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Rund 250.000 unerledigte Termine schieben die Bürgerämter vor sich her. So schnell wird sich daran nichts ändern.

© Kai-Uwe Heinrich

Trotz 45.500 neuen Terminen: Stau in Berlins Bürgerämtern wird noch Monate andauern

Laut Innenverwaltung könnten die Bürgerämter 45.500 Termine pro Monat mehr anbieten. Die Bezirke sind skeptisch – eine grundsätzliche Lösung der Probleme fehlt.

Nach zwei zuletzt mehr oder minder ergebnislosen Krisensitzungen zum anhaltenden Terminstau in den Berliner Bürgerämtern mussten Erfolge her, das war Sabine Smentek Teilnehmer:innen zufolge anzumerken. Und so suchte die für Verwaltungsmodernisierung und Digitalisierung zuständige Staatssekretärin der Senatsinnenverwaltung direkt im Anschluss an die Runde mit den zwölf Stadträt:innen für Bürgerdienste die Öffentlichkeit.

In der „rbb-Abendschau“ erklärte Smentek am Mittwochabend zur besten Sendezeit, künftig könnten 30.000 bis 50.000 Termine zusätzlich gebucht werden – pro Monat. Zur Erinnerung: Innensenator Andreas Geisel (SPD) hatte die Summe unerledigter und damit aufzuholender Termine vor knapp vier Wochen mit rund 250.000 beziffert. Bedeutet im Umkehrschluss: Selbst wenn Smenteks Zahlen realistisch sind, wird es viele Monate dauern, bis der Rückstau abgebaut ist.

Genau daran jedoch gibt es Zweifel. Am Tag nach dem Treffen erklärten gleich mehrere Stadträt:innen im Gespräch mit dem Tagesspiegel, das Zustandekommen der Zahlen sei für sie nicht nachvollziehbar. Nachfragen habe Smentek mit dem Verweis darauf beantwortet, die am Tag vor dem Treffen verschickte Prognose würde den Amtsleitungen der Bezirke in einem für die kommende Woche anberaumten Treffen erläutert werden. Wenig später präsentierte sie die Zahlen vor laufender Kamera.

Klar ist: Die laut Prognose 45.500 zusätzlichen Termine sollen durch einen Mix an Maßnahmen möglich werden. Dazu gehört die Ausweitung der Öffnungszeiten, wobei nur vier von zwölf Bezirken bislang auf die von Smentek geforderten 37 Wochenstunden gehen werden.

Lockerung der Hygiene- und Abstandsregeln

Hinzu kommt zusätzliches Personal aus Eigenwerbung oder einem Pool der Innenverwaltung. Zuletzt waren insgesamt 40 Mitarbeiter:innen in die Bürgerämter der Bezirke gewechselt. Vor Ort wurden freie Stellen durch – ursprünglich für Kontrolle und Durchsetzung des gescheiterten Mietendeckels eingestellte – Mitarbeiter:innen besetzt.

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Eine weitere Stellschraube wird in dem Papier als „Erhöhung der Kundenzahl pro Stunde“ bezeichnet. Praktisch verbirgt sich dahinter die Lockerung der Hygiene und Abstandsregeln: Dürfen wieder alle Mitarbeiter:innen in die Büros und darf das Bürgeramt auch ohne Termin besucht werden, steigt die Zahl der erledigten Vorgänge. Im Schnitt 6,8 Kund:innen sollen die Angestellten der Bürgerämter pro Stunde laut Innenverwaltung abarbeiten. Pro Termin sind zwölf Minuten vorgesehen – ob das realistisch ist, daran gibt es Zweifel.

Eine Stellschraube, die die Effektivität der Bürgerämter aus Sicht vieler Stadträt:innen schnell erhöhen könnte, ist die vereinfachte Terminabsage. Aktuell muss jeder, der einen Termin elektronisch gebucht hat und absagen möchte, eine Mail an das Bezirksamt schicken. „Viel zu kompliziert“, heißt es aus den Bezirken. Eine Vereinfachung wird seit Monaten angemahnt, so auch in der Runde am Mittwoch.

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Die ausweichende Antwort Smenteks, deren Verwaltung für das Terminmanagementsystem zuständig ist, war dieselbe wie schon seit Monaten, berichten Teilnehmer:innen. Sie glauben kaum, dass sich in Bezirken wie Marzahn-Hellersdorf, wo allein im ersten Quartal 2020 rund 8.000 vereinbarte Termine ausgefallen waren, die Situation verbessert.

Smentek und Bezirke hätten sich Treffen sparen können

Hinzu kommt: Die von Smentek geforderte Überbuchung von Terminen, also die Überreizung der eigenen Kapazitäten zum Ausgleich der Ausfallquote, wird von den Bezirken nur widerwillig oder gar nicht erst eingeführt. Genau wie die Ausweitung der Öffnungszeiten auf 37 Stunden pro Woche.

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In den Augen von Stephan Lenz, Sprecher für Verwaltungsmodernisierung der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, hätten sich Smentek und Bezirke ihr jüngstes Treffen gleich ganz sparen können. „Die vollmundig verkündeten Absichtserklärungen sind keine Lösung“, erklärte Lenz. Er kritisierte, dass von weiteren Standorten für Bürgerämter keine Rede mehr sei.

Damit jedoch liegt er falsch. Erstens soll Anfang August ein zusätzliches Bürgeramt in Mitte zumindest sukzessive den Betrieb aufnehmen. Die Innenverwaltung rechnet mit 7000 zusätzlichen Terminen pro Monat. Zweitens schließen sich Tagesspiegel-Informationen zufolge aktuell mehrere Bezirke zusammen, um ein gemeinsames Bürgeramt zu gründen.

Kurzfristig kann das Abhilfe schaffen. Die strukturellen Probleme von Bürgerämtern und Verwaltung – fehlende Digitalisierung, fehlendes Personal, fehlende Räume – bleiben.

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