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Neuköllner Mütter wollen für das Kleinkindzentrum Shehrazad kämpfen.

© Michel di Moro

„Unsere Kinder brauchen Räume“ : Wie Neuköllner auf drohende Sparmaßnahmen bei der Familien-Förderung reagieren

Die Bezirke müssen sparen. Noch ist unklar, wie viel Geld ihnen der Senat zur Verfügung stellt und wo genau gekürzt wird. Vor allem in Neukölln sorgen sich Eltern und Sozialarbeiter.

Neukölln ist an vielen Stellen kein gutes Pflaster für Familien mit Kindern. „Wir wohnen beengt, die Straßen sind voller Autos, die Spielplätze mit Spritzen und Kokaindepots vermüllt“, fasst Gisela Fahlbusch, alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, die Lage zusammen. „Aber unsere Kinder brauchen Räume.“ Ein solcher Raum ist für sie bislang das Shehrazad an der Roseggerstraße. „Es ist berlinweit das einzige kommunale Kleinkindzentrum, das als Schutzraum ausschließlich für Frauen und ihre Kinder dient“, erklärt die 34-Jährige. „Das ist unser Ort für Freundschaften und Austausch.“

Jetzt hat sie Angst, dass das Zentrum geschlossen werden könnte. Dann könnte die Alleinerziehende nicht mehr mit ihren Kindern zum Musik- und Bewegungskurs gehen, den sie seit anderthalb Jahren besucht. Auch die Beratung zum Stillen könnte sie dann nicht mehr in Anspruch nehmen. Das Besondere am Shehrazad: Alle Angebote sind kostenlos. „Darauf sind viele von uns angewiesen“, sagt Fahlbusch. Und dass es sichere Räume für Frauen und Kinder braucht, um präventiv mal ausweichen zu können, bevor es zu Gewalt kommt, zeigen die gestiegenen Zahlen von Vorfällen häuslicher Gewalt. Die große Mehrheit der Opfer ist weiblich.

Es soll Kürzungen bei der Familienförderung geben

Woher kommt die Sorge vor der Schließung des Shehrazad? Die Direktorin des Jugendamts, Katrin Dettmar, hatte vor zwei Wochen bei einer Versammlung vor dem Rathaus Neukölln mitgeteilt, dass es weniger Geld „im Bereich des Paragrafen 16“, also der „allgemeinen Förderung für die Familie“ geben werde und dass das auch die Schließung von Einrichtungen bedeuten könne. Weil das Shehrazad über diesen Paragrafen finanziert wird, habe man Angst bekommen, erklärt Fahlbusch. Gemeinsam mit anderen Müttern, die das Zentrum regelmäßig besuchen, fordert sie vom Abgeordnetenhaus „ein sofortiges Ende der Sparmaßnahmen im sozialen Bereich“.

Kinder haben ein Recht, zu spielen.

Achtjähriges Kind auf einem Neuköllner Spielplatz

Ausgelöst wurde die Verunsicherung durch angekündigte Einsparungen des Bezirks in den kommenden zwei Jahren. Zwar hat der Berliner Senat in seinem Haushaltsentwurf den Bezirken danach doch mehr Geld zugesichert als ursprünglich geplant. Allerdings will der Senat dennoch, dass die Bezirke sparen – sie erhalten zwar mehr, als zunächst befürchtet, aber nicht mehr als im Vorjahr. Und wo genau gespart wird, ist noch offen.

Frühestens zum Ende der Sommerferien könne der Bezirk „erste Prognosen treffen“, erklärt dessen Sprecher Berg. Erst einmal warte man auf belastbare Informationen von der Senatsverwaltung. Dann wolle der Bezirk „prüfen, was die Änderungen in den einzelnen Bereichen und für die Projekte bedeuten“, so Berg weiter. Im Dezember entscheidet das Abgeordnetenhaus endgültig über den Haushalt.

Zeitweise war die Rede von der Schließung von drei Jugendeinrichtungen

Bis dahin müssen Neuköllner Familien und Menschen, die in den Kinder- und Jugendeinrichtungen arbeiten, mit der Unsicherheit leben. Einer von ihnen ist Osman Tekin. Der Sozialarbeiter leitet die Jugendfreizeiteinrichtung Manege im Reuterkiez. „Wir haben schon so viele Aufgaben und sind sowieso schon so unterfinanziert“, sagt der 36-Jährige. „Seit Jahren ist die Rede von Kürzungen.“ Er geht davon aus, dass dieses Mal tatsächlich Jugendeinrichtungen geschlossen werden.

Zeitweise war von drei Einrichtungen die Rede, inzwischen sieht es so aus, als werde es nicht ganz so schlimm. Tekin kritisiert die chaotische Kommunikation der Politik. Besonders schwer auszuhalten findet er, dass die Kids im Moment so verunsichert seien. „Wir sind als Sozialarbeitende und Erzieher:innen völlig überfordert, weil wir ihnen eben auch keine Antworten geben können.“ Seine Kolleg:innen seien „echt am Ende“. Er findet es aber super, wie die Kinder und Jugendlichen protestieren, zum Beispiel neulich im Jugendhilfeausschuss.

Kein Matschen und Planschen in den nächsten zwei Jahren?

Eine weitere schlechte Nachricht lautete: Auch die Wasserspielplätze im Bezirk könnten in den kommenden beiden Jahren geschlossen bleiben. Stefan Sayer, Vater eines Dreijährigen aus dem Schillerkiez, sagt dazu: „Das ist für kleine Kinder und deren Eltern natürlich Mist, weil das Planschen eine der Sachen ist, die Kleinen super gerne und sehr lange machen. Und man kann ja nicht immer ins Freibad gehen.“

Auch aus pädagogischer Sicht hält Sayer Wasserspielplätze für wertvoll: „Wenn die Kinder Wasser stauen, Kanäle bauen oder Dämme wieder einreißen, machen sie eine kreative Körpererfahrung. Dafür braucht man sonst kompliziertes Spielgerät oder aufwendige Betreuung – hier auf dem Wasserspielplatz geht das ganz natürlich – und kostengünstig.“ Dafür, dass diese Spielmöglichkeit wegfallen könnte, fehlt Sayer jedes Verständnis.

In der Tischtennisplatte ist schon ein Loch

Und was halten die Kinder davon? Nachfrage auf dem Spielplatz an der Schudomastraße: Barfuß, im Schlafanzug und hoch konzentriert spielen hier in der Dämmerung vier Kinder Tischtennis. Wie fänden sie es, wenn kaputte Geräte nicht mehr repariert würden? Dann könne man irgendwann gar nicht mehr spielen, sagt der achtjährige Sami und zeigt auf die Tischtennisplatte vor sich: „Hier ist jetzt schon ein Loch drin.“ Sein Freund ergänzt: „Und Kinder haben ein Recht zu spielen.“ Kinder bräuchten gute Spielgeräte, findet seine große Schwester. „Schöne Erinnerungen an die Kindheit sind wichtig für später.“

Neukölln ist eh am Arsch.

18-jähriger Neuköllner zu den Sparmaßnahmen

Eine Gruppe Jugendlicher, die ein paar Meter weiter unter einem Pavillon chillt, hat vom Sparprogramm für den Bezirk noch nichts gehört. Nach kurzer Erklärung antwortet ein 18-Jähriger: „Das ist schlecht.“ Andererseits: „Neukölln ist eh am Arsch.“ Deshalb seien weitere Einsparungen jetzt eigentlich auch egal. „Gucken Sie sich doch mal hier um!“, sagt er und deutet auf den Müll in den Büschen um uns herum.

Wofür sollte der Bezirk ihrer Meinung nach das wenige Geld ausgeben, das er hat? Die Gruppe überlegt lange. Dann sind sich alle einig: Sie hätten gern mehr öffentliche Fitnessgeräte. Und: Laternen auf den Spielplätzen. „Es ist gefährlich für junge Mädchen, die im Dunkeln vergewaltigt werden können.“

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