zum Hauptinhalt
Der Linken-Politiker Ferat Kocak spricht bei einer Demonstration am Rande des Untersuchungsausschusses zur Neuköllner Anschlagsserie.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Rechtsextreme Anschläge in Berlin : „Einschüchterungsversuche sind politische Strategie der extremen Rechten“

Der Untersuchungsausschuss zur Anschlagsserie in Neukölln hört eine Vertreterin des Berliner Registers an. Sie spricht von einer breiten Vernetzung der Neonazis.

Der Untersuchungsausschuss zur rechtsextremen Anschlagsserie in Neukölln sei bis jetzt „erfolgreich“ verlaufen, bilanzierte der Ausschussvorsitzende Florian Dörstelmann (SPD) am Freitag im Anschluss an die Sitzung. Der Ausschuss habe bislang „einen hervorragenden Überblick darüber bekommen, wie welche Akteure zugange sind, wie die Vernetzung erfolgt und was einzelnen Akteuren mutmaßlich zugeordnet werden kann“, sagte Dörstelmann und schlussfolgerte: „Das heißt, wir erkennen die Muster der Anschlagsserie immer besser.“ 

Dörstelmann kündigte zudem an, dass es im Januar eine gemeinsame Runde mit den zuständigen Senatsverwaltungen geben werde. Dabei solle besprochen werden, wie künftig Akten für den Ausschuss zur Verfügung gestellt werden können. „Ich denke, da sind wir auf gutem Kurs“, sagte der SPD-Politiker. Zuvor hatten die Sprecher der Fraktionen beklagt, dass kaum Unterlagen vorlägen und dem Senat eine „Blockade“ vorgeworfen.

Am Freitag hatte der Ausschuss Kati Becker von der Berliner Registerstelle angehört und damit die Phase der Expertinnen-Anhörungen abgeschlossen. Ab Januar werde man nun mit der Beweiserhebung beginnen, kündigte Dörstelmann an. Für die nächste Sitzung sind Uta Leichsenring und Herbert Diem geladen, die die Ermittlungen in der Anschlagsserie als externe Expert:innen untersucht hatten.

Zu den bisherigen Erkenntnissen des Ausschusses sagte etwa der CDU-Abgeordnete Stephan Standfuß, dass die Rolle der Polizei interessant sei. Es gebe bislang keine Belege, dass Polizist:innen sich nicht korrekt verhalten hätten. Aber es seien von Betroffenen und Expertinnen immer wieder Situationen erwähnt worden, in denen die Polizei offenbar „die Sachlage nicht ganz korrekt eingeschätzt hat.“

Die Abgeordneten André Schulze (Grüne) und Anne Helm (Linke) betonten, dass insbesondere die Expertinnen deutlich gemacht hätten, dass in Neukölln keine isolierten Einzeltäter tätig seien.

„Es handelt sich um einen Personenkreis aus der extrem rechten Szene, der im Prinzip seit 20 Jahren, unter zum Teil anderen Namen aber mit den gleichen Tatmustern agiert“, sagte Schulze. Der Ausschuss müsste nun untersuchen, warum die Sicherheitsbehörden die Zusammenhänge von Taten insbesondere im Osten Berlins nicht erkannt hätten. Helm sprach von einer „klaren politischen Strategie der extremen Rechten in Berlin“, die deutlich geworden sei.

Besonders viele rechte Übergriffe in Schöneweide

Beides hatte insbesondere die Sachverständige Kati Becker vom Berliner Register am Freitag erläutert. Sie berichtete über Angriffe auf vermeintliche „politische Gegner:innen“ aus dem rechtsextremen Umfeld ab 2009 in ganz Berlin.

Ein besonderer Schwerpunkt dieser Angriffe, zu denen sie Brandanschläge, Morddrohungen und andere Arten von Sachbeschädigungen zählt, ist aus ihrer Sicht der Ortsteil Schöneweide in Treptow-Köpenick. Das führte Becker darauf zurück, dass dort ab den 2000er Jahren besonders viele Neonazis hinzogen.

Dort gab es auch Treffpunkte, etwa die bekannte Nazi-Kneipe „Der Henker“. „In Schöneweide hat sich das, was sich als Nationale Volksgemeinschaft versteht, zusammengefunden“, sagte Becker.

 Die Menschen wurden angegriffen, weil es leicht war, das zu tun.

Kati Becker, Register Berlin

Insgesamte zählte die Registerstelle zwischen 2009 und 2021 673 Vorfälle, die sie dem Umfeld des Neuköllner Täterkreises zuordnet. Aus ihrer Sicht handelten Neonazis nicht als isolierte Einzeltäter, sondern im Rahmen einer berlinweiten politischen Strategie. Deren Ziel sei gewesen, Menschen einzuschüchtern.

Besonders an den Neuköllner Vorfällen sei, dass dort in kurzen Zeiträumen viele Taten begangen wurden. Viel häufiger als in anderen Bezirken gab es in Neukölln auch Brandanschläge. In Neukölln seien vorwiegend Menschen angegriffen worden, die sich eher im kleinen Rahmen engagierten. Becker interpretierte das so, dass die Rechten in Neukölln Menschen attackierten, die in ihrem Wohnumfeld wohnten. „Die Menschen wurden angegriffen, weil es leicht war, das zu tun“, sagte Becker.

Der Untersuchungsausschuss soll mögliche Pannen und Ermittlungsfehler in einer Serie rechtsextremer Anschläge in Neukölln aufdecken. Dieser Serie werden 72 rechte Straftaten seit 2013 zugerechnet, darunter 23 Brandanschläge. Die beiden Hauptverdächtigen, der frühere NPD-Kreisvorsitzende Sebastian T. und der frühere AfD-Kreisvorstand Tilo P., stehen derzeit wegen einiger dieser Vorfälle vor Gericht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false