppelspitze“ antreten wollen – Stüwe auf Platz eins, Klose auf zwei. Tatsächlich trat Klose am Mittwoch ohne Gegenkandidatin auf diesem Platz an und kam auf 68,2 Prozent der Stimmen. Hinter Demir auf drei sollte Sinem Taşan-Funke aus Tempelhof-Schöneberg, bis 2023 Juso-Landeschefin und nun Landesparteivize, die Nummer vier werden.
Die Parteilinke hätte damit die ersten vier Listenplätze komplett besetzt. Zudem käme kein Kreisverband aus dem Osten zum Zug. Möglich machen sollte dieses Tableau offenbar eine Absprache mit dem Kreisverband Spandau, deren Vorsitzender der mächtige SPD-Fraktionschef Raed Saleh ist. Das Kalkül: Die Parteilinken sichern dem Spandauer Direktkandidaten Helmut Kleebank Unterstützung für den Listenplatz fünf zu. Gleichzeitig hätten die Parteilinken mit den Stimmen aus Spandau eine Mehrheit für ihre Kandierenden.
Der Plan ging mit einer Ausnahme auf. Trăsnea, die ihre spontane Kandidatur gegen Stüwe um Platz eins unter anderem mit der Sichtbarkeit von Frauen in der Spitzenpolitik begründete, trat bei der Wahl um Platz vier erneut an und gewann mit sechs Stimmen Vorsprung vor Taşan-Funke. Kleebank wurde anschließend auf Platz fünf gewählt.
Niederlage für den SPD-Landesvorsitzenden
Stüwe sprach das unter vielen SPD-Delegierten umstrittene Manöver der Parteilinken indirekt an. „Was immer heute passiert: Die wirklichen Gegner, die stehen da draußen“, appellierte er in seiner Bewerbungsrede. Inhaltlich machte sich Stüwe unter anderem für eine Stärkung des ÖPNV stark. „Ich glaube, dass die Zukunft unserer Stadt nicht in neuen Autobahnen liegt“, sagte er. Im Bundestag ist er unter anderem für die Themen Wissenschaft und Bildung verantwortlich. Dass sich die SPD nun auch bundesweit für ein kostenloses Schulmittagessen wie in Berlin einsetze, sei „richtig so“, sagte Stüwe.
Für die beiden SPD-Landesvorsitzen Hikel und Böcker-Giannini bedeutet die Aufstellung der Landesliste eine erneute Niederlage. Die Diskussion um ihre bisher von vielen in der SPD als unglücklich wahrgenommene Parteiführung könnte damit an Fahrt gewinnen.
Beide kamen im Mai durch eine Mitgliederbefragung der SPD-Basis ins Amt, haben aber unter den Delegierten keine Mehrheit. Das zeigte sich bereits bei der Besetzung des geschäftsführenden Landesvorstands der Berliner SPD.
Bei der Wahl der stellvertretenden Landesvorsitzenden warben Hikel und Böcker-Giannini für die Wahl von Rona Tietje, Bezirksstadträtin in Pankow, sowie Gordon Lemm, Bezirksstadtrat in Marzahn-Hellersdorf. Am Ende konnte sich jedoch nur Tietje durchsetzen. Seitdem haben die Parteilinken im geschäftsführenden Landesvorstand eine Mehrheit von vier zu drei.
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