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Die blauen Buchstaben „vhs“ stehen an der Fassade einer Volkshochschule (VHS).

© dpa/Arne Dedert

Unsichere Lage für Volkshochschule: Berliner Bezirk schließt keine neuen Honorarverträge mehr ab

Nach einem Gerichtsurteil ist die Rechtslage für freie Dozenten an Volkshoch- und Musikschulen äußerst wackelig. Der Bezirk Reinickendorf schließt keine neuen Honorarverträge ab. Volkshochschulen warnen vor dem Betriebsstop.

Die große Mehrheit der Dozenten an Berliner Volkshochschulen sind freie Lehrkräfte. Deren Beschäftigung gilt nach einem Gerichtsurteil als rechtlich unsicher. Nun hat das Bezirksamt Berlin-Reinickendorf beschlossen, keine neuen Honorarverträge mit Lehrkräften für die Volkshochschule mehr abzuschließen. Das hat Schulstaatssekretär Torsten Kühne dem SPD-Abgeordneten Sven Meyer im Bildungsausschuss mitgeteilt. Hervor geht das auch aus einer E-Mail der Gesamt-Berliner Dozentenvertretung an VHS-Lehrkräfte, die dem Tagesspiegel vorliegt.

Die Entscheidung des Bezirks ist für die Bildungseinrichtung im Bezirk folgenreich: Die bestehenden Vereinbarungen würden auslaufen und der Volkshochschule, die zum allergrößten Teil auf freie Mitarbeitende setzt, absehbar die Dozenten ausgehen. „Damit steht das Bildungsangebot der VHS vor dem Aus“, erklärt der Tegeler Abgeordnete Meyer.

Hintergrund ist das „Herrenberg-Urteil“ des Bundessozialgerichts aus dem Jahr 2022. Nach der Klage einer Klavierdozentin von der Musikschule im baden-württembergischen Herrenberg stellten die Richter fest, dass eine Selbstständigkeit wegen ihrer Eingliederung in den Schulbetrieb und mangels unternehmerischer Freiheit nicht gegeben sei. In der Konsequenz ist die Beschäftigung von Lehrkräften auf Honorarbasis rechtlich äußerst wackelig.

Das Bezirksamt Reinickendorf sieht den Senat in der Pflicht und gab am Mittwoch bekannt, jeden einzelnen Honorarvertrag darauf prüfen zu lassen, ob eine selbstständige oder abhängige Beschäftigung vorliegt. „Um jedoch neue Verträge abschließen zu können, muss der Senat vorher für eine entsprechende Rechtssicherheit sorgen“, hieß es von Bezirksbürgermeisterin Emine Demirbüken-Wegner (CDU). Die Prüfung der Verträge diene dem Schutz der Mitarbeiter im Rahmen der Fürsorgepflicht.

Die Berliner Bezirksämter befürchten als Träger der Volkshochschulen nun hohe Nachzahlungsforderungen von der Deutschen Rentenkasse – und Klagen, sollten sie weiterhin freie Honorardozenten beschäftigen. In anderen Bundesländern sind die ersten Einrichtungen bereits dazu übergegangen, ihre Honorarkräfte fest anzustellen.

In Berlin kündigte der Senat den Bezirken an, mit der Deutschen Rentenversicherung Kontakt aufzunehmen, um eine einheitliche Lösung zu erarbeiten. Die zuständigen Staatssekretäre, erklärt der SPD-Abgeordnete Meyer hätten die Ämter aufgefordert, sich „per Bezirksamtsbeschluss vor ihre Mitarbeitenden zu stellen und damit die Handlungssicherheit in den betroffenen Einrichtungen zu gewährleisten.“

Die Leitungen der Berliner VHS unterstützen das Vorgehen des Senats und stellen sich in einem internen Schreiben an alle zuständigen Stadträte gegen eine „ins Gespräch gebrachte Betriebsstilllegung“. Alle am Lösungsprozess beteiligten Akteure seien aufgefordert, „den Weiterbetrieb der Berliner Volkshochschulen als höchste Priorität anzusehen“, heißt es in dem Brief, der dem Tagesspiegel vorliegt.

Bei einer Betriebsstilllegung würden die Einrichtungen „ein enorm hohes finanzielles wie auch rechtliches Risiko eingehen.“ Zudem sei unabsehbar, ob der Regelbetrieb dann im derzeit vorhandenen Umfang zeitnah wiederaufzubauen wäre.

Dem Abgeordneten Sven Meyer zufolge sind bis auf Reinickendorf alle anderen Bezirksämter der Empfehlung des Senats gefolgt, schließen nach Einzelfallprüfung also weiterhin Honorarverträge ab. „Alle arbeiten mit Hochdruck an einer Lösung, deswegen geht es nicht, dass ein Bezirk jetzt aus der Reihe tanzt“, kritisiert der arbeitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion. „Offenbar ist Reinickendorf bereit, das gesamte System Volkshochschule vor die Wand zu fahren.“

Nicht nur die Volkshochschulen sind vom „Herrenberg-Urteil“ betroffen: In Charlottenburg-Wilmersdorf ist bereits im Gespräch, aus dem gleichen Grund alle drei Standorte der Musikschule zeitweise stillzulegen.

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